Anfang November eröffnet im Jüdischen Museum in München eine Ausstellung mit geraubten jüdischen Ritualgegenständen, die beim Bombenangriff auf Würzburg im Jahr 1945 teils schwer beschädigt wurden. Museumsleiter Bernhard Purin erklärt, was an den Fundstücken so beachtlich ist. Nächstes Jahr sind sie auch in Würzburg zu sehen.

 

Herr Purin, dieser Fund 2016 im Würzburger Museum für Franken, wie sensationell ist er wirklich?

Purin: Durchaus sensationell. Es handelt sich dabei um den größten Bestand an jüdischen Ritualgeräten, der in Deutschland in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckt worden ist - der Fund ist jedoch teilweise schwer beschädigt, weil das damalige Mainfränkische Museum 1945 bei der Bombardierung Würzburgs fast vollständig zerstört wurde.

Was haben Sie gedacht, als Sie die Depot-Fundstücke erstmals selbst gesehen haben? Waren Sie erschrocken?

Purin: Fast die Hälfte der Objekte hat schwere Brandschäden. Sie sind aber dennoch wichtige Zeugnisse der jüdischen Geschichte und Kultur in Unterfranken. Überraschend war der schlechte Zustand für mich aber nicht - wer das Museum kennt, der weiß auch, dass viele Exponate aus der Vorkriegszeit den Krieg eben nur schlecht überstanden haben.

Als Forscher hat man nur selten die Gelegenheit, solche Funde als erster zu begutachten, oder?

Purin: Ja. Das ist eine beinahe einmalige Chance, wenn man eine solch umfangreiche Sammlung vor sich hat, die noch keiner zuvor fachlich untersucht hat. Es war eine spannende Arbeit - gerade auch wegen der vielen fragmentierten Objekte, die wir erst einmal wie bei einem Puzzle zusammenfügen mussten, ehe wir sie weiter erforschen konnten.

Bernhard Purin Direktor Jüdisches Museum München
Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums in München

Wie groß waren Ihre Hoffnungen - angesichts des schlechten Zustands der Exponate - herauszufinden, was genau vor Ihnen liegt?

Purin: Trotz der Beschädigungen kann man in vielen Fällen noch gut die hebräischen Widmungsinschriften lesen - und die deuten eben in vielen Fällen auf den Ursprungsort hin. Wir in Bayern haben das große Glück, dass ab den 1920er Jahren der Kunsthistoriker Theodor Harburger in vielen kleinen Landsynagogen die Kultgegenstände dokumentiert hat.

Sie haben also mit Hilfe eines alten Katalogs versucht, einige der mehr als 100 Fundstücke zuzuordnen. Bei wie vielen gelang das?

Purin: Harburger hat viele der Objekte fotografiert oder auch sehr detailliert beschrieben, sodass wir rund ein Drittel der Fundstücke der Würzburger Synagoge und sechs weitere Synagogen aus dem Umland zuordnen konnten. Beim Rest der Exponate vermuten wir, dass diese Gegenstände vor allem aus der Würzburger Synagoge stammen.

Wie muss man diese Funde kunsthistorisch bewerten? Waren das vor allem "Kultgegenstände von der Stange" oder auch wertvolle?

Purin: Viele der Fundstücke stammen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und sind vor allem zeitgeschichtlich interessant. Aber gerade die Ritualgegenstände aus den kleinen Landsynagogen reichen bis ins frühe 18. Jahrhundert zurück und sind damit kunstgeschichtlich sehr wertvoll. Das jüngste Fundstück aus Arnstein stammt von 1934.

Das NS-Regime hat sich über den Verkauf geraubter Kunstwerke bereichert. Weshalb wurden dann jüdische Kultobjekte eingelagert?

Purin: In der Reichspogromnacht 1938 ging ein Fernschreiben an alle Polizeistationen, dass man vor der Schändung der Synagogen die dort gelagerten Archive sichern soll. Den Beamten war damals nicht so klar, was sie alles sichern sollten - also haben sie oft auch noch die Tora-Rollen, deren Schmuck und die Tora-Mäntel mitgenommen.

Und wohin wurden die geraubten Gegenstände dann gebracht? Direkt ins Museumsdepot?

Purin: Nein, die "beschlagnahmten" Gegenstände gingen zuerst an die staatlichen Archive - die aber nur die Gemeindearchive aufgenommen haben. Die anderen Dinge, etwa die silbernen Ritualgegenstände oder die Textilien, wurden in Würzburg ans Mainfränkische Museum gegeben und sind dort offenbar einfach unbesehen im Depot gelandet.

Wie lief das in anderen bayerischen Städten? Haben Sie einen Überblick?

Purin: In Nürnberg, Bamberg oder Regensburg beispielsweise durften sich die lokalen Museen mehrere kunsthistorisch bedeutende Stücke für ihre Sammlungen heraussuchen. Der Rest wurde auf Befehl des Reichs eingeschmolzen. In Würzburg ist das damals allerdings nicht geschehen. Weshalb, das wissen wir nicht - wir sind aber sehr froh darüber.

Ausstellung jüdisches Museum München geraubte Kultgegenstände

Das heißt im Umkehrschluss: Es könnte auch sein, dass in ganz vielen Museums-Depots solche Schätze liegen?

Purin: Von ganz vielen würde ich jetzt nicht sprechen wollen. Vor dem Würzburger Fund haben wir das eigentlich nahezu für ausgeschlossen gehalten, dass es solche Fundstücke in dieser Zahl überhaupt geben könnte. Ich würde deshalb heutzutage nicht ausschließen, dass es in den kommenden Jahren in einigen Depots ähnliche Funde geben wird.

Was geschieht damit nach den Ausstellungen in München und in Würzburg?

Purin: Der allergrößte Teil der Fundstücke gehörte früher jüdischen Gemeinden - und die haben nach der aktuellen deutschen Rechtslage keinen Rechtsnachfolger. Die Stadt Würzburg, die faktisch Besitzer der Ritualobjekte ist, will sie an ihre Besitzer zurückgeben - oder zumindest treuhänderisch an die Israelitische Kultusgemeinde.

Wäre es nicht eine gute Idee, wenn diese Stücke im Museum des Jüdischen Gemeindezentrums Shalom Europa ihren Platz finden würden?

Purin: Die Israelitische Kultusgemeinde hat ihre grundsätzliche Offenheit signalisiert, diese Gegenstände ihrerseits wiederum als Leihgabe an das Museum für Franken zu geben. Die Stücke sollen dort nach dem Umbau und der Sanierung des Museums Teil der neuen Ausstellung werden und so die jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken dokumentieren.