Die ersten Wochen in dem fremden Land waren für Eser Özal eine schwere Zeit. Hochschwanger war die Türkin mit ihrem Mann nach Deutschland gekommen. »Es war eine schwierige Schwangerschaft«, erzählt sie. Der neugeborene Sohn musste direkt nach der Geburt auf die Intensivstation. In dieser Zeit hätte sie jemanden gebraucht, mit dem sie über die Situation reden kann, jsagt Özal. »Doch ich konnte die deutsche Sprache nicht und von meiner Familie war niemand da.«

Mehr als zwanzig Jahre ist das her. Heute ist Özal selbst für Menschen da, die im Krankenhaus einen Gesprächspartner brauchen – für Menschen muslimischen Glaubens. Seit vier Jahren arbeitet die 48-Jährige bei der muslimischen Seelsorge Augsburg (Musa). Das Projekt gibt es seit 2011. Mehr als 80 muslimische Frauen und Männer kümmern sich dabei ehrenamtlich um die Nöte von Patienten muslimischen Glaubens in Krankenhäusern, von Flüchtlingen oder Gefängnisinsassen. Demnächst soll eine Notfallseelsorge hinzukommen.

Koran kennt keine Seelsorge

Das von der Stadt finanzierte Projekt sei derzeit bayernweit das einzige Modell, bei dem es gelungen sei, dauerhaft eine muslimische Seelsorge aufzubauen, meint Nurdan Kaya. Die Psychotherapeutin hat das Konzept für die muslimische Seelsorge in Augsburg entworfen. Sie leitet das Institut für transkulturelle Verständigung, das Musa organisiert. Den Begriff Seelsorge gebe es im Koran gar nicht, erläutert Kaya: »Im Islam ist das etwas, das die Großfamilie übernimmt.« Viele Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland können jedoch auf diesen Familienverbund nicht zurückzugreifen.

Hier setzt Musa an. Entscheidend sei, dass die Seelsorgerinnen und Seelsorger denselben kulturellen und religiösen Hintergrund haben wie die Menschen, um die sie sich kümmern, meint Nurdan Kaya. »Sie sprechen dieselbe Sprache und stammen oft aus demselben Land. Das macht sie authentisch und ist oft ein Türöffner für die Gespräche.«

Hinzu kommt eine anderthalbjährige Qualifizierung. In knapp 150 Theoriestunden absolvieren die Mitarbeiter von Musa Kurse zu allgemeiner Seelsorge, Interreligiösität, Psychologie oder Gesprächsführung. Außerdem arbeiten sie als Hospitanten in den jeweiligen Einrichtungen, etwa in Krankenhäusern. Erst danach beginnt die Arbeit als Seelsorger.

Eser Özal arbeitet regelmäßig im Bezirkskrankenhaus Augsburg. In der Klinik werden Menschen mit psychischen Problemen betreut. Deren Angehörige schämten sich oft, sie dort zu besuchen, berichtet Özal. Vielen Patienten höre sie daher einfach nur zu: »Sie wollen über Alltagsprobleme reden: über ihre Kinder, die Familie, den Ehemann.« Özal hat sich mittlerweile über Musa auch zur Mentorin und Koordinatorin für andere Seelsorger ausbilden lassen. Diese Möglichkeit mache das Projekt nachhaltig, meint Nurdan Kaya: »Nur wenn wir den Ehrenamtlichen die Möglichkeit zur Weiterentwicklung geben, bleiben sie bei der Stange.«

Dieses Konzept will Musa nun auch auf andere Städte in Bayern ausdehnen. Bei einer Tagung in Augsburg wollen die Organisatoren und die Stadt über ihre Erfahrungen mit Musa berichten – und für das Projekt werben. »Unser Konzept ist auch in anderen Städten umsetzbar«, meint Margret Spohn, die das städtische Büro für Migration, Interkultur und Vielfalt leitet.

Der Bedarf dafür sei groß, sagt Spohn. Sie weiß aber auch, dass die Umsetzung »extrem schwer« sein kann. Denn die muslimischen Glaubensgemeinschaften sind in unterschiedlichen Verbänden organisiert, deren Zusammenarbeit nicht immer einfach ist. Musa dagegen sei unabhängig und verbandsoffen, sagt Nurdan Kaya: »Bei uns kann sich jeder Mensch muslimischen Glaubens zum Seelsorger ausbilden lassen.«So wie Eser Özal: Sie habe in ihrer Arbeit vielen Menschen helfen können, erzählt sie. Aber auch sie selbst habe bei der Seelsorge viel gelernt: »Ich bin heute ein anderer Mensch, ich kann besser zuhören, bin offener und verständnisvoller.«