Natürlich liegt es im Jubiläumsjahr des Anschlags von Martin Luthers 95 Thesen für einen Künstler, der bei einer Faschingsveranstaltung auftritt, irgendwie auf der Hand, sich in Mönchsgewand und Halskrause zu werfen – so wie man sich landläufig den Begründer des Protestantismus immer noch vorstellt. Und Oliver Tissot ist bekannt dafür, dass er seine scharfzüngigen Pointen, seine beißende Gesellschaftskritik und manche Schenkelklopf-Zote jedes Jahr in einem anderen, zum Rahmen-Thema des Vortrags passenden Gewand auf das Publikum loslässt. Doch dieses Jahr ist bei dem Nürnberger alles ein bisschen anders.

"Alleine vor der Person Luthers schon habe ich Ehrfurcht. Das ist eine völlig andere Hausnummer, als im karierten Jackett auf die Bühne zu gehen und Witze zu machen. Das muss Hand und Fuß haben", erklärt er. Und ergänzt, dass er nach intensiver Beschäftigung mit ihm festgestellt hat, dass Luther neben Karl Marx der Deutsche ist, der die Welt am nachhaltigsten beeinflusst hat. "Viel mehr noch als unsere Dichter, Denker oder Wissenschaftler. Während sich ganze Staatssysteme und Regime auf Marx berufen und beriefen, hat Luther den Kontrapunkt einer ganzen Glaubensrichtung gesetzt. Und ganz nebenbei die deutsche Sprache reformiert", kommt Tissot ins Schwärmen.

"Luther hat eine neue sprachliche Identität geschaffen"

Gerade als Künstler ringe ihm der Reformator einiges an Respekt ab. "Ich bin immer wieder verblüfft, wie kreativ dieser Mensch war", so Tissot wenige Wochen vor einem seiner wohl wichtigsten Auftritte des Jahres.

Einen Fleckerlteppich aus Kleinstaaten und entsprechenden Dialekten habe Luther durch seine Bibelübersetzung zusammengebracht, sich damals des neuesten Mediums, des Buchdrucks, bedient, und so neben einer neuen Kirche auch eine neue sprachliche Identität der Deutschen geschaffen.

Gerade als Mann des Worts verehre er Luther, sagt Tissot. "Noch besser als seine Predigten gefallen mir seine Tischreden. Diese triefen geradezu von der Lust am Leben, an der Liebe, am Genuss und machen den Mönch einfach sympathisch."

"Luther wollte, dass die Menschen lachen dürfen"

Auch zu Luther und der Fastnacht hat sich Oliver Tissot seine Gedanken gemacht. Zu seinen Lebzeiten hätten die Katholiken die Lizenzvergabe zum Spaßhaben nur für sich beansprucht, ausschließlich in der Karnevalszeit. Davor und danach sei das Leben recht trist und bemüht andächtig gewesen. "Luther wollte, dass die Menschen lachen dürfen, wann sie wollen. Und das Lachen ist immer ein Protest gegen Hierarchien", meint der promovierte Soziologe, der seine Dissertation im Jahr 2009 über das Thema "Humor als Humanfaktor zur Erreichung von Unternehmenszielen" einreichte und neben seinen kabarettistischen Auftritten häufig geplagten Managern Motivationstraining gibt.

Dabei ist Martin Luther in den Augen Tissots durchaus eine ambivalente Person. "Ich wundere mich immer wieder, warum ihn damals keiner beseitigt hat", sagt der gebürtige Österreicher. Schließlich habe man vor 500 Jahren unliebsame Personen einfacher "verschwinden" lassen können als heute. Jedoch, so Tissots Theorie, habe Luther sicherlich auf hochkarätige Fürsprecher aus der Welt des Kapitalismus zählen können, die davon profitierten, dass viele hoch verschuldete katholische Gemeinden im Zuge der Reformation ihr Tafelsilber zu Geld machen mussten.

Selbst habe der einstige Katholik der Kirche abgeschworen. Die drei Söhne erziehe er aber nach christlichen Werten und habe auch einige evangelische Theologen als Freunde, deren "innere Ruhe" er bestaune. Möglich, dass die Auseinandersetzung mit Martin Luther also auch in Oliver Tissot eine neue Selbstreflexion ausgelöst hat. Seine Fastnachts-Nummer könne man zwar ohne theologisches Studium verstehen, sie habe aber genügend Tiefgang, dass auch Insider manchen doppelbödigen Gag verstehen. Martin Luther hätte es wahrscheinlich lustig gefunden.

 

INFO: "Fastnacht in Franken" wird am 17. Februar ab 19 Uhr live im BR übertragen. Wiederholt wird die Sendung am 18. Februar um 20.15 Uhr und am 28. Februar um 12.30 Uhr.