Alle drei haben schwere Suchtkarrieren hinter sich. In seinen "besten" Zeiten schluckte Kurt H. sechs Flaschen Wodka am Tag. Andreas S. versuchte mehrfach unter Qualen, kalt zu entziehen. Claudia C. war, weil sie ihre Sucht nicht in den Griff bekam, so weit, sich das Leben zu nehmen. Der Abschiedsbrief war bereits geschrieben. Nun rühren alle drei nichts mehr an, was abhängig machen könnte. "Abstinenz ist in dieser WG Voraussetzung dafür, aufgenommen zu werden", sagt Karina Bauer, Teamleiterin der Würzburger Suchtberatung des Blauen Kreuzes.

Nicht in jedem Fall drängt das Blaue Kreuz seine Klienten zur Abstinenz. Einige der zehn suchtkranken Männer und Frauen, die in ihren eigenen vier Wänden vom dreiköpfigen Team des Blauen Kreuzes betreut werden, trinken nach wie vor mäßig. Doch in der neuen WG ginge das nicht. Würde einer der drei rückfällig, wäre das eine Katastrophe für die beiden anderen.

Schnaps schon im Babyfläschchen

Die drei sind etwa gleich alt, zwischen 51 und 58. In diesem Alter noch mal in eine WG zu ziehen – war das nicht eine schwere Entscheidung? Kurt H. lacht: "Für mich absolut nicht." Die anderen nicken. Keiner von ihnen hat eine Familie. Kontaktabbrüche, Trennungen und Scheidungen erlebten sie als Folge ihrer Sucht. "Ich habe nun immerhin wieder Kontakt mit meiner Tochter", sagt Kurt H. Via Internet nahmen die beiden Verbindung auf. Nach vier Jahren Funkstille. So erfuhr Kurt H., dass er seit zwei Monaten Opa ist.

Kurt H. hat die heftigste Geschichte zu erzählen. Bei ihm scheint Abhängigkeit programmiert: "Vor etwa 15 Jahren hat mir meine Mutter erzählt, dass sie mir Schnaps ins Fläschchen getan hatte, damit ich ruhig war." Den Vater, einen Alkoholiker, beschreibt Kurt H. als leicht reizbar und hochaggressiv.

Geldsorgen werden weggeschluckt

Als der Bub 14 war, erhielt er vom Vater sein erstes Kneipenbier. Später auf dem Bau, wo er als Spengler und Dachdecker arbeitete, wurde ständig getrunken. Nach der Heirat ging es etwas besser. Bis das dritte Kind auf die Welt kam. Kurt H. verdiente nicht genug, um eine fünfköpfige Familie zu versorgen. Er begann, die ständigen Geldsorgen wegzuschlucken.

Andreas S. entdeckte den Alkohol erst später in seinem Leben als Mittel, sich von Sorgen zu erleichtern. Zum Einschnitt kam es, als ihm vor zwölf Jahren wegen Alkohol der Führerschein abgenommen wurde: "Ich war damals selbstständiger Kurierfahrer." Den Job konnte er vergessen. Andreas S. trank immer mehr. Irgendwann stellte auch er fest, dass er ohne fremde Hilfe nicht mehr rauskommen würde aus der Suchtspirale. In einer Klinik des Blauen Kreuzes ließ er sich elf Monate therapieren. Danach zog er in die WG, wo er noch ein oder zwei Jahre bleiben möchte.

Auslöser war der Stress im Job

"Von der Soziotherapie sind wir es schon gewohnt, mit anderen Menschen zusammenzuleben", sagt Claudia C., die durch ihre rechtliche Betreuerin den dritten WG-Platz erhielt. Auslöser ihrer Suchterkrankung war massiver Stress im Job. Claudia C. war in der Industrieforschung tätig. Der permanente Termindruck führte zu schlimmen Schlafstörungen, die irgendwann einen epileptischen Anfall auslösten. In der Klinik verschrieb man ihr Schlaftabletten. Claudia C. entdeckte das als wunderbares Mittel, runterzukommen. Allmählich brauchte sie immer mehr Medikamente. Als sie keine mehr erhielt, griff sie zum Alkohol.

Fast zwei Jahre suchte das Blaue Kreuz nach einer Wohnung, um eine WG zu gründen, berichtet Karina Bauer. Der Kampf um das Pilotprojekt hat sich gelohnt, sieht sie an dem WG-Trio. Wahrscheinlich hätte es keiner der drei geschafft, nach der langen Therapiezeit auf dem extrem angespannten Wohnungsmarkt Fuß zu fassen. Vor allem zeichnet sich nach den ersten sechs Monaten ab: Die drei helfen einander tatsächlich, abstinent zu bleiben.

Noch in diesem Jahr möchte das Blaue Kreuz eine weitere WG aufmachen. Die Nachfrage ist groß.