An seinem Arbeitsplatz, dem Haus Lehmgruben in Marktheidendeld zwischen Lohr und Wertheim, sprechen die Bewohner kein Hochdeutsch, Sondern Spessartdialekt. Erouiahs erstes Vierteljahr war schwierig: "Ich habe fast nichts verstanden."
Trotz Wirtschaftswachstum hat Marokko ein großes Problem: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt je nach Schätzung zwischen 20 und 30 Prozent. "Agenturen bieten mir fast täglich junge Menschen aus Marokko an, die hier in der Pflege arbeiten wollen", sagt Pflegedienstleiterin Andrea Keller. Auf drei marokkanische Azubis, die ihr von der Marktheidenfelder Berufsfachschule für Altenpflege empfohlen wurden, hat sie sich bisher eingelassen.
Diese drei sind tüchtig im Beruf und haben vor allem ein äußerst angenehmes Wesen, lobt Keller: "Alle sind total aufgeschlossen und haben einen großen Respekt vor dem Alter." Weshalb die drei bei den Heimbewohnern bestens ankommen. Katharina Haßmüller, 84, hat vor allem Mohammed Ali Erouiah in ihr Herz geschlossen. "Das ist so ein schöner, freundlicher Mann", schwärmt die Seniorin.
Bibellesen erlaubt
Auch die Kollegen störte es nicht, dass Erouiah am Anfang oft nachfragen musste, weil er etwas nicht verstand. "Das Team hier ist absolut super", sagt der junge Mann. Inzwischen spricht er nahezu perfekt Deutsch. Deshalb stieg er im September offiziell in die Lehre zum Altenpfleger ein. Hinter ihm liegt ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), in dem er eine Menge gelernt hat. Was Pflege angelangt. Vor allem aber, was die deutsche Sprache betrifft. Sogar den Spessartdialekt kann Erouiah mittlerweile ganz gut verstehen. Wenn Katharina Haßmüller zum Beispiel von ihrem "Moo" spricht, weiß der Marokkaner, dass sie damit ihren verstorbenen Mann meint.
Heute ist Erouiah froh, dass er anfängliche Zweifel an der Altenpflege rasch besiegt hat. Ursprünglich hatte er in Marokko vier Semester Chemie und Physik studiert. Das wollte er in Deutschland fortsetzen. Doch dafür konnte er viel zu wenig Deutsch.
Stattdessen FSJ. Von Tag zu Tag gewann der junge Mann mehr Routine im Umgang mit alten Menschen. Nach fünf Monaten war für ihn klar: "Ja, ich möchte diesen Beruf erlernen." Seit September besucht er nun neben dem Job die Berufsschule. Das sei sehr interessant: "Wir haben Anatomie, aber auch Psychologie, um die alten Menschen besser zu verstehen." Die Arbeit habe ihm bewusst gemacht, welches Geschenk es ist, gesund zu sein: "Mir hat sich überhaupt die Frage nach dem Sinn des Lebens ganz neu gestellt."
Die Religion spielt keine Rolle
Von den Bewohnern, sagt Andrea Keller, habe sich niemand quergestellt, als sie vor fünf Jahren begann, FSJler und Azubis aus dem Ausland aufzunehmen. Selbst die unterschiedliche Religion spielt keine Rolle. Das Haus Lehmgruben ist eine Senioreneinrichtung der Rummelsberger Diakonie. Viele Bewohner, so auch Katharina Haßmüller, sind katholisch. Dass ihr Lieblingspfleger Muslim ist, sei überhaupt kein Problem, betont die 84-Jährige und nimmt Erouiahs Hand: "Wir alle haben einen einzigen Herrgott."
Mit seinem Charme und seiner toleranten Haltung gewann Erouiah die Herzen der alten Leute. Selbstverständlich begleitet er die Senioren in die Kirche. Da habe er überhaupt keine Berührungsängste: "Wenn das jemand mag, lese ich ihm auch aus der Bibel vor." Am Anfang wurde er gefragt: "Darfst du das denn?" Erouiah, der seinen Glauben intensiv praktiziert und den Koran gut kennt, musste schmunzeln: "Nirgendwo steht, dass mir das verboten wäre."