Aus dem Fenster seines Büros hat Hannes B. Erhardt einen Blick auf Nürnberg wie aus dem Postkartenalbum. Die Nürnberger Altstadt mit St. Lorenz und St. Sebaldus liegt unten vor ihm, oben thront die Kaiserburg. Hier am Spittlertorgraben in der Nähe des Plärrers ist derzeit das Evangelische Siedlungswerk (ESW) untergebracht, Erhardt ist neben Robert Flock dort einer der beiden Geschäftsführer.

Nürnberg ist Hauptsitz des ESW, Nürnberg ist aber auch die Stadt, in der momentan sehr viel investiert wird. An der Veilhofstraße am Wöhrder See werden 49 Wohnungen für 14,3 Millionen Euro gebaut, im neuen Wohnquartier "StadtLuft" im Ortsteil Schweinau entstehen 178 Wohnungen für 54 Millionen Euro. Erhardt freut sich, dass das Evangelische Siedlungswerk sich bei der "StadtLuft"-Ausschreibung gegen zahlreiche Mitbewerber durchsetzen konnte. "Jetzt entsteht hier das, was wir sofort in diesem Grundstück gesehen haben: ein durchmischtes, nachhaltiges Quartier mit Wohnungen für alle Lebenslagen."

Bezahlbaren Wohnraum schaffen

Dass sich das Evangelische Siedlungswerk bei Ausschreibungen vermehrt auch gegen internationale Investmentunternehmen behaupten kann, zeigt laut Erhardt einen Trend an: "Unser Konzept, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, überzeugt."

Doch was bedeutet "bezahlbar" eigentlich? Die Mieten des ESW bewegen sich bei normalen Mietwohnungen unter der ortsüblichen Vergleichsmiete – und liegen derzeit bei durchschnittlich 6,97 Euro pro Quadratmeter. Ausnahmen gibt es in beide Richtungen: beim sozialen Wohnungsbau wie auch bei außergewöhnlichen Wohnungen mit besonderer Ausstattung oder in absoluter Toplage. Menschen, die sich höhere Mieten leisten können und wollen, tragen so dazu bei, dass das ESW sozialen Wohnungsbau für viele andere umsetzen kann.

ESW-Geschäftsführer Hannes Erhardt
ESW-Geschäftsführer Hannes Erhardt mit einem Modell des SonnenTurms in Fürth an der Albrecht-Dürer-Straße. Hier wurde ein marodes Hochhaus aus den 1960er-Jahren kernsaniert. Heute gibt es dort 91 bezahlbare Wohnungen auf 14 Etagen.

Begonnen hat das ESW 1949 mit drei Angestellten und dem Nürnberger Diakonie-Pfarrer Balthasar Dyroff als ehrenamtlichem Geschäftsführer. Sie hatten den Auftrag, in einem vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Land etwas gegen die Wohnungsnot zu unternehmen. Ein Fünftel des Wohnraums auf dem Gebiet der jungen Bundesrepublik war durch den Krieg zerstört, etwa vier Millionen Wohnungen; gleichzeitig kamen 12 Millionen Menschen durch Flucht und Vertreibung nach Deutschland. Mit dem Evangelischen Siedlungswerk wurde in Nürnberg ein gemeinnütziger Bauträger gegründet, Hauptgesellschafter wurde die bayerische evangelische Landeskirche. Nicht viel später entstand die Münchner Zweigstelle, die im Landeskirchenamt unterkam.

Heute hat das ESW 315 haupt- und nebenberufliche Mitarbeiter, darunter 16 Auszubildende. Mit rund 13.000 bewirtschafteten Einheiten ist das ESW das größte evangelische Wohnungsunternehmen in Deutschland. "In den nächsten Jahren wollen wir den Bestand systematisch weiterentwickeln", sagt Erhardt. "Wir wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen, vor allem für Familien, Alleinerziehende, Studenten und Senioren." Das soll in den Metropolregionen von Nürnberg und in München geschehen, aber auch in Augsburg, Regensburg, Ingolstadt, Traunreut und Würzburg. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren rund 1.000 Wohnungen dazukommen. Das ESW kauft und saniert Häuser, baut aber auch neu. Der Eigenbestand soll auf diese Weise auf 6.000 Wohnungen steigen.

Fachkräftemangel und hohe Baukosten

Die Herausforderungen auf dem überhitzten Wohnungsmarkt sind groß. Der Fachkräftemangel, die langen Entwicklungszeiten von Projekten, aber auch die hohen Baukosten machen auch dem ESW zu schaffen.

Wohnungsbaupolitisch ist in Nürnberg aus der Sicht Erhardts in der Vergangenheit nicht immer alles optimal gelaufen. Die Stadt besitze zwar 20.000 Wohnungen, aber kaum Grundstücke zum Bauen, "das Vorkaufsrecht wurde praktisch nie gezogen". Die Bereitstellung von Bauland sei jedoch wichtig, um Bauträger anzulocken.

Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass in den deutschen Metropolen viel zu wenige Wohnungen gebaut werden. In München beispielsweise wurde der Bedarf an Neubauwohnungen seit 2016 nur zu 67 Prozent gedeckt. Die Große Koalition in Berlin wollte in der laufenden Legislaturperiode pro Jahr 375.000 Wohnungen bauen, tatsächlich stagniert die Zahl bei etwas mehr als 285.000.

Nürnberger Scheurlstraße: Apartments für Studenten
An der Nürnberger Scheurlstraße entstanden im vergangenen Jahr 48 Apartments für Studenten.

Der Immobilienmarkt ist vor allem in den Großstädten angespannt. In München sammeln derzeit die Initiatoren des Volksbegehrens "6 Jahre Mietenstopp" Unterschriften. Mietervereine, Gewerkschaften, SPD und Linke wollen durch ein Gesetz faire Wohnkosten in Bayern erreichen – und die teils extremen Mieten wenigstens einfrieren. Nicht überall, sondern in den 162 Kommunen, die laut Staatsregierung von Wohnungsmangel betroffen sind. Dazu zählen neben Nürnberg und München auch Orte in Landkreisen wie Landshut oder Forchheim.

Damit das Innenministerium im nächsten Schritt das Volksbegehren annimmt, müssen 25.000 Menschen unterschreiben. Anders als beim Berliner Mietendeckel sollen bestehende Verträge nicht geändert werden, weil die Miethöhe nicht abgesenkt werden soll. Die Mieten bei Neubauten sind nicht betroffen, um keine Bauträger abzuschrecken, außerdem sollen Genossenschaften und Vermieter, die unter dem Mietspiegel liegen, von dem Gesetz ausgenommen sein.

In Berlin ist man bereits einen Schritt weiter. Dort sollen die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen, die vor 2014 gebaut wurden, für fünf Jahre eingefroren werden.

Investitionshemmnisse sind der falsche Weg

Erhardt findet es "grundsätzlich richtig, dass man mäßigend auf den Markt einwirkt". Investitionshemmnisse seien jedoch der falsche Weg, Vermietern müsse die Bewirtschaftung ermöglicht werden, fordert er. "Knappheit erfordert nicht einfrieren, sondern bauen." Die Politik müsse sich den Weg aus der Krise etwas kosten lassen: "Sie sollte günstige Wohnungen den Unternehmen an die Hand geben, die Gutes damit tun."

Zu diesen Unternehmen gehört aus seiner Sicht das Evangelische Siedlungswerk. Von Anfang an orientierte sich das ESW an christlichen Werten. Die Tageslosung am Gründungstag 18. Juli 1949 stand in 1. Mose 2, 15: "Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte." Dem Leitwort aus der Paradiesgeschichte fühlt sich das Siedlungswerk verpflichtet. "Klimaschutz und die Bewahrung der Schöpfung beginnen vor Ort", sagt Erhardt. Wegen der Knappheit der Ressourcen und der Verantwortung für zukünftige Generationen setzt das Evangelische Siedlungswerk auf ökologische Nachhaltigkeit.

Sozialer Auftrag

Bis 2021 will das Unternehmen den Kernbestand seiner Immobilien energetisch sanieren. Zahlreiche Wohnanlagen wurden bereits mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet. Sie erzeugen damit jährlich etwa 1,55 Millionen Kilowattstunden Strom, was dem Verbrauch von 441 Haushalten entspricht. "Als christliches Unternehmen stellen wir uns der Verantwortung, die der Mensch für die Schöpfung hat", betont Erhardt. Das ESW ist außerdem nach EMAS zertifiziert und unterstützt das landeskirchliche Umweltmanagementprogramm Grüner Gockel, dem sich auch zahlreiche Kirchengemeinden angeschlossen haben. Bei allen Unternehmungen ist es das Ziel, den Verbrauch für Heizenergie, Strom, Wasser, Abfall und Reinigungsmittel zu reduzieren.

Neben der Bewahrung der Schöpfung betont das Evangelische Siedlungswerk den sozialen Auftrag: "Unser Ziel ist, auch in Zukunft Wohnraum anzubieten, der für alle Bevölkerungsgruppen bezahlbar ist", sagt Erhardt. Das ESW betreibt allein in der Metropolregion Nürnberg fünf Kindertagesstätten für insgesamt 420 Kinder, Wohngruppen für Menschen mit verschiedenen körperlichen, psychischen oder sozialen Problemen. Bayernweit verwaltet das ESW 2.350 Sozialwohnungen, 270 Seniorenwohnungen und etwa 620 Apartments für Studenten und Auszubildende.

Im Haifischmarkt Immobilienbecken bestehen

In den 70 Jahren seines Bestehens hat das Evangelische Siedlungswerk 23.000 Wohnungen gebaut. Dabei gab es immer wieder außergewöhnliche Projekte, die Aufsehen erregt haben. 1983 baute das ESW eine kleine Siedlung mit sieben Häusern in Nürnberg an der Uffenheimer Straße, um Sinti-Familien eine Heimat zu geben. 1998 entstand in Nürnberg eine Wohnanlage für alleinerziehende Mütter mit angrenzendem Kindergarten und einem Betreuungsangebot durch Sozialpädagoginnen. Und im März 2018 wurde der "SonnenTurm" in Fürth bezugsfertig, ein Hochhaus in einem sozialen Brennpunkt. Dabei wurde ein marodes 14-stöckiges Gebäude aus den 1960er-Jahren kernsaniert.

Während viele Wohnungsunternehmen auf Mini-Apartments für Kapitalanleger oder hochpreisige Eigentumswohnungen setzen, achtet das ESW auf eine vernünftige Mischung. Im SonnenTurm haben 50 der 92 neuen Mietwohnungen drei oder mehr Zimmer, sind also für Familien geeignet - mehr als ein Drittel der Wohnungen ist barrierefrei.

Kann man mit sozialer Ausrichtung auch künftig im Haifischbecken Immobilienmarkt bestehen? Erhardt blickt aus dem Fenster, über die Dächer der Altstadt und ihre Kirchtürme zu Füßen der Kaiserburg. "Für einen langfristigen Erfolg muss sich das ESW an den Vorgaben des Markts orientieren", sagt er. "Aber es darf seine christlichen Grundsätze nicht vergessen."