Als Baiersdorfer Bürger die Formulare für den Zensus 2011 ausfüllten, hatte sicher keiner von ihnen gedacht, dass er sich damit eines Feiertags berauben könnte. Doch nach den Ergebnissen der bundesweiten Befragung gibt es in der Kleinstadt zwischen Erlangen und Bamberg 53 Einwohner evangelischer Konfession mehr denn Katholiken. Der Feiertag Mariä Himmelfahrt, der in Bayern nur noch dort gilt, wo die Bevölkerung mehrheitlich katholisch ist, wäre damit abgeschafft. Ähnliche Verhältnisse herrschen im oberfränkischen Speichersdorf und in Memmingerberg im Unterallgäu.

Ob es denn wirklich so weit kommt, das freilich liegt noch im Ungewissen, erklärt Baiersdorfs Bürgermeister Andreas Galster am runden Konferenztisch in seinem Büro: "Unsere Zahlen sprechen eine andere Sprache." Das Baiersdorfer Einwohnermeldeamt verzeichnet genau 60 Katholiken mehr - ein spiegelbildliches Ergebnis. Die Angaben zur Religionszugehörigkeit waren 2011 freiwillig, die so exakt anmutende Zahl 53 nur das Ergebnis einer möglicherweise fehlerbehafteten Hochrechnung, vermutet Galster.

Mariä Himmelfahrt ist in 1.7000 Gemeinden in Bayern Feiertag

Tatsächlich will sich auch das Bayerische Landesamt für Statistik nicht endgültig festlegen. "Richtig ist, dass wir im Moment zehn Orte unter Beobachtung haben, bei denen sich eine Änderung ergeben könnte", sagt Pressesprecher Gunnar Loibl. Endgültige Ergebnisse sind nach seiner Aussage erst Anfang 2014 zu erwarten. Bis dahin gelten die Zahlen der Volkszählung von 1987.

Demnach haben 1.700 bayerische Gemeinden an Mariä Himmelfahrt frei, in 356 Städten und Gemeinden, von denen die meisten in Ober- und Unterfranken liegen, muss gearbeitet werden. Das knappste Ergebnis gab es 1987 im oberfränkischen Warmensteinach: Dort gaben 22 Protestanten mehr den Ausschlag gegen den Feiertag.

Gegen die Ergebnisse des Zensus von 2011 regt sich bundesweit Widerstand auf kommunaler Ebene, vor allem, weil Gemeinden mit nurmehr vermeintlich weniger Einwohnern staatliche Zuwendungen verloren gehen. Auch in Baiersdorf will der Stadtrat möglicherweise Rechtsmittel gegen die Abschaffung des Feiertags einlegen.

Mariä Himmelfahrt ist katholisches Hochfest

Leo Förster, evangelischer Pfarrer von Baiersdorf, stellt eine grundsätzlichere Frage: "Ich halte es für fragwürdig, einen Feiertag von der Majorität einer Konfession abhängig zu machen." Wenn die Konfessionen fast gleich stark seien, wie in Baiersdorf, führe das zu einer "Erbsenzählerei". Wichtiger sei ohnedies das gute ökumenische Verhältnis vor Ort.

Ein "richtiger" Feiertag war Mariä Himmelfahrt hier ohnehin nie, ergänzt sein katholischer Amtskollege Mathew Kiliroor: Denn viele der 8.000 Bürger arbeiten im benachbarten evangelischen Erlangen. Die Festgottesdienste finden bei ihm deshalb sowieso immer am Abend statt. Dabei werden Heilkräuter gesegnet, erklärt der Theologe aus Indien das wichtigste Brauchtum um den Tag in der Mitte des Augusts: "Vorher werden diese Kräuter und auch Blumen von Großeltern mit ihren Enkeln gesammelt." Dabei wird erklärt, welche Pflanze gegen welches Leiden hilft. "So wird Wissen von einer Generation zur anderen weitergegeben", meint Kiliroor. In Baiersdorf ist der Frauenbund dafür zuständig, der auch eine eigene Kräuterexpertin hat. Man nimmt die gesammelten Kräuter mit nach Hause und hängt sie in der Wohnung auf; früher hat man sie den Nutztieren unters Futter gemischt.

Das katholische Hochfest geht auf die Zeit der Alten Kirche zurück. Cyrill von Alexandrien hat es im 5. Jh. eingeführt: "Dass Maria die Verwesung nicht erlebt hat, das war ein Glaubenszeugnis schon von Anfang an - auch wenn es sich nicht von der Bibel her belegen lässt." (Kiliroor). Als Papst Pius XII. im Jahr 1950 die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel dogmatisierte, führte er keineswegs eine Neuerung ein. "Dogmen werden festgestellt, es handelt sich um Glaubensüberzeugungen der Kirche, die vorher einfach nicht so deutlich ausgedrückt worden waren", betont er.

Wie Baiersdorf katholisch wurde

Die Baiersdorfer, die am Fronleichnamstag 1525 den letzten katholischen Priester vertrieben hatten, sahen das freilich anders. Wie in der ganzen Markgrafschaft galt ab 1528 die neue Lehre der Reformation. Erst als das Land mitsamt seinem Oberamt Baiersdorf im 19. Jahrhundert an Bayern fiel, zogen wieder die ersten katholischen Familien ein, erklärt Bürgermeister Galster, der selbst evangelisch ist. Die Bäckersfamilie Buschner war die Erste. Auch heute wird am Ort ihrer ehemaligen Arbeitsstätte noch gebacken.

Als die Katholiken nach Baiersdorf kamen, gingen die Juden, die zeitweise bis zu einem Drittel der Bevölkerung ausgemacht hatten. Die markgräfliche, später preußische Politik sei Juden gegenüber offener gewesen, führt Galster aus: "Außerdem war die hier heimische, jüdische Familie Seeligmann in der neuen Welt sehr erfolgreich: Das war möglicherweise ein Ansporn für die verbliebenen Juden, in Amerika ihr Glück zu suchen."

Doch erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs explodierte die Zahl der Katholiken. Viele der aufgenommenen Flüchtlinge waren katholisch, eine neue, größere katholische Kirche wurde in den 1960er-Jahren notwendig. Katholisch geprägte Dörfer wurden eingemeindet. Als sich dann auch noch durch die Volkszählung 1987 herausstellte, dass es mehr Katholiken als Protestanten gab, da war die Aufregung groß, erinnert sich der Bürgermeister, der schon sein ganzes Leben in Baiersdorf verbringt: "Die jahrhundertealte Traditionslinie war gebrochen."

"So wie’s kommt, so nehmen wir’s dann eben."

Tatsächlich erinnert der Feiertag Mariä Himmelfahrt im Wesentlichen an die konfessionellen Verhältnisse in der Entstehungszeit Bayerns - Ausnahmen wie Baiersdorf bestätigen die Regel. In sieben bisher mehrheitlich evangelischen Gemeinden könnte der Zensus 2011 eine umgekehrte Folge haben, nämlich in Walsdorf bei Bamberg, Maßbach, Sulzdorf an der Lederhecke, Geiselwind, Thüngen und Gochsheim (alle Unterfranken) und Leipheim (Schwaben). Hier wird möglicherweise ab 2014 Mariä Himmelfahrt gefeiert, da die Katholiken nun dort die Mehrheit haben.

Insgesamt allerdings hat die katholische Kirche in Bayern nach den Ergebnissen des Zensus an Boden verloren: So gehören heute noch 54,8 Prozent der Bayern der katholischen Kirche an (1987: 67,2 Prozent). 20,7 Prozent sind evangelisch (1987: 23,9 Prozent), dagegen zählen sich bereits 24,4 Prozent (1987: 8,9 Prozent) zu keiner der beiden großen Konfessionen mehr.

In Baiersdorf erweist sich nun die Langlebigkeit von Traditionen. Doch die Bevölkerung nimmt es gelassener als vor 30 Jahren. Ein katholischer Ladenbesitzer, der Gartenmöbel vertreibt, wundert sich ohnehin, weswegen es in Deutschland so viele Feiertage gebe. In seiner Heimat Polen hat man nur an Fronleichnam frei. Und eine Schneiderin, die ihren Laden in der gleichen Straße betreibt, ergänzt: "So wie’s kommt, so nehmen wir’s dann eben."