Seit Monaten gibt es viele verschiedene Protestaktionen gegen die Räumung des RWE-Geländes in Lützerath. Demonstrationen, Gebete und auch Gottesdienste werden seit Monaten abgehalten, um sich friedlich für den Erhalt des Weilers einzusetzen.

Am Mittwoch unterbrach die Polizei Teilnehmenden beim Feiern eines Gottesdienstes. Laut der ökumenischen Initiative "Die Kirche(n) im Dorf lassen" mit der Begründung, dass es sich bei der Veranstaltung nicht um einen Gottesdienst, sondern um eine unangemeldete Versammlung handelt. Während des Verlaufes habe man festgestellt, dass die Veranstaltung politisch und von daher anmeldepflichtig sei. Die Gruppe sieht sich in ihrer Religionsausübung gestört.

Politischer Protest und Gottesdienste - keine unbekannte Kombination

Politische Proteste und Kirchen sind schon öfter eine Verbindung eingegangen. So waren die Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche in den 80er Jahren wichtige Grundpfeiler für die friedliche Revolution in Ostdeutschland. Auch in vielen ethischen Fragestellungen und gesellschaftlich relevanten Themen wird die Stimme der Kirche oft gehört und wahrgenommen.

Ob das gut ist oder nicht, ist ein anderes Thema. Die Kirchen und religiöse Gemeinschaften sind Teil der Gesamtgesellschaft, in ihnen finden sich Mitglieder, die sich eine Orientierungshilfe fürs Leben auf Grundlage ihrer Schriften und Werte wünschen. Das führt dazu, dass aktuelle gesellschaftliche Themen oftmals auch Eingang in die Gemeinden und Vereinigungen finden.

Religiöse Gemeinschaften können sich also dem politischen Leben nur schwer entziehen. Es wundert es also nicht, dass der ein oder andere Gottesdienst ernsthafte politische Themen beinhaltet. Oder das Friedensgebet abgehalten werden, wenn die Worte fehlen. Oder das der Einsatz und die Hilfe für Menschen am Rande der Gesellschaft zahlreiche ehrenamtliche Helfer*innen findet.

Auch in Lützerath steht der politische Protest im Fokus gläubiger Christ*innen

So geschehen auch in Lützerath. Seit mehreren Jahren setzt sich dort die ökumenische Initiative "Die Kirche(n) im Dorf lassen" für den Erhalt bedrohter Kirchen im Rheinischen Braunkohlerevier ein und betrachtet diesen Einsatz als untrennbar verbunden mit dem  Kampf für globale Klimagerechtigkeit.

Auch der Erhalt von Lützerath wurde und wird von der Initiative unterstützt, monatelang feierte man auf dem Gelände Gottesdienste. Damit hat sich die Initiative klar politisch positioniert, aber dennoch auch die Ausübung ihrer Religion in den Fokus gestellt.

Gottesdienst statt Corona-Demo 2020 in München

Ein wenig anders geschah das im November 2020 bei einer großen Corona-Demo in München. Weil sich mehr als 1000 Menschen trafen, aber für Gottesdienste Sonderregeln herrschte, beschloss man kurzfristig statt einer Kundgebung einen Gottesdienst abzuhalten. Da Inhalt und Charakter eines Gottesdienstes für die Polizei ersichtlich schien, wurde die Versammlung damals nicht aufgelöst, sondern die Teilnehmen konnten zusammen Gottesdienst feiern.

Die Frage, die sich bezüglich dieser beiden Gottesdienste stellt:

Wer hat die Deutungshoheit zu bestimmen, was ein Gottesdienst ist und was nicht?

Der Staat und die Polizei? Die katholische und evangelische Kirche? Was würden die Kirchen als Gottesdienst festlegen - Bibellesung und Gebet? Diese Festschreibung würde alle anderen religiösen Vereinigungen und Gemeinschaften vor den Kopf stoßen.

Denn Kirchen können nur für sich und ihre Mitglieder festlegen, was ein Gottesdienst ist, nicht für alle religiöse Gemeinschaften. Der Staat jedoch kann sicherlich auch nicht einfach so festlegen, was ein Gottesdienst ist und wie er inhaltlich gefüllt sein muss, das obliegt den religiösen Gemeinschaften.

Bei Wahl des Gottesdienstortes kann der Staat Einfluss nehmen

Was der Staat festlegen darf: Wo Gottesdienst gefeiert wird. Zumindest wenn er nicht auf kirchlichem oder privatem Gelände stattfindet. Denn auf öffentlichen Plätzen kann der Staat Vorgaben und Bestimmungen machen, beispielsweise müssen bei Gottesdiensten auf öffentlichem Gelände verständlicherweise Rettungswege und Feuerwehrzufahrten zugänglich bleiben.

Zu mehr hat der Staat kein Recht, ist der Gottesdienst als Religionsausübung durch das Grundgesetz geschützt. So darf politischer Protest in Form von Gottesdiensten statt finden. Und kann natürlich auch missbraucht werden.

Gottesdienst ist eben nicht gleich Gottesdienst und Demonstration ist nicht gleich Demonstration.