Pro: Frühe Schwangerschaftsabbrüche dürfen nicht länger kriminalisiert werden

Ich bin Pfarrerin und Mutter. Und ich bin für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten Schwangerschaftsmonaten. Das sage ich laut. Und das muss laut gesagt werden! Denn Schwangerschaftsabbrüche finden hierzulande immer noch unkontrolliert, tabuisiert, kriminalisiert und unterversorgt statt. Um die Lage von Schwangeren zu verbessern, kann eine Legalisierung beitragen. Denn es macht einen Unterschied, ob ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten Unrecht ist oder Recht.

In der Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche ist häufig von selbst ernannten, meist auch frommen "Lebensschützer*innen" die Rede vom "ungeborenen Leben". Doch das ist eine Verzerrung der Debatte. Es macht Abtreibungsbefürworter wie mich zu Gegnern des Lebens.

Ich bin nicht gegen das Leben. Ich bin für das Leben. Und für körperliche Selbstbestimmung. Die Rede vom "ungeborenen Leben" ist sprachlich manipulativ. Es wird dadurch ein Interessengegensatz herbeigeführt, der schwangere Person und Embryo gegenüberstellt. Doch Schwangere und Embryo können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Es kann nicht gegen und über die schwangere Person entschieden werden. Nur von und mit der schwangeren Person.

Paragraf 218 ist staatliches Eingreifen in den schwangeren Bauch. Mehr noch: Es ist patriarchale Macht über schwangere Körper, insbesondere Frauen. Wenn ich auf mein Demoschild "Mein Bauch gehört mir" schreibe, dann geht es mir um reproduktive Selbstbestimmung. Das heißt: Niemand darf zu einer Schwangerschaft oder einem Abbruch gezwungen werden. Es darf aber auch niemand am Schwangerwerden und am Schwangersein gehindert werden.

Die reproduktive Selbstbestimmung führt nicht, wie oft erwartet, zu vermehrten Schwangerschaftsabbrüchen. Sie bedeutet auch nicht, dass schwangere Menschen abtreiben müssen. Nein – eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bietet Platz für Freiheit, die alle schwangeren Menschen mit einbezieht, in all ihrer Verschiedenheit, von Abtreibungsgegnern bis hin zu -befürwortern.

Und das ist für mich evangelisch: mich für Freiheit und Selbstbestimmung für alle Menschen einzusetzen. Menschen in schwierigen Lebenslagen nicht zu verurteilen, sondern zu begleiten. In Ambiguität. Für das Leben. Das sage ich laut. Mit Demoschild in der Hand und mit Kreuzkette um den Hals. (Maike Schöfer)

Contra: "Nein, aber" muss bleiben – Lebensschutz wirklich ernst nehmen

Der Jubel der Französinnen über die "Freiheit zur Abtreibung" befremdet. Doch auch für viele Protestantinnen scheint es nur eine akzeptable Lösung zu geben: Legalisierung. Da muss ich mal persönlich werden: Ich habe zwei Töchter und zwei Söhne – und zwei Abtreibungen. Bei den letzten beiden Schwangerschaften waren die Umstände und der Vater sehr dagegen und Abtreibung (in Berlin) sehr leicht.

Alle waren lieb zu mir. Niemand ermutigte mich, das Kind auszutragen. Dabei soll die Beratung "Perspektiven für ein Leben mit dem Kind eröffnen" und der Frau "helfen", eine "gewissenhafte Entscheidung zu treffen", wie es im einschlägigen Paragrafen 219 heißt.

Bei meiner Beratung war es umgekehrt. Mir wurde geholfen, mich zu einem "Nein" durchzuringen. Abgekämpft vom Leben mit kleinen Kindern in einer auf Selbstoptimierung und -vermarktung fixierten Gesellschaft fehlte mir die Kraft, gegen Widerstände voll überzeugt "Ja" zum Leben in meinem Bauch zu sagen.

Es ist nicht so, dass ich Schuldgefühle habe. Eher Vermissensgefühle, wie bei jedem Verlust. Im Nachhinein hätte ich mir eine ergebnisoffene Beratung gewünscht, denn ein Abbruch ist keine neutrale medizinische Dienstleistung, auch wenn der technizistische Name der "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" Sachlichkeit nahelegt. Eine Pflicht zur Beratung fordert sie nicht.

Mag sein, dass das Strafrecht nicht der richtige Ort dafür ist, aber "Freiheit" ist eine noch weniger stimmige Rubrik. In deren Namen wird ungeborenes Leben aufgeteilt: in ein Zwölf-Wochen-Bündel, dessen Tötung nicht strafbar ist, und einen Danach-Körper, für den das Strafrecht zuständig ist. Das ist Willkür.

Jede Schwangerschaft betrifft Körper und Seele – und Gott. Eine Abtreibung ist kein Grund zum Triumphieren, sondern ein notwendig mieser Kompromiss mit dem Leben und mit dem Tod. Die mühsam errungene "Nein, aber"-Regelung muss bleiben. Individuelle "Perspektiven" für ein Leben mit Kindern reichen nicht. Es muss vielmehr gesamtgesellschaftlich alles getan werden, um Kinder willkommen zu heißen – und Eltern das Leben radikal zu erleichtern. (Katharina Körting)

Kommentare

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fritz-martin@web.de am Fr, 24.05.2024 - 23:55 Link

Ich bin schwer beeindruckt von der lebenskundlichen, philosophischen und empathischen Tiefe und Differenziertheit von Katharina Körting. Hier sind Kinder und Mütter und Väter gut aufgehoben.
Diese Tiefe fehlt Maike Schöfer völlig. Sie wiederholt Schlagworte, die durch gebetsmühlenartige Wiederholung auch nicht wahrer werden: "unkontrolliert, tabuisiert, kriminalisiert und unterversorgt" - wo hat sie denn das her? Ein Blick auf die Seite des https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/schwangerschaft-und-kinderw… = Bundesministerium für Familie... erweitert hier den Kenntnisstand deutlich. Gott sei Dank verlief die Diskussion über dieses Thema seit den 1970er Jahren nicht so platt, wie sie Maike Schöfer führt. Da kann ich als 70-jähriger Vater, Großvater, SPD-Mitglied und Kirchenvorstand in Bayern (aha!) ein klein bisschen mitreden.
Gibt es keinen Chefredakteur, der mal sagt: "Das ist doch ein bisschen zu platt und zu dünn?"