München, Würzburg (epd). In mehreren Städten haben Vertreter der israelitischen Kultusgemeinden und Politiker der Opfer der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 gedacht. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, forderte am Dienstag in München eine Erneuerung des Versprechens von Respekt, Toleranz, Sicherheit und Anerkennung für alle Menschen. Zentralratspräsident Josef Schuster übte bei einer Gedenkveranstaltung in Würzburg scharfe Kritik an Corona-Leugner, die "Seit' an Seit' mit Rechtsextremisten" demonstrierten.

Schuster richtete sich am Dienstag bei der Gedenkfeier in Würzburg gezielt an Corona-Leugner, Querdenker und Impfgegner, die sich "den gelben Stern anheften und sich als vermeintliche Opfer gerieren und damit den Holocaust relativieren". Die Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit "hätten gejubelt", wenn sie damals lediglich die Pandemie-Beschränkungen hätten erdulden müssen. Es sei skrupellos, sich einen gelben Stern mit der Aufschrift "ungeimpft" anzuheften oder sich mit dem jüdischen Schoah-Opfer Anne Frank zu vergleichen, sagte Schuster laut Redemanuskript.

Der Zentralratspräsident sagte, man könne aus der Pandemie lernen. Durch die medizinisch notwendigen Einschränkungen der Grundrechte sei vielen erst einmal wieder bewusst geworden, "welche Freiheiten wir vorher ganz selbstverständlich genossen haben". Viele hätten sie nicht mehr wertgeschätzt. Er hoffe deswegen, "dass wir 2022 in eine Phase der neuen Wertschätzung und damit eines verstärkten Engagements für die Demokratie eintreten", erläuterte Schuster: "Wir brauchen nicht nur mehr ökologischen Klimaschutz, sondern auch einen gesellschaftlichen Klimawandel."

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, verwies in ihrer Rede zum Jahrestag des 9. Novembers 1938 im Alten Rathaus München auf die "Fliehkräfte", die 70 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik "den einst unumstrittenen Konsens des Gedenkens" an die Opfer des Holocaust bedrohten. Die Angriffe kämen dabei "nicht mehr nur von Verwirrten an den Rändern - sondern von Überzeugungstätern mitten in der Herzkammer der Demokratie, in unseren Parlamenten", sagte sie laut Redemanuskript.

Die IKG-Präsidentin schilderte den Schrecken der Pogromnacht, die sie als Sechsjährige mit ihrem Vater in der Münchner Innenstadt erlebte. Sie erinnerte darüber hinaus an die Opfer der Verhaftungswelle jener Nacht: "Fast 1000 jüdische Münchner wurden in dieser Nacht nach Dachau verschleppt und teils schwerst misshandelt. Viele überlebten diese Tortur nicht." Diese Vergangenheit immer wieder zu reflektieren, habe nichts mit Schuld zu tun, "aber alles mit Verantwortung", sagte Knobloch, die auch Beauftragte für Holocaust-Gedenken des World Jewish Congress (WJC) ist.

In der Nacht auf den 10. November 1938 gingen die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit im Deutschen Reich über. Es brannten Synagogen und jüdische Geschäfte, Wohnungen wurden verwüstet und jüdische Bürger misshandelt. Die Mehrzahl der Synagogen und jüdischen Gebetshäuser ging in der Pogromnacht in Flammen auf. Das öffentliche Leben der Juden in Deutschland kam danach völlig zum Erliegen.