München (epd). Die von der Ampel-Koalition im Bundestag durchgesetzte Freigabe des Cannabis-Konsums erntet vielfältige Kritik. Ärztepräsident Klaus Reinhardt forderte die Bundesländer auf, das Gesetz im Bundesrat aufzuhalten und den Vermittlungsausschuss anzurufen. Insbesondere die von der CSU geführte bayerische Staatsregierung läuft Sturm gegen die Liberalisierung. Sie hat nicht nur gesundheitliche Bedenken, auch der Mehraufwand für die Justiz ist laut Justizminister Georg Eisenreich (CSU) enorm.

Ärztepräsident Reinhardt sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Samstag), bei den Bundesländern gebe es wegen vielfältiger Warnungen von Ärzteschaft, Justiz, Polizei und Pädagogen über die Parteigrenzen hinweg erhebliche Bedenken. Der richtige Ort, diese zu artikulieren, sei der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat: "Hier muss dieses Gesetz frei von parteipolitischen Zwängen noch einmal grundsätzlich überdacht werden", sagte der Mediziner: "Das Cannabisgesetz ist ein kleinteiliger, politischer Formelkompromiss, der die selbst gesetzten Ziele eklatant verfehlt." Jugendliche würden nicht geschützt, sondern großen Risiken ausgesetzt. Justiz und Polizei würden nicht entlastet, sondern gravierend überlastet.

Nach einer turbulenten Debatte hatte der Bundestag am Freitag in Berlin die Teilfreigabe von Cannabis für Erwachsene beschlossen. Das Gesetz sieht vor, dass vom 1. April an Personen ab 18 Jahren bis zu 50 Gramm Cannabis zum eigenen Verbrauch besitzen dürfen. Der private Anbau von bis zu drei Pflanzen wird erlaubt. Von Juli dieses Jahres an soll der gemeinschaftliche Anbau in Cannabis-Clubs ermöglicht werden, aus dem die Mitglieder begrenzte Mengen beziehen dürfen. Für die Clubs und den öffentlichen Konsum gibt es zahlreiche Regeln. Die Innenminister der Bundesländer halten sie für nicht praktikabel.

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sagte am Sonntag laut Mitteilung, aus seiner Sicht gehe die Forderung zur Legalisierung von Cannabis "grundsätzlich in die falsche Richtung". Der Zusatzaufwand für die Justiz durch das Gesetz sei "bereits jetzt enorm". Es führe zur Mehrarbeit bei den Staatsanwaltschaften und bei den Gerichten, weil das Gesetz eine rückwirkende Amnestie beinhaltet. "Gefangene, die unter die neuen zulässigen Höchstmengen für Cannabis fallen, müssen umgehend entlassen werden", sagte Eisenreich. Die Vollstreckung nicht bezahlter Geldstrafen müsse ebenfalls umgehend eingestellt werden.

Dazu müssten die Staatsanwaltschaften "Akte für Akte per Hand überprüfen", sagte Eisenreich. Alleine die Münchner Staatsanwaltschaften hätten bereits vorsorglich mehrere Tausend Akten durchgesehen. Noch komplizierter werde es bei Tätern, die gleichzeitig wegen weiterhin strafbaren Verhaltens verurteilt wurden. "In sogenannten Mischfällen müssen die Strafen in komplizierten Verfahren von den Gerichten neu verhängt werden", sagte Eisenreich. Das ganze Ausmaß der Mehrarbeit durch rückwirkende Amnestie für die Justiz sei

Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) hatte bereits vor der Bundestagsentscheidung angekündigt, dass der Freistaat Möglichkeiten einer Klage prüfen wolle. Am Freitag erklärt sie außerdem, die Ampel-Koalition allein trage die Verantwortung, wenn der Cannabis-Konsum künftig steige, sich mehr Menschen Suchtrisiken aussetzten und ihre psychische Gesundheit gefährdeten, der Verkehr unsicherer werde und Polizei und Justiz zusätzlich belastet würden.

Die Fachärzte für Psychotherapie und Psychiatrie bekräftigten ihre Kritik, die im Gesetz vorgesehene Altersgrenze von 18 Jahren sei zu niedrig. In diesem Alter sei die Hirnentwicklung noch nicht abgeschlossen, regelmäßiger Cannabis-Konsum könne zu großen Schäden führen, erklärte die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.

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