Die Krankheitsgeschichte von Wolfgang Behrens (Name geändert) begann schon vor Jahrzehnten. Als er acht Jahre alt war, stellten die Ärzte Blut in seinem Stuhl fest. Die Probleme nahmen zu, schaukelten sich kaskadenartig auf. Mittlerweile ist der 52-jährige Bremer schwerstpflegebedürftig. Er hat einen künstlichen Darmausgang, Lunge, Herz und Nieren sind angeschlagen, die Knochen porös. Doch er lebt weitgehend selbstständig in einer rollstuhlgerechten Wohnung. Täglich kommt ein ambulanter Pflegedienst.

Trotz allem sagt Behrens mit fester Stimme: "Ich will leben." Und tut selbst viel dafür, damit er durch den Tag kommt. Wichtige Dinge hat er in Griffweite um sein Bett postiert. Außerdem hat er ein Netzwerk von Unterstützenden geknüpft, das ihm hilft: ein Berater des Pflegestützpunktes im Land Bremen, seine Ärztin, ein guter Sanitätsdienst und Reinhard Leopold vom BIVA-Pflegeschutzbund.

Auf der anderen Seite machen ihm die Krise der ambulanten Pflege sowie Finanzierungsprobleme mit der Pflegekasse und der Sozialbehörde das Leben unnötig schwer. So war es nicht einfach, mit dem höchsten Pflegegrad 5 überhaupt eine ambulante Versorgung zu finden. "Diese Komplexität meiner Erkrankungen - das wollen viele gar nicht hören", berichtet Behrens, der auch Angst hat, dass ihm der Pflegevertrag gekündigt wird.

"Seit Beginn des Jahres hören wir vermehrt, dass ambulante Pflegedienste den Pflegevertrag kündigen und die Versorgung kurzfristig einstellen."

Damit ist er nicht alleine. "Krankenkassen und Pflegedienste in Deutschland sind nicht gesetzlich verpflichtet, notleidende Menschen zu versorgen", sagt die Sprecherin des Angehörigen-Bundesverbandes "Wir pflegen", Edeltraut Hütte-Schmitz. "Das erlaubt Pflegediensten, nur noch Anfragen von Menschen in niedrigen Pflegegraden anzunehmen, die einfach erledigt und abgerechnet werden können."

Weil Personal und die Refinanzierung der Kassen fehlen, entscheiden Leistungsanbieter zunehmend nach marktwirtschaftlichen Kriterien, wen sie versorgen können. David Kröll vom BIVA-Pflegeschutzbund: "Seit Beginn des Jahres hören wir vermehrt, dass ambulante Pflegedienste den Pflegevertrag kündigen und die Versorgung kurzfristig einstellen. Hier müsste der Verbraucher stärker geschützt werden."

Dazu kommen weitere grundlegende Probleme, die die Lage von Menschen wie Behrens zuspitzen. Der Bremer Pflegeökonom Heinz Rothgang sieht eine ganze Reihe von Ursachen, insbesondere aber den Personalmangel in der ambulanten Pflege, die schlechte Zahlungsmoral der Kostenträger und unzureichende Honorare für ambulante Leistungen.

Der Antrag auf ergänzende "Hilfe zur Pflege" bliebt monatelang bei der zuständigen Sozialbehörde liegen, unbearbeitet

Besonders dramatisch bei Wolfgang Behrens: Weil sein Pflegeaufwand nicht mit den üblicherweise zur Verfügung stehenden Mitteln abgedeckt werden kann, hat der Pflegestützpunkt für ihn ergänzende "Hilfe zur Pflege" beantragt. Das Schriftstück blieb aber über Monate bei der zuständigen Sozialbehörde liegen, unbearbeitet. Die Folge: Ein Finanzierungsloch von monatlich etwa 2.000 Euro. Glück im Unglück, dass der Pflegedienst bisher bei der Stange geblieben ist. "So treiben Behörden Anbieter sehenden Auges in die Insolvenz", kritisiert Reinhard Leopold, der Behrens seit Jahren als ehrenamtlicher Interessenvertreter von pflegebetroffenen Menschen begleitet.

Besonders schwierig ist die Situation auf dem Land, wo Pflegedienste beispielsweise mit längeren Anfahrtswegen umgehen müssen. "Die Wegepauschalen sind aber wie in der Stadt", verdeutlicht Anja Ahlers, Geschäftsführerin der Diakonie-Sozialstation Tarmstedt bei Bremen, die aufgrund der schwierigen finanziellen Bedingungen gerade ein Insolvenzverfahren in Eigenregie durchläuft.

Das, was der Dienst für seine Arbeit bekomme, sei völlig unzureichend, sagt Ahlers: "Für eine Grundpflege haben wir 17 Minuten und bekommen 17,12 Euro. Stützstrümpfe sollen wir in vier Minuten anziehen und erhalten dafür 4,80 Euro. Ich habe selbst über zwölf Minuten gebraucht. Das ist nicht einfach, wenn ein Patient mit Schmerzen und empfindlicher Haut diese Strümpfe angezogen bekommt."

"Wenn die wirtschaftliche Sicherung misslingt, bekommt Deutschland ein massives Problem bei der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen."

Wie sehr die ambulanten Pflegedienste unter Druck stehen, hat 2023 eine Umfrage unter bundesweit 526 diakonischen Diensten gezeigt. Demzufolge sind mehr als die Hälfte von ihnen in die roten Zahlen gerutscht. Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie, mahnt: "Wenn die wirtschaftliche Sicherung misslingt, bekommt Deutschland ein massives Problem bei der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen."

Das Pflegesystem müsse tiefgreifend verändert werden, fordert nicht nur BIVA-Sprecher David Kröll. "Ein Aspekt ist die Finanzierung und Reform der Pflegeversicherung, um Pflege für die Betroffenen bezahlbar zu halten und den Pflegekräften gute Arbeitsbedingungen zu bieten."

Für Wolfgang Behrens steht trotz aller gesundheitlicher Nöte und Problemen mit Pflegekasse und Sozialamt fest: "So, wie ich hier in meiner Wohnung aufgehoben bin, lebe ich noch am längsten und bin auch zufrieden."

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