Warum ist Lepra überhaupt noch ein Thema?

Kreibich: Lepra ist immer noch ein Thema, weil die Betroffenen kaum Aufmerksamkeit von Politik, Wissenschaft und der Öffentlichkeit erhalten - obwohl es jährlich noch immer rund 200.000 neue Fälle gibt. Das liegt auch daran, dass Lepra eine Krankheit der Armut ist und überwiegend im globalen Süden auftritt. In diesen Ländern sind die Ressourcen für die Gesundheitssysteme absolut unzureichend. Und für die Pharmaindustrie im globalen Norden ist Lepra leider finanziell nicht ausreichend interessant, um groß in die Erforschung eines dringend benötigten Impfstoffes oder in verbesserte Diagnostika zu investieren.

Außerdem ist Lepra auch wegen der damit verbundenen Stigmatisierung und Diskriminierung weiter ein Thema: Gerade weil Lepra als historisches Überbleibsel abgestempelt ist, erfahren betroffene Menschen Stigmatisierung. Um die Diskriminierung zu vermeiden, suchen sie oft gar keine Hilfe. Fehlender oder zu später Zugang zu einer Behandlung lässt das Risiko für schwere Krankheitsverläufe oder Behinderung erheblich steigen. Gleichzeitig kann es zu weiteren Infektionsübertragungen im Umfeld kommen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Lepra-Arbeit?

Kreibich: Leider deutlich negative. Wie der Bericht der Weltgesundheitsorganisation vom vergangenen Jahr zeigt, sind 2020 mehr als ein Drittel weniger Lepra-Patienten und Patientinnen diagnostiziert wurden als im Vorjahr. Das liegt nicht an derart stark sinkenden Infektionen, sondern daran, dass es aufgrund von Corona-Schutzmaßnahmen wie Ausgangsperren und Lockdown-Vorgaben deutlich schwieriger war, entlegene Gebiete zu erreichen - doch das sind die Hochrisikogebiete für anhaltende Lepra-Übertragungen.

Auch darüber hinaus ist es alarmierend, wie sehr die Lepradienste durch die Pandemie in den Hintergrund gerückt sind. Vielerorts kam es zu drastischen Versorgungsengpässen der Medikamententherapie für Lepra, und ohnehin schon knappes Gesundheitspersonal oder gar gesamte Kliniken wurden zum Zwecke der Covid-19-Versorgung umgewidmet.

Was macht die Suche nach einem Impfstoff und wie sind die Perspektiven auf letztlich doch einen Sieg über die Lepra?

Kreibich: Es gibt einen potenziell geeigneten Lepra-Impfstoffkandidaten namens "LepVax", an dem bereits seit 17 Jahren geforscht wird. 2021 sollte dessen Erforschung in eine entscheidende Phase gehen. Doch die geplanten medizinischen Standorte wurden für die Covid-19-Impfstoffentwicklung benötigt, und es kam erneut zur Verzögerungen.

Dennoch gibt es auch Grund zur Hoffnung. In die neue "Roadmap zur Bekämpfung der vernachlässigten Tropenkrankheiten" der WHO ist die Ausrottung der Lepra bis 2035 gezielt aufgenommen. Hierzu wird aber - neben vielen weiteren Maßnahmen - noch intensiv in die Forschung eines Impfstoffes und verbesserter Diagnostika investiert werden müssen.

Das Stichwort: Lepra

Lepra ist eine von Bakterien ausgelöste Krankheit, deren Erreger die Haut und das Nervensystem befallen. Sie äußert sich zunächst durch Hautflecken und Gefühllosigkeit an den Stellen, besonders an Armen, Beinen oder am Kopf. Verletzen sich die Erkrankten dort, spüren sie es nicht - es kommt zu folgenschweren Entzündungen und zu den typischen Verstümmelungen.

Bei rechtzeitiger Diagnose ist die Krankheit ohne dauerhafte Schäden heilbar. Wegen zu später Behandlung leiden aber weltweit schätzungsweise vier Millionen Menschen an leprabedingten Behinderungen.

Jährlich erkranken nach Schätzungen noch immer mehr als 200.000 Menschen neu an Lepra. 95 Prozent der Fälle werden aus Entwicklungs- und Schwellenländern gemeldet, die höchste Zahl an Neuerkrankungen haben Indien und Brasilien. In Deutschland werden nur einzelne Erkrankungen bekannt, bei denen sich die Patienten in Ländern mit Lepra-Vorkommen infiziert hatten.

Obwohl das Lepra-Bakterium schon 1873 von dem Norweger Gerhard Armauer Hansen entdeckt wurde, ist der genaue Ansteckungsweg bis heute nicht komplett bekannt. Angenommen wird Tröpfcheninfektion. Entgegen alter Vorurteile reicht eine einfache Berührung für eine Ansteckung nicht aus - dafür ist längerer und enger Kontakt mit einem Leprakranken nötig.

Armut mit unzureichenden Wohnverhältnissen und geschwächtem Immunsystem begünstigt eine Infektion. So war die Lepra auch im Mittelalter noch in Europa ein großes Problem. Von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit dauert es im Durchschnitt drei bis vier Jahre, es wurden sogar Fälle mit bis zu 30 Jahren bekannt.

Gegen den schon in der Bibel erwähnten "Aussatz" gibt es seit fast 40 Jahren eine wirksame Medikamententherapie aus drei kombinierten Antibiotika. Nur bei rechtzeitiger Diagnose und Einnahme lassen sich aber die Nervenschädigungen und daraus folgenden typischen Verstümmelungen verhindern. Inzwischen kommt auch die Suche nach einem Impfstoff voran: Er könnte in einigen Jahren zugelassen werden.

Geheilte Lepra-Patienten leiden oft ihr Leben lang noch unter den sichtbaren Folgen der Krankheit - nicht nur gesundheitlich, sondern auch gesellschaftlich. Noch immer werden viele von ihrer Umgebung gemieden und diskriminiert. Um auf die Not aufmerksam zu machen, wurde 1954 der Welt-Lepra-Tag eingeführt. Er fällt alljährlich auf den letzten Sonntag im Januar. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt Lepra zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs).