Mehr Zeit auf der Autobahn als mit dem eigenen Kind

Als Gerald Hupfer und seine Lebensgefährtin sich vor 18 Jahren trennten, zog diese mit dem gemeinsamen, damals dreijährigen Sohn rund 360 Kilometer weit weg nach Nordhessen. Hupfer selbst blieb im Landkreis Nürnberg wohnen. Um seinen Sohn sehen zu können, nahm der Mittelfranke alle zwei Wochen eine vierstündige Autofahrt auf sich. "Wenn ich im Stau stand oder es viele Baustellen gab, war ich manchmal hin und zurück bis zu zwölf Stunden unterwegs", erinnert sich der selbstständige Gärtner.

Als sein Sohn im Kindergarten war, fuhr er alle zwei Wochen zu ihm, von Donnerstag früh bis Sonntag am späten Abend.

"Ich habe das zwei, drei Jahre lang gemacht, aber es ging ins Geld und war kräftezehrend",

sagt der heute 52-Jährige. Als sein Sohn in die Schule kam, fuhr er nur noch einmal im Monat zu ihm. "Da er natürlich auch freitags Unterricht hatte, hatten wir noch weniger Zeit. Ich verbrachte mehr Zeit auf der Autobahn als mit meinem Sohn."

Jeder mit freiem Zimmer kann Gastgeber werden

Aus dieser Erfahrung heraus beschloss er, sich bei "kindwärts" Hilfe zu suchen, die damals noch unter dem Namen "Die Familienhandwerker" bekannt war. kindwärt vermittelt Übernachtungen bei ehrenamtlichen Gastgebern am Wohnort der Trennungskinder. Das Besuchsprogramm wird vom Bundesfamilienministerium und der Landeshauptstadt München gefördert.

Gastgeber kann jeder werden, der ein freies Zimmer zur Verfügung hat und bereit ist, dieses einer Mutter oder einem Vater für ein Besuchswochenende zur Verfügung zu stellen. "Wir laden auch Kindergärten und Familienzentren ein, ihre Räume für diese Familien zu öffnen", sagt Annette Habert, Gründerin von kindwärts. "Denn stundenlang mit dem Kind draußen unterwegs zu sein, ist für einen qualitätsvollen Umgang nur bedingt geeignet."

Bisher kamen bundesweit 1.901 Vermittlungen an ehrenamtliche Gastgeberinnen und Gastgeber zustande. "Uns begegnet eine erstaunliche Offenheit und Großzügigkeit durch alle gesellschaftlichen Schichten und Generationen", betont Habert. Die Vermittlung sei unkompliziert. Nach der unverbindlichen Anmeldung werden die potenziellen Gastgeber kontaktiert und bei einer passenden Anfrage ein Kennenlerntermin vereinbart.

Beratungsangebot für getrennt erziehende Eltern

Zusätzlich zur Vermittlung unterstützt kindwärts getrennt erziehende Eltern mit einem Beratungsangebot. Das Ziel: Elternschaft soll auch über weite Entfernungen hinweg gelebt werden können. "Wir unterstützen Eltern mit digitalen Elternabenden und haben zudem ein professionelles dreimonatiges Coaching zur Stärkung der Selbstfürsorge von Eltern eingeführt", sagt Habert.

Seit drei Jahren ist Gerald Hupfer selbst Gastgeber bei kindwärts. Über ein Jahr lang hat er regelmäßig einen Gastvater beherbergt, der aus der Nähe von Stuttgart kam. Dieser hatte einen dreijährigen Sohn, dessen Mutter bei Nürnberg wohnte. "Er war sehr höflich, hat sich ständig bedankt", erinnert sich Hupfer.

Derzeit beherbergt Hupfer einen Vater aus Berlin. "Er ist etwa einmal im Monat hier", sagt er, während er sich in dem rund elf Quadratmeter großen Gästezimmer umblickt, das er regelmäßig zur Verfügung stellt.

Der Trennungsvater aus Berlin, der seinen Namen zum Schutz seines Kindes nicht in der Zeitung lesen möchte, ist seit eineinhalb Jahren bei kindwärts gemeldet. Seit Mai vergangenen Jahres kommt er regelmäßig bei Hupfer in Altdorf bei Nürnberg unter. "Es ist eine gute Freundschaft entstanden", sagt der 40-Jährige.

Bevor er bei kindwärts war, buchte er Airbnb-Unterkünfte, um Zeit mit seinem Kind verbringen zu können. Diese seien teuer gewesen, und er habe sonntags bis spätestens mittags auschecken müssen. "Bei Gerald kann ich auch länger bleiben und habe somit mehr Zeit mit meinem Sohn."

Das Angebot "kindwärts"

Bei "kindwärts" handelt es sich um ein bundesweites Angebot, das sich an Trennungseltern richtet, die weit weg von ihrem Kind leben. Dabei vermittelt sie deutschlandweit Übernachtungen bei ehrenamtlichen Gastgeberinnen und Gastgebern am Wohnort des Kindes. Zudem unterstützt das Angebot der wellcome gGmbH die Trennungseltern mit einem pädagogischen Beratungsangebot. "kindwärts" wird vom Bundesfamilienministerium und der Landeshauptstadt München gefördert. Zuvor war kindwärts viele Jahre unter dem Namen "die Familienhandwerker" bekannt.

Interessierte Gastgeber können sich unverbindlich online registrieren. Nach der Anmeldung nimmt kindwärts telefonisch Kontakt mit ihnen auf. Sobald es eine passende Anfrage eines Vaters oder einer Mutter gibt, werden Gastgeber, die in der Nähe wohnen, telefonisch kontaktiert und können entscheiden, ob sie den Gast aufnehmen.

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Annette Habert im Interview: Elternliebe kennt keine Entfernungen

Wie Besuche eines Elternteils durch "kindwärts" einfacher gestaltet werden können, erläutert Gründerin Annette Habert im Gespräch.

Warum wurde "kindwärts" ins Leben gerufen?

Annette Habert: Die Zahl Alleinerziehender mit minderjährigen Kindern liegt bei knapp 1,5 Millionen. Von den rund 13 Millionen Kindern unter 18 Jahren lebten 2021 bereits 18 Prozent aller Kinder nur mit einem Elternteil im Haushalt. Viele Kinder leben nach der Trennung ihrer Eltern dann hunderte Kilometer weit entfernt von ihrem Papa oder ihrer Mama. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Trotz weiter Entfernung wollen beide Eltern für ihr Kind da sein. Denn Elternliebe kennt keine Entfernungen. Ein Elternteil macht sich dann monatlich auf die weite Reise zu seinem Kind, um die Bindung zu halten. Kinder brauchen ja beide Eltern. Damit das gelingt, benötigen wir ehrenamtlich engagierte Gastgeberinnen und Gastgeber am Wohnort der Kinder.

Kann jeder Gastgeber werden? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Jeder, der ab und zu Platz in den eigenen vier Wänden hat und einem anreisenden Papa oder einer anreisenden Mama eine Übernachtung anbieten möchte, kann Gastgeber werden. Uns begegnen eine erstaunliche Offenheit und Großzügigkeit durch alle gesellschaftlichen Schichten und Generationen. Die Sehnsucht von Kindern, mit Mutter und Vater gut verbunden zu sein, kennt jeder. Und viele Menschen schätzen es, wenn sie quasi ganz nebenbei über Nacht die Welt von Kindern zu einem besseren Ort machen können.

Wie läuft eine Vermittlung konkret ab?

Zunächst registrieren sich interessierte Gastgeber unverbindlich online. Wir nehmen persönlichen Kontakt auf und besprechen den Rahmen der Gastfreundschaft. Sobald wir die Anfrage eines anreisenden Vaters oder einer anreisenden Mutter erhalten, stimmen wir uns mit dem Gastgeber ab, ob er aktuell unterstützen kann. Dann erhält er von uns die Kontaktdaten des Gastes. Es gibt ein erstes unverbindliches Kennenlernen vor Ort, telefonisch oder per Zoom. Danach entscheidet der Gastgeber, ob er dem Vater oder der Mutter seine Türe öffnen möchte. Wir geben erst danach die Adresse des Gastgebers an den Vater, beziehungsweise die Mutter weiter. Besuchstermine werden individuell abgestimmt. In der Regel geht es um zwei Übernachtungen. Wenn sich alle gut verstehen, wird der Gastgeber für den anreisenden Elternteil exklusiv reserviert. Unsere Gastgeberinnen und Gastgeber werden von uns vor und nach der Vermittlung eines Gastes telefonisch betreut.

Wie kam das Angebot zustande?

 Im Jahr 2008, an einem ganz normalen Freitagmittag, vertraute sich mir der kleine Sven aus München nach der Schule mit seiner Bedürftigkeit und seinem Trennungsschmerz an. Sein Vater kam nur im Sommer und schlief dann im Auto, weil er am Umgangswochenende von weit anreiste. Die Kosten für die Übernachtung konnte er sich nicht leisten. Die Vorstellung, dass ein Kind nach dem Papa-Tag mit dem Wissen einschläft, dass sein Vater draußen auf dem Parkplatz übernachtet, hatte mich tief betroffen gemacht. Sven hatte einfach damit gerechnet, dass es für seine Sehnsucht nach Verbundensein doch irgendwen in der Welt geben würde, der ein Hoffnungsträger für neue Lösungen in seiner Familie sein könnte. Ich vermittelte den Vater an einen ehrenamtlichen Gastgeber. Bald merkte ich, dass die familiäre Situation des Jungen kein Einzelfall war, und vermittelte weitere Väter. Zunächst organisierte ich die bundesweiten Vermittlungen in meiner Freizeit vom Küchentisch aus. Doch bald wurde klar, dass das Projekt einen größeren Umfang annehmen würde.

Welche Konsequenz wurde daraus gezogen?

Unser bundesweit einmaliges Besuchsprogramm "kindwärts" ist ein Teil der wellcome gGmbH. Das gemeinnützige Hamburger Unternehmen entwickelt seit mehr als 20 Jahren innovative Angebote für Familien und möchte Eltern damit ermutigen, sich auf das Abenteuer Familie einzulassen. Erst recht, wenn die monatliche Anreise zum Lego-Spiel oder zum Spaziergang mit dem Neugeborenen für die Eltern eine ganze Tagesreise dauert. Bisher haben wir bundesweit 1.901 Vermittlungen an ehrenamtliche Gastgeberinnen und Gastgeber durchgeführt und 26.832 Eltern-Kind-Kontakte ermöglicht, damit trotz der weiten Entfernung zwischen den Elternhäusern verlässliche Mama-Tage oder Papa-Tage möglich wurden. Seit über 13 Jahren sorgen wir dafür, dass Kinder nach einer Trennung sicher sein können: Mein Papa kommt! Meine Mama kommt! Wenn Eltern und Kinder eine Solidargemeinschaft ehrenamtlicher Gastgeber erleben, werden sie sich mit ihrer besonderen Familiengeschichte in unserer Welt willkommen fühlen können.

Sie bieten neben der Vermittlung für die Trennungseltern auch Beratungsangebote an. Wie kann man sich diese vorstellen?

Fernbeziehungen sind kein Kinderspiel. Schon gar nicht für Kinder. Umgangsberechtigten fehlt der Erfahrungsaustausch mit anderen Eltern, die Tür- und Angelgespräche mit Fachkräften und in vielen Orten der Zugang zu Beratungsstellen, die am Wohnort des Kindes am Wochenende geschlossen haben. Anreisende Eltern brauchen also mehr als einen verlässlichen Übernachtungsplatz, damit Kinder auch unter multilokalen Bedingungen eine vertrauensvolle Eltern-Kind-Beziehung erleben. Wir bieten unseren anreisenden Elternteilen pädagogische Beratung und digitale Elternabende. Wir haben zudem ein professionelles dreimonatiges Coaching zur Stärkung der Selbstfürsorge von Eltern eingeführt.

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