Tim Reinhard (Name geändert) hatte sich den Familienalltag mit dem Neugeborenen anders vorgestellt. "Als unsere Kleine sechs Wochen alt war, litt sie an starken Koliken", erinnert sich der 35-Jährige, der zum Schutz seiner Familie anonym bleiben möchte. "Sie hat durchgehend geweint und gebrüllt wie am Spieß. Meine Frau bekam Panik, dass sie das ohne mich nicht schaffen würde."

Wochenbettdepression nach einer Geburt

Reinhard hatte sich für die Zeit nach der Geburt seiner Tochter einen Monat Elternzeit und zwei Wochen Urlaub genommen. Ursprünglich wollte er wieder arbeiten gehen, sobald seine Tochter sechs Wochen alt war. "Je näher der Tag kam, an dem ich wieder ins Büro gehen musste, umso schlechter ging es meiner Frau. Aus Panik wurden Hoffnungslosigkeit und Selbstzweifel. Sie dachte, sie sei eine schlechte Mutter", erzählt der Informatiker aus Frankfurt am Main.

Der Verdacht lautete eine Wochenbettdepression. "Meine Frau hat bereits vorher eine Therapie aufgrund von Depressionen gemacht, aber das war nie ansatzweise auf demselben Niveau. Wir haben uns dann Hilfe gesucht. Es gibt verschiedene Anlaufstellen in Frankfurt."

Eine davon: der Verein "Schatten und Licht", der Müttern und Vätern mit postpartalen Depressionen hilft.

Frankfurter Verein "Schatten und Licht" gibt Hilfestellung

Mit mehr als 2.000 Fachleuten und 100 Beratern unterstützt der Verein Betroffene mit Informationen und Materialien und führt bundesweite Listen von Eltern, die nach eigenen Erfahrungen zu telefonischem oder Mail-Austausch bereit sind. Die Sitzungen des Vereins besuchten die beiden dann gemeinsam. Die Gespräche mit anderen Betroffenen hätten sowohl seiner Frau aus auch ihm gutgetan, berichtet Reinhard:

"Es war hoffnungsvoll zu sehen, dass man da einen Weg herausfinden kann."

Postpartale Depression

Sarah Kittel-Schneider vom Universitätsklinikum Würzburg forscht zu psychischen Erkrankungen rund um die Zeit der Geburt eines Kindes. Wie viele Mütter und Väter nach der Geburt ihres Kindes an postpartalen Depressionen erkranken, hänge von unterschiedlichen Faktoren ab.

"Bei Müttern sind es etwa 17 Prozent, wobei die Zahlen hier in den Ländern mit hohem Einkommen niedriger sind als in den Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen", erklärt die Neurobiologin und Psychiaterin. Bei Vätern sind es etwa acht bis zehn Prozent.

Wichtig sei es, dass Betroffene sich frühzeitig Hilfe suchten und die Depressionen behandeln ließen. "Depressionen werden generell nach Schweregrad behandelt", erläutert Kittel-Schneider – und das während der gesamten Peripartalzeit, der Zeit um die Geburt herum.

Hohe Chancen auf Heilung

Bei leichten Depressionen könnten Sport und Bewegung, Achtsamkeitsübungen und Stressreduktion, psychologische Beratung sowie Unterstützung durch Hebammen und Familienhelfer helfen oder eine gesunde Ernährung, beispielsweise durch Mittelmeerkost. Bei moderaten Ausprägungen sollte zudem eine Psychotherapie oder Selbsthilfegruppen in Anspruch genommen werden.

Bei schweren Ausprägungen komme eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva hinzu. Die Chancen auf Heilung seien hoch, sagt Kittel-Schneider: "Bei adäquater, schweregrad-angepasster Therapie liegen die Genesungschancen um die 90 Prozent."

Stationäre Behandlung

Weil bei einer Wochenbettdepression Mutter und Kind bestenfalls nicht getrennt werden sollten, suchte das Ehepaar Reinhard gemeinsam nach einer stationären Betreuung. Dort wurden Frau und Tochter sechs Wochen lang untergebracht. Die Behandlung mit Antidepressiva habe zunächst heftige Nebenwirkungen gehabt, erinnert sich Tim Reinhard.

Aber glücklicherweise halfen die Medikamente dann. Nach sechs Wochen stationären Aufenthalts besuchte sie nur noch die Tagesklinik. Es ging ihr stetig besser.

"Die Wochen in der Klinik waren eine heftige Zeit. Plötzlich allein in der Wohnung zu sitzen, während Frau und Kind weg sind, war heftig. Es fiel mir schwer, mich auf die Arbeit zu konzentrieren", erinnert sich Reinhard. Dennoch hat sich das Ehepaar für ein zweites Kind entschieden. Das Ehepaar ist nun Eltern zweier Töchter, drei und fünf Jahre alt. Beim zweiten Kind traten bei der Mutter keine postpartalen Depressionen auf.

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