Die letzten Putzkolonnen packen ihre Staubsauger ein, die ersten Museumsangestellten legen das Arbeitszeug bereit. Jeder Schritt im Foyer der Münchner Pinakothek der Moderne hallt um diese Uhrzeit besonders laut. Doch plötzlich stapfen 25 kleine Kunstneulinge ins Museum und mit einem Schlag kehrt Leben ein. "Wohnt hier der Paul Klee?", fragt ein Junge.
Die Fünf- und Sechsjährigen aus einer Garchinger Kindertageseinrichtung nutzen an diesem Morgen ein Angebot der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und des Museumspädagogischen Zentrums (MPZ): Kindergärten und Schulen dürfen mit speziellen Führungen noch vor anderen Besuchern ab 8.30 Uhr in ausgewählte Museen. "So können sie sich in Ruhe und exklusiv mit den Objekten beschäftigen", erklärt Verena Eckardt vom MPZ.
"Gibt's hier auch Knochen von Dinosauriern?"
Die Führung der "Schlaufüchse", so nennt der Kindergarten seine Vorschulgruppe, übernimmt Helene Roth. Während einige noch aufs Klo gehen, toben andere um die Säulen herum. "Das ginge normal nicht", sagt die Kunsthistorikerin. Da machten es die Sonderöffnungszeiten schon entspannter: Die Kinder müssten nicht ganz leise sein und dürften auch mal länger bei einem Bild bleiben. Außerdem ist das einfach eine besondere Atmosphäre, sagt Roth: "So ganz allein im Museum."
Die Kinder sitzen auf dem Boden im Foyer. Staunend schauen sie in die großen Halle und sind voller Fragen: "Wohnst du hier?", will ein Mädchen wissen. "Wieso hast du ein Funkgerät dabei?", fragt ein Junge. "Gibt's hier auch Knochen von Dinosauriern?", ruft ein dritter. Roth muss ihn enttäuschen: "Da musst du in ein anderes Museum, wir schauen uns heute die Bilder von ..." Sie wird abrupt unterbrochen: "Coooooool!", kreischt jemand und zeigt nach oben. Alle Augen folgen dem Finger, es folgt ehrfürchtiges Raunen. Auch Roth schaut hoch: Ein Stockwerk weiter oben tuckert ein kleines Hebebühnenfahrzeug vorbei. Die Kunsthistorikerin schmunzelt: Kindergartenführungen sind anders.
Vier Wochen haben ihre Erzieherinnen die Schlaufüchse auf den Ausflug vorbereitet. Malen wie Monet, Hundertwasser und Klee - für sie ein Klacks. "Im letzten Kindergartenjahr machen wir viele Projekte und oft einen passenden Ausflug", erklärt Erzieherin Esmeray Horataci. Gerade das Thema Kunst sei dafür perfekt. "Das fesselt die Kinder voll", sagt sie: selbst Künstler spielen, kreativ sein, sich ausprobieren. Aber bereits die Ubahn-Fahrt zum Museum ist ein Abenteuer, ergänzt Erzieherin Steffi: "Manche Kinder machen nie Ausflüge."
"Ihr versteht das bestimmt", mahnt Roth bevor es losgeht: "Wenn ihr etwas ganz Schönes gemalt habt, wollt ihr auch nicht, dass es jemand anfasst." Dann motiviert sie die Kids: "Jetzt geht ihr mal so leise wie möglich die Treppe hoch!" Mit breitem Grinsen nehmen die Schlaufüchse die Herausforderung an - und spurten leise, aber mit übertrieben großen Schritten los. Von "langsam" hat schließlich niemand etwas gesagt.
"Ein Mensch mit einem Düsenrucksack"
Die Kinder sitzen vor Paul Klees "Mondaufgang". "Was seht ihr?", fragt Roth. "Ein Viereck!", "Einen Kreis", "Noch ein Viereck", rufen die Schlaufüchse. Roth erklärt, dass Klee hier aus vielen Formen eine Stadt gemalt hat. Ob sie das erkennen? "Ich sehe einen Turm", sagt ein Junge. "Ich eine Burg", ergänzt ein anderer. "Und ich einen Pferdehof", ruft ein Mädchen erfreut. Beim Bild "Über Bergeshöhe" zeigt Lena auf mehrere Dreiecke: "Das könnten Berge sein", sagt sie. Kilian findet das logisch. Doch es führt ihn zu einer anderen Frage: "Warum steht auf einem Berg eigentlich immer ein Gipfelkreuz?", will er von der Kunsthistorikerin wissen.
Die Sonderöffnungszeiten werden gut gebucht, sagt Eckardt. Gerade bei Sonderausstellungen seien Führungen gefragt und die Kapazitäten begrenzt. "Erst durch die Sonderöffnung besteht die Möglichkeit, diese Ausstellungen auch vielen Schulklassen und Gruppen aus Kindertageseinrichtungen zugänglich zu machen", erklärt die MPZ-Mitarbeiterin.
Doch warum überhaupt mit kleinen Kindern ins Museum? "So ein Besuch soll Begeisterung wecken, Entdeckerfreude unterstützen und Kreativität fördern", sagt Eckardt. Mit einer Führerin wie Roth kein Problem. Sie packt gerade bunte Formen aus und lässt die Kinder eigene Kunstwerke legen. Im Anschluss raten die anderen: "Ist das eine Fee?", Nein. "Eine Maus?" Nein. "Eine Wespe!" Nein. "Ein Bohrer!". Kilian schüttelt den Kopf und verrät, was seine Drei- und Vierecke darstellen: "Es ist ein Mensch mit einem Düsenrucksack."
Fröhlich hüpfen die Kinder weiter. Mal packt Roth Farbkarten aus und lässt zuordnen, welche Farben die Kids wiederentdecken. Mal teilt sie Papier und Stifte aus und lässt nachmachen, was auch Klee versucht hat: Dass Farben auf weißem Untergrund anders wirken als auf schwarzem. Zwischendrin ein paar Auflockerungsübungen - denn nach einer knappen Stunde werden erste Rufe laut: "Wann gibt's Brotzeit?"
Also geht es zum Abschluss in die Werkstatt. Dort dürfen Gruppen nach einer Führung selbst kreativ werden. Auf dem Weg dorthin treffen die Schlaufüchse die ersten regulären Besucher. Etwas verwundert beäugen sie die 25 lebhaften Zwergerl. "Ich finde gut, wenn auch Kinder ins Museum gehen", erklärt ein älterer Herr. Und wenn sie "sich halbwegs benehmen", störten sie ihn auch nicht. Das findet auch Roth wichtig: Dass Kinder auch zu normalen Zeiten im Museum zu sehen sind. "Es ist schließlich toll, wenn sich der Nachwuchs für Kunst interessiert", findet sie. Manchmal wünscht sie sich da mehr Toleranz von den anderen Besuchern.
"Ich wollte noch viel mehr anschauen"
Die Staatsgemäldesammlungen bieten beide Varianten: Bis Ende März haben 1.500 Kinder und Jugendliche die Pinakothek der Moderne und die Alte Pinakothek außerhalb der Sonderöffnung über ein Angebot des MPZ besucht, sagt Eckardt. Dazu kamen im selben Zeitraum 1.000 Kinder und Jugendliche während der Sonderöffnungszeiten. Insgesamt betreut das MPZ pro Jahr bei Führungen in allen Münchner Museen etwa 60.000 Kinder und Jugendliche.
In der Werkstatt stanzen die Garchinger Schlaufüchse zum Abschluss Formen aus buntem Papier. Und schon ist der Museumsbesuch vorbei. Andras ist traurig, er wollte noch viel mehr anschauen, klagt er. "Dann muss du bald mit der Mama wiederkommen", schlägt Erzieherin Steffi vor. Roth schmunzelt zufrieden: Ziel erreicht.