"Die Leute sind es eben gewohnter, von der Benachteiligung von Mädchen zu hören", sagt Peter Eckardt mit einem kaum merklichen Schulterzucken. Ein kurzer Satz, mit dem der Sozialarbeiter andeutet, warum das Projekt, für das er arbeitet, in München so einzigartig ist.

Die "Genderorientierte Jungenarbeit" (goja) des Evangelischen Jugendhilfeverbunds, ist die einzige Stelle in der Landeshauptstadt, die sich ausschließlich der Arbeit mit Jungen und jungen Männern verschrieben hat. Um die Belange junger Frauen kümmern sich in München hingegen gleich mehrere Projekte verschiedener Träger.

Spezielle Förderung für Jungs und junge Männer

Dass Jungen speziell auf sie zugeschnittene Förderung benötigen, ist eigentlich kein neues Phänomen. Auch deshalb ist vor gut zehn Jahren goja ins Leben gerufen worden. Indizien dafür, dass gerade Jungen im Schulsystem ihre Probleme haben, liefert die Statistik: Im Schuljahr 2014/15 waren 64 Prozent aller Schüler an den Förderschulen in Deutschland Jungen. Natürlich gehören auch sie zum Klientel von goja.

Zum Beispiel an diesem Dienstagvormittag: Gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Ponert und zwei Pädagoginnen von "amanda – Projekt für Mädchen und junge Frauen" besucht Eckardt die Anni-Braun-Schule, ein Sprach-Förderzentrum im Münchner Osten. Mit zwei sechsten Klassen arbeitet das Team, um Sozialkompetenzen in den Klassen zu fördern. Zunächst noch aufgeteilt nach Geschlecht in drei Jungen- und eine Mädchengruppe. Den 18 Jungen stehen nur fünf Mädchen gegenüber.

Das nimmt den Druck aus der Gruppe

Warum aber macht es überhaupt Sinn, manchmal nach dem Geschlecht zu differenzieren, wie an diesem Vormittag? Michael Ponert ist sicher, dass die Arbeit "unter Männern" einiges erleichtert: "Das nimmt oft den Druck aus der Gruppe; alle werden offener", sagt er in einer Pause. Auch jüngere Buben agierten häufig anders, wenn Frauen oder Mädchen in der Nähe sind, erzählt er – seien es nun Mitschülerinnen oder Pädagoginnen.

Zu sehen ist das in der Brainstorming-Runde mit amanda-Mitarbeiterin Katrin Schiele. Die Jungs brauchen Zeit, bis sie sich auf die Fragen einlassen. Wie sie mit Wut und Frust umgehen, will Schiele von den Zwölfjährigen wissen. "Ich schlage eine Wand ein", prahlt Martin. Erst auf sachtes Nachhaken kommen glaubhaftere Antworten – etwa dass man sich vor Frust auch mal im Bett verkriecht. Natürlich mit Handy.

Später geht es um gemeinsame Erfolgserlebnisse. "Nehmt Jonathan und Luca dazu, dann klappt's sicher", empfiehlt Ponert der Gruppe, die gerade versucht, eine knifflige Aufgabe zu lösen. Sie sollen einen anderthalb Meter von einer Startmarkierung entfernten Stift heraufangeln, ohne den Fußboden zu berühren. Und tatsächlich: Ein paar Minuten später halten sie zu viert das Gewicht eines Mitschülers, der in extremer Schräglage den Stift endlich erreicht. Gemeinsam haben sie die Aufgabe bewältigt. Ohne Berührungsängste und Konkurrenzgehabe.

Wenig öffentliche Anerkennung für Jugendarbeit

goja kümmert sich auch um ältere Schüler an Mittel-, Real- und Berufsschulen sowie Gymnasien. Dort stehen andere Themen auf dem Programm: Da geht es dann um Sexualpädagogik, Geschlechteridentität und -rollen sowie um Berufs- und Lebensorientierung.

Mit rund 1400 Teilnehmern in 115 Seminaren haben die Mitglieder des goja-Teams im vergangenen Jahr gearbeitet. Mehr war nicht zu stemmen, sagt Peter Eckardt: "Unsere zeitlichen und personellen Ressourcen sind am Limit." Rund 60 Anfragen habe man absagen müssen. Zudem gebe es weitere Einsatzfelder. Etwa die Arbeit mit den häufig männlichen minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen. "Aber diese wichtige Arbeit fällt meist hinten runter."

Deshalb würde sich das goja-Team auch über etwas mehr öffentliche Anerkennung freuen. Wenn es um öffentliche Fördermittel geht, steht die Jungenarbeit beispielsweise immer noch in Konkurrenz zur Mädchen-Arbeit. "Das Geld kommt einfach aus den gleichen Töpfen", erklärt Eckardt. Und dann seien "die Mädels häufig politisch einfach besser aufgestellt". Unter anderem, weil die Probleme junger Mädchen und Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung eben präsenter sind als die der Jungen und Männer.