Der Spatz, sagt Kathrin Lichtenauer, strahlt viel Lebensfreude aus. Das Rotkehlchen dagegen ist ein Einzelgänger und streitsüchtig, wenn es auf Artgenossen trifft. Die Frau vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) hält im AWO-Seniorenheim in Hilpoltstein (Landkreis Roth) einen Bilder-Vortrag über die heimischen Singvögel. 32 betagte Männer und Frauen, die meisten im Rollstuhl, pflichten ihren Worten ab und an nickend bei.

Lichtenauer, Beauftragte für das Projekt "Alle Vögel sind schon da", ist mit viel Gepäck nach Hilpoltstein gekommen. Gleich zwei große multifunktionale Futterstationen mit Tränke, Gitterboxen für Fettfutter und einem stattlichen Vorrat an Körnern bekommt das Heim heute. "Futterbeauftragte" Livia Lampert, ihres Zeichens Sozialdienstleiterin in der Einrichtung mit 107 Plätzen, nimmt die neue Ausrüstung für zwei große "Vogelfenster" in Empfang.

Bewohnern wieder Lust auf Natur machen

Das Haus ist eines von 76 in ganz Bayern, das am vom Pflegeministerium unterstützten Vorsorgeprojekt "Alle Vöglein sind schon da" teilnimmt. Die Resonanz auf einen ersten Aufruf an die Seniorenheime im Dezember war größer als erwartet, berichtet Lichtenauer. Sechs der Häuser werden von Patricia Heinemann und Veronika Zwerger, Mitarbeiterinnen an der Psychologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt, besonders unter die Lupe genommen. Sie betreuen die Maßnahme wissenschaftlich. Deutschlandweit zum ersten Mal soll damit auch die Wirksamkeit eines solchen Angebots dokumentiert werden, erklärt der LBV.

"Wir hoffen beispielsweise, Bewohnern mehr Lust zu machen, wieder raus in die Natur zu gehen", erklärt Heinemann. Die Beobachtung von Kleibern, Spechten und Meisen könnte aber auch ein Gedächtnistraining sein - die Wissenschaftlerinnen nennen das Training der kognitiven Ressourcen. Und sie kann die Stimmung heben, Freude machen, an alte Zeiten erinnern. Heinemann und Zwerger sprechen da von der psychosozialen Gesundheit. In drei Jahren werden sie ihre speziellen Fragebögen, die in den Pflegeheimen eingesammelt werden, ausgewertet haben. Ihre Forschungsarbeit und die Ausrüstung für die Vogelfenster finanzieren die Pflegekassen, erklärt Zwerger. Die Stiftung Bayerisches Naturerbe sitzt ebenfalls mit im Boot.

Ganzjährig Füttern erlaubt

Das Projekt startet jetzt im Frühjahr. Obwohl die ältere Generation noch gelernt hat, dass es Vögeln schadet, ihnen das ganze Jahr hindurch am Vogelhaus Vollpension anzubieten. "Das gilt nicht mehr", erklärt Lichtenauer, die Tiere würden bei der dichten Bebauung immer schlechter Nahrung finden. "Zusätzliche Nahrung ist da von Vorteil", sagt sie.

30 Kilometer Luftlinie westlich von Hilpoltstein, im städtischen Burkhard von Seckendorff-Heim in Gunzenhausen, haben sie das Vogelbeobachtungsfenster schon im tiefen Winter bekommen. Allerdings mussten die Senioren einige Wochen auf die ersten gefiederten Besucher an der Futtersäule warten. "Wildtiere brauchen eine Zeit, bis sie eine Futterstelle entdecken", sagt Lichtenauer. "Wenn ein neues Lokal aufgemacht wird, kommen auch nicht gleich viele Leute", scherzt Bewohnerin Helga Elz, die gern am Vogelfenster sitzt.

Die Amsel fängt um vier Uhr früh das Singen an

Sie drückt energisch auf eine Plüsch-Meise, die sie in den Händen hält - sieben Stofftiere mit Vogelstimmen gehören zum Projekt-Equipement. Es ertönt das typische Meisen-Trillern "ttti-ttti". "Ja das klingt echt," sagt Sieglinde Schmidt, legt den Kopf ein wenig zur Seite und erinnert sich an ihre frühere Wohnung im ersten Stock, wo sie des Winters Gimpeln, Amseln, Grünfinken, Sperlingen und Meisen Körner gab. Sie kennt sich aus mit der Vogelwelt: Die Amsel fängt um vier Uhr früh zum Singen an, hat sie beobachtet. "Noch schöner singt sie, wenn es etwas bewölkt ist, ich weiß nicht warum das so ist".

"Ein Thema, mit dem man die Bewohner gut erreicht, da können sie viel erzählen und Erinnerungen werden wieder wach", sagt Katharina Miehling, Therapieleitung in dem Gunzenhausener Haus. Das pädagogische Material, das vom LBV entwickelt wurde, sei zwar für manchen älteren Bewohner etwas zu kleingedruckt, aber ihr Chef, der Gunzenhausener Heimleiter Rolf Siebentritt, hat es sich genauer angesehen. "Ich hatte zuvor ein gesundes Halbwissen über die Vogelwelt, aber jetzt hole ich langsam auf", freut er sich.

Auch Kathrin Lichtenauer profitiert vom Projekt "Alle Vögel sind schon da". "Ich komme in viele Alteneinrichtungen mit schöner Atmosphäre und freundlichem Personal. Das nimmt mir die Angst vor dem Alter".