Mit dem Zustandekommen politischer Entscheidungen in Demokratien beschäftigt sich ein neues interdisziplinäres Forschungsprojekt in München. Diese Frage habe in den vergangenen Jahren dramatisch an Aktualität gewonnen, teilte die Bayerische Akademie der Wissenschaften mit.

Demokratisch getroffene Entscheidungen erschienen in jüngster Zeit nicht mehr allen Bürgern ohne weiteres legitim und stünden daher der grundsätzlichen Kritik offen, stellen die Forscher in ihrem Projektentwurf fest. Dies habe beispielsweise die Wahl in den USA - oder vielmehr der Umgang Donald Trumps mit dem Wahlergebnis - bestätigt.

Seit den 1980er-Jahren nehme das Krisenempfinden in der Gesellschaft zu, hieß es. Politische Entscheidungsprozesse würden als in der Krise steckend wahrgenommen und staatliche Reformpolitik als wenig effizient. Die Bürger empfänden ihre Partizipationsmöglichkeiten als beschränkt und die politischen Amts- und Mandatsträger als nicht ausreichend responsiv, also auf ihre Interessen reagierend.

Politische Entscheidung: Immer häufiger nach dem "TINA-Prinzip"

Politische Entscheidungen würden immer häufiger mit dem "TINA-Prinzip" legitimiert: "There is no alternative", dem auch das von deutschen Politikern verwendete "alternativlos" entspricht.

Fest steht den Forschern zufolge jedoch, dass Demokratie ein fortwährender Prozess sei, der stets neu gedacht, verhandelt und praktiziert wird. Sie wollen nun exemplarisch die rechtlichen, politisch-gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen und Formen demokratischer Entscheidungsprozesse untersuchen. Im Zentrum steht dabei der Begriff der "Verfassungskultur", von dem aus die Kulturgeschichte des Politischen erschlossen werden soll.

Das Projekt, das Rechts- und Geschichtswissenschaft vereint, untersucht die Zeit von etwa 1950 bis heute unter anderem in Deutschland, Großbritannien und dem ostmitteleuropäischen Raum (seit 1989). Fragen sind unter anderem, wie die Komplexität zugenommen hat, wie Repräsentation in der parlamentarischen Demokratie funktioniert und wie sich politische Sprache verändert hat.

Geleitet wird das Projekt, an dem sich auch vier Nachwuchswissenschaftler beteiligen sollen, vom Zeithistoriker Andreas Wirsching und dem Juristen Christian Walter (beide Ludwig-Maximilians-Universität).