Nach Ansicht des Würzburger Historikers Peter Hoeres ist der Umgang der Westdeutschen mit der NS-Vergangenheit "aus empirischer Sicht" durchaus vorbildlich verlaufen.

Allerdings dürfe man die deutsche Form des Gedenkens an das Dritte Reich und den Holocaust nicht als "allein selig machendes Beispiel" präsentieren. "Das wäre eine Art von unangebrachtem 'Schuldstolz'," sagte Hoeres sonntagsblatt.de.

Internationale Forschung zur Aufarbeitung von autoritären Systemen

Der Professor verantwortet ein internationales Forschungsprojekt zur Aufarbeitung von autoritären Systemen in einzelnen Ländern. Geleitet wird es vom früheren Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte in Berlin, Hubertus Knabe.

Knabe, der wesentlich am Aufbau der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis im früheren Berliner Bezirk Hohenschönhausen beteiligt war, sagte, der "Deutsche Weg" bei der Aufarbeitung der doppelten Diktatur-Vergangenheit sei beispiellos.

Allerdings habe das Thema der Aufarbeitung von autoritären Systeme "in den letzten 30 Jahren auch anderswo Karriere gemacht, zum Beispiel in Lateinamerika oder in einigen afrikanischen Staaten". Ziel des Forschungsprojektes sei es herauszufinden, welche Instrumente der Aufarbeitung wo funktioniert haben - und welche eben auch nicht, erläuterte Knabe.

Aufarbeitung der NS-Verbrechen

Dass Deutschland bei der Aufarbeitung seiner Vergangenheit ein Stück weit exemplarisch vorangegangen sei, "liegt zum einen sicher am besonderen Schrecken des Holocausts", sagt Historiker Hoeres.

Die US-Amerikaner hätten schon kurz nach dem Kriegsende eine bewusste Konfrontationsstrategie verfolgt und die deutsche Bevölkerung zu den Tatorten des NS-Regimes geführt. Es sei aber mitnichten so, dass die Deutschen dazu gezwungen werden mussten, weil sie die NS-Zeit lieber nur verdrängt hätten. Diese "früher weit verbreitete These" könne man nach aktueller Forschungslage nicht aufrecht erhalten.

Die Eliten autoritärer Systeme

Dass Eliten des NS-Staates in verschiedenen Bereichen wie Justiz, Medizin, Polizei und Militär auch in Westdeutschland weiter aktiv waren, beurteilt Historiker Hoeres folgendermaßen: Ein "Totalaustausch" der Eliten sei unmöglich.

"Jeder Staat ist auf Fachleute angewiesen." In einigen Bereichen habe es "wirklich skandalöse Fälle" der Kontinuität zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik gegeben. "Aber selbst die relativieren sich wieder, wenn man auf andere Länder blickt."

Mehr als 5.000 Gerichtsverfahren habe es in Westdeutschland gegeben, in China sei nach Mao nur die "Viererbande" vor Gericht gestellt worden.