Wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt: "Wir müssen kriegstüchtig werden", läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Dieses Wort – "kriegstüchtig" – ist schwer, alt, gefährlich. Es weckt Erinnerungen, die wir in Deutschland längst überwunden glaubten. Und doch taucht es plötzlich wieder in der politischen Sprache auf, fast beiläufig, als wäre es normal, sich "auf Krieg" vorzubereiten.

Europas neue Unsicherheitswelle

Seit einiger Zeit scheinen viele politische Reden von militärischen Begriffen durchzogen zu sein. Europa, so heißt es, sei "nicht mehr im Frieden". Regierungschefs sprechen von einer "Vorkriegs-Epoche", von der Notwendigkeit, sich auf "schwere Zeiten" vorzubereiten. Diese Worte kommen nicht zufällig – sie formen ein Stimmungsbild, das sich tief in unser Denken einschreibt. Und genau das beunruhigt mich.

Nach Jahren der Pandemie-Angst erleben wir nun eine neue Welle der Verunsicherung. Statt Inzidenzen und Impfquoten dominieren inzwischen Rüstungsausgaben, Wehrpflicht und Bedrohungsszenarien die Schlagzeilen.

Laut aktuellem ZDF-Politbarometer fürchten 72 Prozent der Deutschen eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs auf andere Länder, 64 Prozent sorgen sich sogar vor einem Dritten Weltkrieg oder einem Atomschlag. Angst ist längst wieder zum Grundrauschen geworden – nur das Thema hat gewechselt. Ich frage mich: Muss man die Bevölkerung so in Schrecken versetzen, um sie wachzurütteln? Oder hat die Politik längst vergessen, dass Sicherheit mehr bedeutet als Waffen und Wehrpflicht?

Angst als politisches Instrument

Natürlich: Russland hat die Ukraine überfallen. Niemand sollte naiv sein, was Putins Aggression betrifft. Aber ich halte es für falsch, wenn die Antwort auf Angst noch mehr Angst ist – und wenn das einzig vorstellbare Rezept "Aufrüstung" heißt. Denn jedes Wort, das von Krieg spricht, verändert unser Denken. Es verschiebt die Grenzen des Sagbaren. Es macht es leichter, Rüstungsausgaben zu rechtfertigen – und schwerer, über Frieden zu reden.

Was soll eine Armee noch nützen, wenn die Atombombe fällt? Vielleicht klingt das plump, aber für mich ist es eine ehrliche Frage. Wir rüsten uns gegen ein Szenario, das keiner überleben würde. Ich sehe nicht, wie uns ein "freiwilliges Pflichtjahr" oder die Wiedereinführung der Wehrpflicht wirklich sicherer machen sollen. Friedrich Merz etwa spricht davon, man könne ein solches Jahr wohl doch "verpflichtend" gestalten. Für mich klingt das wie ein schleichender Einstieg in eine neue Form des Zwangsdienstes.

Ich sage ganz offen: Ich werde keinen meiner Söhne freiwillig zur Tauglichkeitsprüfung schicken. Und ich kenne niemanden in meinem Umfeld, der seine Kinder in einen Krieg ziehen lassen würde – weder Mütter noch Väter, weder aus Patriotismus noch aus Pflichtgefühl. Das mag mancher feige nennen. Ich nenne es: gesundes Verantwortungsbewusstsein.

Krieg ist kein Spiel – die Realität der Gewalt

Denn Krieg ist kein Computerspiel, keine Pflichtübung, keine Männlichkeitsprobe. Krieg bedeutet Zerstörung, Leid, Verstümmelung, Tod. Wer ihn vorbereitet, muss auch über das Sterben reden – über das Sterben der eigenen Kinder.

Ich verstehe, dass ein Staat sich schützen muss. Aber "Schutz" darf nicht heißen, dass wir Angst zu unserer neuen Staatsräson machen. Ich wünsche mir Politiker, die nicht nur vom Krieg reden, sondern auch vom Frieden – nicht als naive Hoffnung, sondern als konkrete Aufgabe. Wo sind die Stimmen, die Abrüstung, Diplomatie und Versöhnung mit der gleichen Leidenschaft fordern wie Aufrüstung und Wehrpflicht?

Frieden statt Angst: Was Politik wirklich tun sollte

Vielleicht bin ich zu idealistisch. Vielleicht bin ich zu sehr Christ, um mich mit der Logik des Krieges abzufinden. "Selig sind, die Frieden stiften", heißt es in der Bergpredigt. Das ist kein Satz für Sonntagsreden, sondern eine Handlungsanweisung. Frieden zu stiften bedeutet, der Eskalation zu widerstehen – mit Worten, mit Gesten, mit Haltung.

Ich will keine Armee aus Pflicht, sondern eine Gesellschaft mit Rückgrat. Ich will Politiker, die Mut machen, statt Angst. Und ich will, dass meine Kinder in einer Welt aufwachsen, in der man Krieg nicht als "unausweichlich" hinnimmt, sondern als das, was er ist: das größte Versagen menschlicher Vernunft.

Wer jetzt "kriegstüchtig" werden will, sollte zuerst "friedenstüchtig" sein. Denn nur wer das kann – Frieden denken, verhandeln, verteidigen –, verhindert, dass Angst und Misstrauen am Ende das Kommando übernehmen.