Zwischen den Zeilen von Miriam Brenners Geschichten über das Sterben festigte sich bei mir ein Gedanke: Der Tod scheint uns das ganze Leben in weiter Ferne. Er ist so weit weg, als wäre er nicht real. Und von einem Moment auf den anderen ist er so nah, dass nichts anderes mehr realer scheint, als sein Heranrücken. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es kaum eine Mitte.
Miriam Brenner baut hier eine Brücke: Sie bietet ein lehrreiches Annähern an den Tod an, das hilft, besser zu leben; Sich dem Tod bewusst zu sein ohne Angst, sondern ganz im Gegenteil – ihn als eine Realität, die zum Leben dazu gehört, zu nutzen, als Lebenskraft.
Der Tod als Lebensweg
Miriam Brenner beschäftigt das Mysterium um den Tod schon seit ihrer Kindheit. "Ich muss mich damit auseinandersetzen, sonst werde ich nicht froh", sagte sie im Gespräch mit sonntagsblatt.de. Etwas daran reizte sie schon immer: Als läge darin ein Geheimnis, das gelüftet werden könne. Verstehen, warum jemand traurig ist – das macht viel mit ihr.
Sie kommt aus einem Pfarrhaushalt, indem es zum Alltag gehört, dass der Vater immer wieder auch Menschen beerdigt und sie die Trauer der Angehörigen mitbekommt. Später fing sie an, neben der Schauspiel-Ausbildung als Clown im Hospiz zu arbeiten, um Menschen ein Stück Ablenkung und Lachen zu schenken.
Darauf folgend hat sie sich diese Arbeit als Karriere Stück für Stück aufgebaut – sie arbeitet neben der Schauspiel-Ausbildung als Hospizhelferin und als Klinikclown. Später kommen noch Aufträge als Bestatterin dazu. Seit kurzem gibt sie Seminare, um ihr Erfahrungswissen gebündelt weiterzugeben. Bei der Stadtakademie bietet sie "Sterben für Anfänger" und "Sterben für Fortgeschrittene" an. Bald soll ein Buch dazu erscheinen: darüber, wie der Tod ihr das Leben gerettet hat.
Das Leben nach dem Tod und Spiritualität
Ihr Blick auf ein Leben nach dem Tod hat sich durch diese Erlebnisse verändert. Eine Weile lang hatte sie angenommen, "es gibt nichts nach dem Tod". Durch die Begleitung von Sterbenden kam sie mehr und mehr zu der Überzeugung, "dass es wirklich weitergeht" nach dem Tod.
"Anfangs war es vor allem durch die Begleitung von Kindern, dass ich davon immer mehr überzeugt wurde und letztlich, war es für mich final klar, als ich beim Bestatter anfing: Zu sehen und spüren zu können, dass da lediglich nur noch die Hülle des Menschen liegt", so Brenner.
Sie erzählt davon, eine Sicherheit bekommen zu haben, dass sie beschützt ist. Und in ihr wächst mit diesen Erlebnissen die Hoffnung, dass der Mensch im Grunde gut ist.
Ihre Lebenseinstellung hat sich nach einer depressiven Teenagerphase während der Beschäftigung mit dem Tod gewandelt: Es ist eine tiefe Liebe zu den Menschen und zum Leben gewachsen.
Unterschiede im Sterben: in Frieden oder voller Ärger
Es gibt Menschen, die am Ende ihres Lebens einiges bitterlicher bereuen. Ungelebte Zeit, nur funktioniert haben, aber nicht das gelebt, was sie erfüllt hätte. Besonders einprägsam war für sie die Begegnung mit einer geistig noch völlig klaren Frau im Altenheim. Diese meinte "Das ist doch unfair, dass ich jetzt hier liegen muss! Das soll es jetzt gewesen sein?"
Ihr Leben fühlte sich an, wie in einem Moment verflogen. Es war angefüllt gewesen mit vielen Ereignissen: Abschnitt für Abschnitt abgehackt, das zu tun, was von ihr erwartet wurde. Die Erzählung scheint mir, als hätte sie sich durchweg nach etwas gesehnt und für etwas gearbeitet, das nie eintraf. Das ist ärgerlich, sie fühlte sich betrogen. Was hätte sie wirklich gewollt? Was hätte sie dankbar und erfüllt zurückblicken lassen?
Dann gibt es aber auch die Menschen, die transzendente Erlebnisse haben; manche sehen Engel um ihr Bett stehen. Sie greifen nach etwas, lehnen eine angebotene Hand ab und greifen weiter in die Luft. Andere schauen selig zur Decke und sagen, sie sehen Licht. Oder sie hören Musik innerlich spielen.
Es gibt Menschen, die schließlich loslassen können. Deren Leben voll und schön war und die gut gehen können. Es scheint ihn also zu geben – den guten Tod. Und sei kein Zufall, wer ihn erlebt, denn "so wie man gelebt hat, so stirbt man meistens auch", meint Brenner.
Der gute Tod und das gute Leben
Was hilft also, sich darauf vorzubereiten? Brenner sagt, dass sie selbst im Blick auf die Endlichkeit ihres Lebens bewusster lebt. Sie fragt sich immer wieder: Ist es das wirklich, was ich will im Leben? Und geht dem nach, so gut es geht.
Natürlich gibt es immer Dinge, die wir hätten besser machen können und im Nachhinein bereuen, auch im besten Leben. Es ist aber etwas anderes, gar nicht erst zu versuchen, ein Leben zu leben, das wir bejahen können. Unsere grundsätzliche Stimmung Tag für Tag und das Bauchgefühl ist dafür ein guter Indikator.
Hilfe, um mit dem Tod Angehöriger umzugehen
Neben der Fähigkeit mit dem eigenen Tod umgehen zu können, hilft Brenner Menschen auch, mit dem Tod Angehöriger zurechtzukommen. In ihrem Seminar "Sterben für Anfänger" geht es auch um ganz pragmatische Themen, die rund um den Tod angegangen werden müssen. Fragen danach, was organisatorisch für eine Bestattung relevant ist beispielsweise. Oder zum Thema Suizid meint sie, dass viele nicht wissen, welche horrenden Kosten auf Angehörige nach einem Suizid zukommen. Durch ihre Arbeit als Bestatterin kann sie alles aus erster Hand weitergeben.
Das Aufbauseminar "Sterben für Fortgeschrittene" geht dann mehr auf die emotionale Ebene ein, beispielsweise: Wie verhalte ich mich, wenn ein Mensch trauert, der mir nahesteht? M. Brenner meint, es geht darum, einfach da zu sein. Das Schwere mit der anderen Person ein Stück weit auszuhalten und womöglich etwas Wertvolles darin zu entdecken, dass jemand sich einem anvertraut. Die Zeit vor dem Tod ist für sie wie ein heiliger Raum, den sie betritt. Sie versucht, eigene Themen etwas hinter sich zu lassen für diese Zeit, um ganz da zu sein; um etwas geben zu können, aber auch zu sehen, was diese Menschen ihr geben. Es ist immer beides.
Gesellschaftliche Relevanz
Natürlich heißt das nicht, dass jeder Sterbebegleiter werden muss, um ein gutes Leben zu führen. Brenner ist jedoch der Ansicht, dass an Schulen ein Praktikum beim Bestatter Pflicht sein sollte. Es sei wie ein kostenloser Lebens-Berater und lässt Jugendliche produktiv fragen, worauf es ihnen in ihrem Leben ankommt.
Persönliches Fazit
Mit mir hat im Rückblick auf das Gespräch diese Frage besonders resoniert: Was sagt mir mein Bauchgefühl über meine Lebenszufriedenheit? Ich stelle mir vor, auf was für ein Leben ich zurückblicken möchte.
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