Für die Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsförderung in der Grundschule und im Hort sind nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung rund 100.000 Fachkräfte mehr nötig als bis 2030 zur Verfügung stehen.
Allein in Bayern fehlen 21.000 Fachkräfte
In westdeutschen Ländern würden rund 76.000 Fachkräfte fehlen, wenn bis Ende des Jahrzehnts für jedes Kind ein Platz mit einer Förderung von 40 Wochenstunden vorhanden sein soll, erklärte die Stiftung in Gütersloh zu ihrem "Fachkräfte-Radar für Kita und Grundschule 2022". Alleine in Bayern fehlen dafür bis zu 21.000 Fachkräfte.
"Bayern kann die Umsetzung des Rechtsanspruchs für alle Kinder bis 2030 kaum stemmen, der Fachkräftebedarf ist bis dahin nicht zu decken."
Das sagte Kathrin Bock-Famulla von der Bertelsmann Stiftung. Für die flächendeckende Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsförderung in der Grundschule und im Hort werden in Bayern fast 21.000 Fachkräfte mehr benötigt, als es aktuell gibt - abzüglich der 4.000 neu ausgebildeten Fachkräfte bis 2030 bleibt immer noch eine erhebliche Lücke. Hinzu kommt, dass Bayern bis 2030 zusätzlich einen enormen Bedarf von etwa 46.000 Fachkräften an Kitas hat. Insgesamt fehlen im Freistaat also bis 2030 schlimmstenfalls 67.000 Fachkräfte.
36 Prozent der bayerischen Grundschulkinder nutzen Ganztagsangebot
Aktuell nutzen in Bayern 36 Prozent der Kinder im Grundschulalter ein Ganztagsangebot - das ist deutlich weniger als der westdeutsche Durchschnitt von 47 Prozent. Zudem besuchen in Bayern rund 22 Prozent der Kinder eine Mittagsbetreuung bis etwa 14.30 Uhr - diese Quote liegt im westdeutschen Durchschnitt bei 18 Prozent. Selbst wenn die bayerischen Grundschulkinder teilweise nicht ganztags, sondern nur über Mittag betreut würden: Der Personalmangel läge dem neuen Fachkräfte-Radar der Bertelsmann Stiftung zufolge immer noch bei rund 10.000 Mitarbeitenden im Jahr 2030.
Der Evangelische Kita-Verband Bayern (evKita) teilte als Reaktion auf die Ergebnisse des Fachkräfte-Radars mit, dass nun wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen, "was in der Praxis schon jetzt massiv zu spüren ist". Der Personalnotstand werde in den nächsten Jahren "zu einer Schlüsselfrage der Zukunftsfähigkeit der Frühen Bildung", sagte evKita-Vorständin Christiane Münderlein. Die Lage sei alarmierend, es brauche "gezielte, zuverlässige und vor allem dauerhafte Investitionen von Bund und Land", damit der Ausbaubedarf von der Krippe bis zum Hort auch gelingen kann.
Erziehungsausbildung zu verkürzen hilft nicht
Auch die Erzieherausbildung zu verkürzen, wie es die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) am Dienstag angekündigt hatte, helfe da nicht weiter, kritisierte die Sprecherin der Linken in Bayern, Kathrin Flach Gomez: "Statt nur die Ausbildung um ein Jahr zu verkürzen oder über Standards in der Betreuung zu diskutieren, sollte Sozialministerin Scharf endlich die Berufe aufwerten", forderte sie:
"Wir werden nur deutlich mehr Fachkräfte für die Kinderbetreuung gewinnen, wenn diese auch ordentlich bezahlt und die Arbeitsbedingungen endlich verbessert werden."
Die Umsetzung des Rechtsanspruches lasse sich nur mit einem deutlich erhöhten Angebot an Fachkräften bewältigen, erklärte die Direktorin im Programm "Bildung und Next Generation" der Bertelsmann Stiftung, Anette Stein. Daher müssten die Bundesländer gemeinsam mit allen Verantwortlichen schon jetzt differenzierte Maßnahmen ergreifen, um dem steigenden Personalmangel in Grundschulen und Horten vorzubeugen.
Nicht nur Quantität, sondern auch Qualität sichern
Das Deutsche Kinderhilfswerk mahnte, beim Ausbau der Betreuungsplätze nicht nur auf Quantität, sondern auf eine Qualitätssicherung setzen. "Gute Bildung im Ganztag muss kindgerecht gestaltet und konsequent an den in der UN-Kinderrechtskonvention normierten Kinderrechten ausgerichtet sein", erklärte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, in Berlin. Ganztagsbetreuung müsse Ganztagsbildung ermöglichen.
"Die prognostizierte Lücke von 100.000 Fachkräften an Grundschulen lässt alle Alarmglocken läuten, denn Kinder haben ein Recht auf gute Bildung in Hort und Grundschule", erklärte die Stiftung "Haus der kleinen Forscher", die sich bundesweit für frühe Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) engagiert. Auch außerschulische Akteure sollten eingebunden werden, erklärte der Stiftungsvorsitzende Michael Fritz.
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung greift ab 2026
Der Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung für Grundschulkinder wurde im Jahr 2021 im Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) geregelt. Dieser umfasst 40 Wochenstunden inklusive Unterricht. Er gilt für Kinder von der 1. bis zur 4. Schulklasse und wird gestaffelt nach der Klassenstufe eingeführt. Ab dem Schuljahr 2026/2027 greift er bei Schülern der 1. Klasse, ab 2029/2030 bei allen Grundschulklassen.
Grundlage für den "Fachkräfte-Radar" sind den Angaben zufolge Daten der Statistischen Bundes- und Länderämter (Stichtag 1. März 2021), der Kultusministerkonferenz sowie weitere amtliche Statistiken. Die Berechnungen führte die "Economix Research & Consulting" im Auftrag der Stiftung durch.