Bundeskanzler Friedrich Merz hat es wieder getan: Seine umstrittene Aussage über das "Stadtbild" sorgt für Empörung, zugleich aber für ein Déjà-vu.
Wer Merz verfolgt, weiß: Überraschend ist an seinen Worten wenig. Schon lange spielt er auf der Klaviatur des Kulturkampfs von rechts, immer wieder markiert er Grenzen, zieht imaginäre Linien zwischen "uns" und "den anderen".
Das "Problem" im Stadtbild
Doch was meint Merz überhaupt? Er sprach vergangenen Dienstag vage von einer Veränderung im Stadtbild durch Migration – und legte am gestrigen Montag auf Nachfrage trotzig nach: Wer abends durch bestimmte Städte geht, bemerke "das Problem", vor allem im Hinblick auf die Sicherheit der eigenen Kinder. Perfiderweise vereinnahmt der Kanzler dabei explizit "Töchter" als angebliche Zeuginnen seiner, naja, Beobachtung.
Er überlässt es also letztlich der Phantasie seiner Zuhörer:innen. Vielen ist die implizite Botschaft klar: Männliche Migranten werden als Störung des gewohnten, homogen gedachten Stadtbildes dargestellt. Historisch ist dies keineswegs neu, ganz im Gegenteil. Diese Rhetorik knüpft an eine lange Tradition der deutschen Gesellschaft an: dem Fiebertraum von einer ausschließlich weißen, bestenfalls blonden Bevölkerung.
Die Nazis, aber auch viele Konservative, Liberale und Linke, fanden Jüd:innen sowie Sinti und Roma im Stadtbild "störend". Heute richtet sich die Aversion vor allem gegen als Muslime gelesene Personen und Osteuropäer, wie Jens Spahn – im Gegensatz zum Kanzler ganz direkt und offen – ausführt.
Empörung ist berechtigt – Überraschung bleibt aus
Die Empörung über Merz’ Worte ist zwar richtig – sie sind diskriminierend und fördern durch ihre Suggestion eine fortschreitende Spaltung der Gesellschaft. Wer Merz kennt, weiß, dass sie ziemlich sicher wohlkalkuliert sind – kein Ausrutscher, sondern Teil eines politischen Spiels mit kulturellen und politischen Grenzen, das letztlich die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschiebt, bis die Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen als etwas normales, ja legitimes erscheint.
Das eigentliche Problem ist allerdings größer: Ein signifikanter Teil der Bevölkerung, geprägt durch jahrzehntelange "migrationskritische" Diskurse sowie durch die besagte ungute deutsche Tradition, teilt inhaltlich die Kerngedanken. Hetzerische, angstschürende Narrative gelten vielerorts inzwischen als legitime Kritik.
Und auch sogenannte Progressive, Linke und Liberale zeigen in der Migrationsdebatte oft, dass sie im Kern nicht so weit von diesen Positionen entfernt sind – nur der Tonfall unterscheidet sich. Wer die Kritik daran als "Wortklauberei" bezeichnet, wie CSU-Chef Markus Söder es tut, hat also leider zum Teil recht.
Dass Merz Rückführungen ("Remigration") als Lösung propagiert und dabei auf die Zustimmung von Teilen der Bevölkerung zählen kann, zeigt, wie eng verwoben rassistische Vorstellungen und migrationspolitische Praktiken in Deutschland mittlerweile sind.
Das eigentliche Problem: Akzeptanz diskriminierender Narrative
Das eigentliche Problem liegt also nicht nur in Merz’ Äußerungen, sondern in der Bereitschaft, sie – trotz erwartbarer Empörung beim politischen Gegner – als alltägliche Realität zu akzeptieren.
Und solange diese Akzeptanz besteht, wird es eine wirkungslose Debatte um Ton und Form bleiben, während die zugrundeliegenden inhaltlichen Annahmen (bestimmte "Ausländer" sind gefährlich und bedrohen "unsere" Frauen) weitgehend unwidersprochen stehen bleiben. Eine Stilkritik statt echter Auseinandersetzung.
Wer das "Stadtbild" wirklich schützen will, muss Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung erkennen und benennen – und entschieden entgegentreten, statt nur Worte oder die Wortwahl zu kritisieren.