Fünf Jahre ist es her. In Minneapolis, der 400.000-Einwohner-Stadt am Mississippi, drückt ein weißer Polizist sein Knie auf den Hals eines schwarzen Mannes, der in Handschellen auf der Straße liegt. "Ich kann nicht atmen", fleht dieser, weinend und nach seiner Mutter rufend. Die 17-jährige Darnella Frazier, zufällig am Ort, filmt mit ihrem Handy an diesem 25. Mai 2020. Sie postet das Video auf Facebook. Fernsehsender übertragen die entsetzlichen Bilder.
Das Opfer hieß George Perry Floyd. Grund der Festnahme war ein möglicherweise gefälschter 20-Dollar-Schein. Floyd war 46 Jahre alt und hat nicht überlebt. Todesursache: Herz-Kreislauf-Stillstand. Beim Trauer-Gottesdienst sprach der Pastor von der Hoffnung, dass Floyd nicht umsonst gestorben sei, dass sein Tod der Funke einer neuen Bewegung sein werde.
Erst einmal traf das zu. Trotz der Kontaktbeschränkungen mitten in der Covid-Pandemie löste der Gewaltakt eine riesige Bewegung gegen Polizeigewalt und Rassismus aus, die über Monate andauerte. Es waren wohl die größten Kundgebungen in der Geschichte der USA. Viele junge Menschen demonstrierten, hauptsächlich Schwarze, auch zahlreiche Weiße. Worum es ihnen ging: "Black Lives Matter", schwarze Leben zählen.
Die Kundgebungen waren nicht immer gewaltfrei. Fernsehbilder zeigten Brände und Plünderungen. In Minneapolis zerstörten Flammen eine Polizeiwache, die Beamten flohen. Nächtliche Ausgangssperren wurden verhängt, die Nationalgarde zog auf. Präsident Donald Trump - es war die Zeit seiner ersten Präsidentschaft - bedauerte den Tod Floyds, machte aber die Gewalt der Aufgebrachten zum Top-Thema und nicht die Polizeigewalt.
Trump war "wütend" auf die Protestierenden
Verteidigungsminister Mark Esper sagte später im Rundfunksender NPR, Trump sei wütend gewesen über die Protestierenden. Er habe sich an Stabschef General Mark Milley gewandt: "Kann man nicht einfach auf sie schießen, nur in die Beine schießen, oder so?"
Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd kam es zum Prozess. Polizist Derek Chauvin wurde schuldig gesprochen und zu 22,5 Jahren Haft verurteilt. Der Polizeichef von Minneapolis sagte gegen Chavin aus. Darnella Frazier, die das Video gemacht hatte, sagte ebenfalls aus: "Ich habe einen Mann auf dem Boden liegen sehen, und ich sah einen Polizisten mit seinem Knie auf dem Mann." Umstehende schrieen auf Chavin ein, er solle aufhören. Der Polizist kniete etwa neun Minuten lang. "Wenn ich auf George Floyd schaue, sehe ich meinen Vater, sehe ich meine Brüder ... weil sie alle schwarz sind", sagte Frazier. Sie alle hätten George Floyd sein können.
Kein Gesetz für eine Polizeireform verabschiedet
Was hat sich geändert seit dem 25. Mai 2020 und den landesweiten Kundgebungen? Die Juristin Kimberlé W. Crenshaw, Expertin für strukturellen Rassismus, schrieb in einem Essay im Magazin "Time": Fünf Jahre nach der Tötung von George Floyd seien viele Hoffnungen nicht erfüllt worden, der "Gegenwind war stärker, als viele von uns sich das vorstellen konnten". Gesetzesvorlagen für Polizeireformen seien im US-Kongress "auf das absolute Minimum reduziert und nicht verabschiedet worden".
Das gemeinnützige Projekt "Mapping Police Violence" zur Dokumentation von Polizeigewalt hat ernüchternde aktuelle Zahlen vorgelegt: 2024 seien mindestens 1.260 Menschen in Polizeihänden gestorben, mehr als jemals zuvor seit zehn Jahren, und überproportional viele Schwarze.
Seit seinem Amtsantritt Anfang des Jahres dominiert Donald Trump die Diskussion mit Forderungen nach "Recht und Gesetz". Im April unterzeichnete er ein Dekret, das die Ordnungskräfte "stärken und entfesseln" soll. Manche rechtsgerichtete US-Amerikaner protestierten selbst gegen Derek Chauvins Haftstrafe. Trumps sogenannter Effizienzberater Elon Musk leitete im März auf seiner Plattform X ein Video mit der Forderung nach einer Begnadigung für Chauvin an seine mehr als 200 Millionen Follower weiter und kommentierte: Man sollte darüber nachdenken ("something to think about").
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Der Backlash ist auch da…
Der Backlash ist auch da angekommen, was einerseits an den Ängsten der Privilegierten und andererseits an der fehlenden gemeinsamen Perspektive sowie der mangelnden Führung und Organisation liegt. Wenn man auf emotional verständliche Kompensation und Umkehrung der Verhältnisse drängt, wird die Abwehr auf der Gegenseite gestärkt und die Wut die nicht die Obersten 10000 trifft, hat auch die eigenen Reihen eher gespalten. Längerfristig besteht aber schon die Möglichkeit der positiven Veränderung, denn eigentlich macht mit dem Wissen über die Vergangenheit Diskriminierung niemand nachhaltig glücklich und es wurde doch auch viel diskutiert, so dass wohl einiges Nachdenken begonnen hat sowohl hier in Europa wie über dem großen Teich. Tatsächlich sitzt Rassismus nämlich nicht mehr so fest auch wenn er längst nicht tot ist. Etwas verfehlt ist in der Diskussion oft die 1 zu 1 Übertragung auf Europa gewesen inklusive fast gleicher Parolen. Auch wenn es hier genauso Diskriminierung und Rassismus und Polizeiübergrife gibt, so ist die Polizeiarbeit aus historischen und praktischen Gründen (Verbreitung von Schusswaffen, Rechtssystem, Bevölkerungsdichte) doch recht anders organisiert. Auch die Geschichte der Minderheiten ist eine andere: Eine Sklavenhaltergesellschaft wie im Süden der USA gab es in Deutschland kaum, dafür osteuropäische Zwangsarbeiter im NS-Staat, eine lange Diskriminierung der Roma und diverse andere Klassifizierungen und Abwertungen, die sich auch aus dem West-Ost und Nord-Süd-Wohlstandsgefälle bei uns herleiten. Der europäische Einigungsprozess bietet aber durchaus die Möglichkeit hier auch voran zu kommen.