Führt Migration zu mehr Kriminalität? Dieser Frage, die immer wieder als vermeintliche Tatsache behauptet wird, geht eine aktuelle Studie des ifo Instituts nach.
Die Autor*innen Joop Adema und Jean-Victor Alipour haben die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) der Jahre 2018 bis 2023 analysiert und kommen zu differenzierten Ergebnissen: Die Studie zeigt zunächst, dass Ausländer im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil in der Kriminalstatistik überrepräsentiert sind. Diese Tatsache weist jedoch nicht auf eine höhere Kriminalitätsneigung von Migrant*innen hin.
Statistische Verzerrungen
Laut den Autor*innen werden durchschnittlich 57 von 1.000 ausländischen Einwohnern als Tatverdächtige registriert, während es bei den Deutschen 19 von 1.000 sind. Dieser Unterschied besteht seit Jahren.
Nach den Erkenntnissen der Studie ist dies vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: Demografie und Wohnort.
- Demografie: Migrant*innen sind im Durchschnitt jünger und männlicher als die Gesamtbevölkerung - zwei Eigenschaften, die bei allen Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten Risiko für Straftaten einhergehen.
- Wohnort: Ein weiterer zentraler Punkt der Analyse ist, dass Migrant*innen häufiger in urbanen Gebieten mit hoher Kriminalitätsrate leben. Daraus ergibt sich ein statistischer Zusammenhang zwischen ihrem Bevölkerungsanteil und der Kriminalität vor Ort - ohne dass daraus auf eine tatsächlich höhere Kriminalitätsneigung geschlossen werden kann.
Dafür, dass urbane Räume eine höhere Kriminalitätsrate haben, gibt es laut den Autor*innen auch mehrere Gründe: Sie nennen unter anderem die höhere Bevölkerungsdichte und die schwächere durchschnittliche Wirtschaftslage, aber auch den Umstand, dass dort die Polizeipräsenz höher sei. Dadurch, dass die Polizei dort öfter gezielt ermittle, stoße sie auch auf mehr Straftaten.
Kein systematischer Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität
Die Autoren untersuchen auch, ob eine Zunahme des Anteils ausländischer Einwohner*innen in einer Region zu höherer Kriminalität führt. Das Ergebnis: Zwischen 2018 und 2023 gibt es keinen systematischen Zusammenhang zwischen einer Veränderung des Ausländeranteils und der lokalen Kriminalitätsrate. Dies gilt sowohl für die Kriminalität insgesamt als auch für bestimmte Deliktgruppen wie Gewalt- und Eigentumsdelikte.
Auch für Asylsuchende konnte kein signifikanter Einfluss auf die Kriminalität festgestellt werden. Diese Ergebnisse decken sich mit internationalen Studien, die nahelegen, dass Migration keinen langfristigen Einfluss auf die Kriminalitätsrate in den Aufnahmeländern hat.
Fehlwahrnehmungen, Medienberichte und politische Debatte
Die Studienautor*innen weisen darauf hin, dass die öffentliche Wahrnehmung oft von verzerrten Darstellungen geprägt ist. Politische Debatten über Migration und Sicherheit basierten häufig auf emotionalisierten Annahmen, obwohl empirische Belege zeigten, dass Migration kein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstelle. Medienberichte konzentrierten sich häufig auf spektakuläre Einzelfälle, was zu einer Überbewertung von Kriminalität mit Beteiligung von Migrant*innen führen könne.
Dies wiederum deckt sich mit den Ergebnissen einer anderen Studie, die der Journalistikprofessor Thomas Hestermann bereits 2023 veröffentlichte. Anfang 2025 stellte er der Zeitschrift "Katapult" aktualisierte Daten zur Verfügung.
Hestermann untersuchte, wie sich der tatsächliche Anteil ausländischer Tatverdächtiger bei Gewaltdelikten in der Medienberichterstattung widerspiegelt. Demnach gibt es hier eine starke Verzerrung: Der Anteil deutscher Tatverdächtiger liegt laut Polizeistatistik bei 66,7 Prozent. In der Berichterstattung machen Taten mit deutschen Tatverdächtigen aber nur 15,8 Prozent (Fernsehen) bzw. 18 Prozent (Zeitungen) aus - also weniger als ein Fünftel.
Bei den nichtdeutschen Tatverdächtigen verhält es sich dagegen genau umgekehrt: 33,3 Prozent Tatverdächtigen ohne deutschen Pass stehen über 80 Prozent der Medienberichterstattung gegenüber. Diese oft unwillkürliche Verzerrung in den Redaktionen führe zu Irrtümern über die sogenannte "Ausländerkriminalität", erklärt der Professor von der Hochschule Macromedia in Hamburg.
Die Studie des ifo Instituts kommt schließlich zu dem Schluss, dass Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse und ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt die besten Mittel seien, um kriminellen Karrieren vorzubeugen. Eine differenzierte Betrachtung von Kriminalität und Migration sei zudem notwendig, um politische Entscheidungen faktenbasiert zu treffen und Fehlwahrnehmungen in der öffentlichen Debatte zu korrigieren.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden