Geleitet wird das Zentrum  zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch im Internet von Oberstaatsanwalt Thomas Goger. Was die Mitarbeiter des Zentrums genau tun und wie sie damit klarkommen, schildert er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Herr Goger, wie setzt sich Ihr Team im Kampf gegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauch im Internet genau zusammen?

Thomas Goger: Wir sind hier - mich eingeschlossen - acht Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Hinzu kommen die Mitarbeiter in den Geschäftsstellen und das, was die Zentralstelle neben ihrer thematischen Ausrichtung so besonders macht: unsere vier IT-Forensiker. Die IT-Experten helfen uns bei der Auswertung der enormen Datenmengen und unterstützen uns bei den technisch teilweise sehr komplexen Fragestellungen hier.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei der Zentralstelle und beim Zentrum aus?

Man kann eigentlich sagen: Typische Tage gibt es nicht. Natürlich gibt es viel Standardarbeit, das sind die Meldungen im Bereich Kinderpornografie, die von den Anbietern der Internetwirtschaft selbst kommen. Das sind Hunderte Verdachtsfälle, die da gemeldet werden. Meistens handelt es sich um bereits bekanntes und vielfach kopiertes Material.

Unsere Aufgabe ist es, das, was in irgendeiner Art und Weise relevant und gefährlich ist, herauszufiltern - etwa, weil es bislang unbekanntes Bild- und Videomaterial ist.

Was macht bislang unbekanntes Material gefährlicher als bereits bekanntes?

Hinter jeder kinderpornografischen Darstellung steckt ein Missbrauch. Natürlich ist es auch strafbar und schlimm für die Betroffenen, wenn bereits bekanntes Material immer und immer wieder neu im frei zugänglichen Internet auftaucht - aber bei neuem Material besteht die Gefahr, dass ganz aktuell Missbrauch stattfindet, der auf den Fotos und Videos dokumentiert wird.

Das ist ein Wettlauf mit der Zeit, um Betroffene dieses Missbrauchs möglichst schnell zu finden und vor weiteren Taten zu schützen.

Man hört immer wieder, dass Konten in sozialen Netzwerken geknackt werden und Kriminelle darüber dann kinderpornografisches Material verbreiten und verteilen ...

Ja, diese Fälle gibt es - und es sind gar nicht so wenige. Gerade diese Konstellation zeigt, wie sensibel wir als Ermittler bei dem Thema vorgehen müssen. Zum einen wollen wir Betroffene schnell und effektiv vor Missbrauch schützen und strafbares Material aus dem Internet bekommen. Zum anderen müssen die vorliegenden Verdachtsmomente sorgfältig geprüft und bewertet werden, bevor man etwa zu Hausdurchsuchungen schreitet. Denn wenn an den Vorwürfen nichts dran ist - stigmatisiert ist der Beschuldigte trotzdem allein durch den Verdacht.

Der Großteil ihrer Arbeit bewegt sich also im normalen Internet - aber die Schwerkriminellen tummeln sich doch vor allem im sogenannten Darknet, oder?

Das stimmt - denn man kann eben für das Darknet nicht bei Google nach bestimmten Seiten oder Dingen suchen, das ist sehr viel komplizierter. Der erste Schritt ist, die Plattformen von Pädo-Kriminellen im Darknet zu finden. Dafür steht uns mit dem "Dark Web Monitor" innovative Technik zur Verfügung. Der zweite Schritt ist dann, mit verschiedenen Methoden Zugang zu diesen Plattformen zu bekommen. Das können verdeckte Ermittler oder technische Maßnahmen sein. Jede dieser Plattformen ist anders, da gibt es keine Standards. Da sind wir wieder beim typischen Arbeitsalltag, den es nicht gibt!

Wenn Sie auf möglicherweise strafbares Material gestoßen sind - wie gehen Sie und Ihre Mitarbeitenden weiter vor?

Goger: Zunächst einmal werten die Forensiker die gesicherten Datenmengen oder Datenträger aus und suchen nach möglicherweise strafrechtlich relevantem Material. Das ist oftmals auch schon nicht einfach, geht aber noch nicht so ins Detail. Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte müssen sich dieses Material dann aber im Detail anschauen und bewerten. Also etwa: Ist die abgebildete Person noch ein Kind oder schon 15 Jahre? Oder auch: Ist das Material womöglich selbst aufgenommen worden ohne Zutun eines Erwachsenen?

Und für den Fall, dass Sie zu dem Schluss kommen: Ja, es handelt sich um Missbrauch oder um kinderpornografisches Material?

Dann gilt es den Täter und die Betroffenen zu ermitteln. Wenn einem das geglückt ist, müssen die Anklagen geschrieben werden - und das heißt dann oft: Das, was auf den Fotos und Videos zu sehen ist, muss detailliert verschriftlicht werden, jede Einzelheit, jede Handlung. Sie können sich vorstellen, dass das keiner gerne macht.

Der Umgang mit diesem Material ist für die eigene Psyche eine besondere Herausforderung.

Wie kommt man als Ermittler damit klar, wenn man in solche menschlichen Abgründe hineinschaut?

Die Bewältigungsstrategien sind da von Mitarbeiter zu Mitarbeiter sehr individuell. Institutionell stellen wir drei Dinge sicher: Erstens bearbeiten die Kolleginnen und Kollegen nie nur Fälle von Kinderpornografie oder Missbrauch, sondern auch "emotionslose" Fälle, in denen es zum Beispiel um Betrug geht.

Zweitens bieten wir den Mitarbeitenden Coachings und Supervisionen an - ob sie das nutzen, ist aber eine individuelle Entscheidung. Und drittens vermitteln wir, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, wenn man beim nahezu täglichen Umgang mit dieser Art von Straftaten solche Hilfsangebote in Anspruch nimmt.

Anders gefragt: Wie lange kann man diese Arbeit machen, bis es zu belastend wird?

Ich denke, die persönliche Schmerzgrenze ist da wieder sehr individuell. Aber tatsächlich kann ich diese Frage derzeit noch nicht wirklich fundiert beantworten. Die Zentralstelle gibt es seit 2015, das Zentrum seit 2020. Seither hatten wir im Bereich der Staatsanwälte zumindest niemanden, der gesagt hat: "Ich muss hier weg, das geht nicht mehr." Vielleicht kann ich in einigen Jahren fundierter antworten ...

Und was ist an dieser Arbeit am belastendsten, wenn man das überhaupt irgendwie werten kann?

Am belastendsten ist, wenn man als Ermittler in einer Sackgasse landet - wenn man zwar eine IP-Adresse hat, aber den Täter nicht ermitteln kann, weil man diese keinem Anschluss mehr zuordnen kann. Natürlich sind alle Darstellungen, die man sich ansehen muss, belastend. Aber wenn Sie dann am Ende wenigstens einen Täter identifizieren können, hilft das. Am schlimmsten sind die ungelösten Fälle.

Wie finden Sie heraus, welche Staatsanwältinnen und Staatsanwälte resilient genug für den Job sind? Und wie verhindern Sie, dass womöglich jemand mit entsprechenden Neigungen bei Ihnen unterkommt?

Bei uns werden auf jeden Fall keine Dienstanfänger eingesetzt, sondern Kolleginnen und Kollegen, die schon das ein oder andere erlebt haben. Zu uns muss niemand, der nicht zu uns will. Was das Thema der Neigungen angeht - ich hielte es für unangemessen, Interessenten für Jobs bei uns irgendein "Grundmisstrauen" entgegenzubringen.

Die Fallzahlen im Bereich Kinderpornografie explodieren seit Jahren regelrecht. Woran liegt das? Wird es wirklich mehr, oder kommt nur mehr ans Tageslicht?

Ich denke, es ist tatsächlich beides. Erstens sind die Ermittlungsbehörden viel besser geworden - auch und gerade im Bereich des Darknets, wo es uns viel häufiger gelingt, Täter zu ermitteln und auch vor Gericht zu stellen. Zweitens ist es heute leichter, einschlägiges Material herzustellen und auch zu verbreiten. Man muss in diesem Zusammenhang aber auch einmal sagen, dass der Umgang mit Kinderpornografie nicht immer zwangsläufig etwas mit Pädophilie zu tun hat - auch wenn es da eine Schnittmenge gibt.

Wie meinen Sie das genau?

Nicht jeder, der kinderpornografisches Material nutzt, erfüllt automatisch die medizinischen Kriterien der Pädophilie. Und eine große Anzahl der Fälle, die bei uns landen, hat keinen pädophilen Hintergrund. Die Verbreitung erfolgt manchmal aus Gedankenlosigkeit oder aus falsch verstandenem Spaß. Da werden Bilder oder Videos etwa in Messenger-Gruppen geteilt oder weitergeleitet - nicht selten auch von Kindern und Jugendlichen selbst.

Was, wenn man selbst solche Bilder und Videos geschickt bekommt - oder die eigenen Kinder einem einschlägige Bilder und Videos im Klassen-Chat zeigen?

Das Wichtigste ist: niemals weiterleiten! Denn dann verbreitet man dieses Material weiter und darauf steht mittlerweile mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe - egal, welche Intention dahintersteht. Wer solche Dinge gegen seinen Willen aufs Handy geschickt bekommt, muss alleine deshalb jetzt nichts befürchten. Es geht um die Frage: Ist ein "Besitzwille" vorhanden? Um selbst nicht in die Gefahr der Strafbarkeit zu kommen, sollte man erstens aus solchen Chat-Gruppen austreten und dort auch schreiben, weshalb man geht. Zweitens: Man sollte die Inhalte unbedingt löschen ...

... und man sollte das Ganze vermutlich auch der Polizei melden.

Natürlich. Und gerade Eltern können sich, wenn ihre Kinder als Handynutzer betroffen sind, auch darauf verlassen, dass die Ermittler dann nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Nur weil man so etwas bei der Polizei meldet, gibt es jetzt nicht bei allen Schülerinnen und Schülern der Klasse am nächsten Morgen eine Hausdurchsuchung. Da gibt es andere Möglichkeiten. Vorzugsweise im Bereich der Prävention und auch der Medienerziehung. Denn in der Regel sind uns diese Bilder und Videos, die da geteilt werden, längst bekannt.

Sie haben vorhin von den technischen Sackgassen beim Ermitteln gesprochen. Was wünschen Sie sich für ihre Arbeit von der Politik?

Der Gesetzgeber könnte uns eigentlich relativ leicht helfen und tut es nicht - und das erzeugt bei mir auch zunehmend so etwas wie Unverständnis.

Es geht um die Zuordnung von IP-Adressen zu Anschlüssen. Also: Wir ermitteln mit viel Aufwand eine IP-Adresse, von der aus beispielsweise schwere Missbrauchsvideos verschickt werden - das kann manchmal einige Zeit dauern.

Dann haben Sie diese IP-Adresse endlich und der Internetanbieter teilt mir, dass die Zuordnung zum Anschluss nicht mehr gespeichert ist. Hier geht es um das, was im Volksmund als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet wird. Aber letztlich geht es nur darum zu wissen, welche dynamische IP-Adresse zu welchem Zeitpunkt welchem Anschluss zugeordnet war.

Und aktuell ist nach sieben Tagen Schluss, weil dann die Daten gelöscht werden, richtig?

Ja, und das ist für solche Fälle einfach eine sehr knappe Zeitspanne. Denn die Täter, die so etwas machen, sind technisch durchaus hoch ausgerüstet. Die verschleiern ihre IP-Adresse, die verschlüsseln ihre Daten. Wenn wir das dann geknackt haben, landen wir wegen der fehlenden Zuordnung oft in einer Sackgasse und das ist frustrierend.

Denn auch wenn das wenige Fälle betrifft, so sind das oft schwerwiegende, wo zumindest ein aktueller und vielleicht fortdauernder Kindesmissbrauch im Raum steht, den wir eventuell mit einer Zuordnung der IP-Adresse zu einem realen Anschlussinhaber beenden könnten.

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