Die Wissenschaftlerin Kirsten Rüther forscht über Mission, Kolonialismus und religiösen Wandel im südlichen Afrika am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien. Derzeit ist sie auf der Suche nach Personen, die an dem internationalen und ökumenischen Radioprojekt "Radio Voice of the Gospel" beteiligt waren.
Für ihre Forschung besuchte Kirsten Rüther auch das Archiv Martin Lagois, das sich im Campus Kommunikation in München befindet. Denn der Medienpfarrer und Fotograf Martin Lagois besuchte in den 1970er Jahren den Radiosender und dokumentierte seine Reise. Im Interview erklärt die Historikerin Rüther, warum sie ausgerechnet diesen Radiosender zu ihrem Forschungsthema gewählt hat.
Radio Voice of Gospel
Radio Voice of the Gospel war eine der leistungsstärksten Radiostationen Afrikas mit zwei 100-kW-Sendern, die große Teile Afrikas und Asiens erreichten. Gesendet wurde in Englisch, Französisch sowie zahlreichen afrikanischen und asiatischen Sprachen. Im November 1959 erhielt der Lutherische Weltbund von Kaiser Haile Selassie die Genehmigung, in Addis Abeba die Radiostation Radio Voice of the Gospel (RVOG) zu gründen. Der Radiosender, für den eine große Fläche genutzt wurde und der weithin sichtbar war mit seinen Sendemasten, startete 1963 und sendete bis 1977 weltweit. Die Redaktion war international und ökumenisch besetzt.
Unter Haile Selassie wurde die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt, was sich nach der Machtübernahme durch die marxistische Regierung 1974 weiter verschärfte – insbesondere bei lokalen Sendungen. Die Station wurde teils von konservativen kirchlichen Gruppen unterstützt, die Einfluss auf Inhalte wie etwa die Schöpfungslehre nahmen.
Wie wurde der Sender "Radio Voice of the Gospel" aufgebaut - und wie funktionierte er?
Rüther: Zu Beginn gab es fünf, später bis zu 15 lokale Studios, die Material zu Religion und Alltagskultur produzierten. Diese Inhalte wurden nach Addis Abeba geschickt und von dort über die Sendeinfrastruktur zurück in die jeweiligen Regionen ausgestrahlt. Die Studios arbeiteten mit lokalen Kräften, führten Interviews, nahmen Chorgesänge auf und sprachen über Traditionen. Es gab auch Alltagsratgeber – etwa zu Hygiene, die Namenswahl für Kinder oder Hausgestaltung – lange bevor Entwicklungshilfe ein großes Thema wurde. Der Sender lieferte weltweit eine Mischung aus Alltagshilfe und Religiosität, allerdings ohne einen dezidiert missionarischen Anspruch. Ziel war vielmehr, Die Arbeit der Mitgliedskirchen zu unterstützen und zu vernetzen.
Welche Rolle spielte die Kirche bei dem Projekt?
Rüther: Der Sender war ein ökumenisches Projekt und wurde von verschiedenen Kirchen und Missionsprojekten unterstützt. Grundsätzlich entstanden in den 1960er und 70er Jahren viele Kirchen in Afrika, oft war dies begleitet mit großen Spannungen, bei denen es um die Frage nach der Unabhängigkeit ging.
Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf Südafrika. Dort hatte der Sender "Radio Voice of Gospel" ein Lokalstudio in Roodepoort bei Johannesburg. Ich habe Fotos aus dem Archiv der ehemaligen norwegischen Mission in Stavanger gefunden, die damals für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt wurden. Einige Bilder zeigen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe nebeneinander bei der Arbeit im Studio. Das ist sehr bemerkenswert für die 1960er Jahre in Südafrika, zumal dort die Apartheid sehr präsent war. Das Foto kann als ein "stilles Zeichen" gegen diese Apartheid gelesen werden.
Wie ordnen Sie das Projekt mediengeschichtlich ein?
Rüther: Der Radiosender "Radio Voice of Gospel" verstand sich weder als Staatsradio noch war er ein Widerstandsradiosender. In Südafrika gibt es viel Forschung zu den Extremen während der Apartheid, aber wenig zu Projekten, die in der Grauzone lagen. Das Radioprojekt ist insofern spannend, als dass es zeigt, wie Medien damals den Alltag abgebildet haben, den Menschen Würde gegeben haben und Informationen verbreitet haben, ohne politisch zu polarisieren. Das finde ich spannend, weil solche Perspektiven in der Forschung oft verloren gehen.
Wie missionarisch war das Projekt?
Rüther: Es gab kontroverse Debatten darüber, wie religiös die Inhalte sein sollten. Die offizielle Richtlinie lautete: 70 Prozent Alltagskultur, 30 Prozent Religion. Die Lebenshilfe-Beiträge sollten mit dem christlichen Weltbild vereinbar sein.
Gibt es noch originales Audio-Material?
Rüther: Nein, leider habe ich bisher keine Tonspuren gefunden. Das Archiv in Addis Abeba wurde 1977 nach der Revolution vom Militär konfisziert. In den 1980er Jahren gab es ein Abkommen mit dem Lutherischen Weltbund, aber das südafrikanische Material scheint dabei kaum berücksichtigt worden zu sein. Möglicherweise ist das meiste Archivmaterial verloren gegangen.
Wer könnte Ihnen helfen?
Rüther: Ich versuche, ein umfassendes Bild des Projekts zu rekonstruieren. Es ist erstaunlich, wie wenig darüber geschrieben wurde, obwohl der Radiosender ein frühes Beispiel für globale Zusammenarbeit ist. Ich interessiere mich für Erinnerungen: Wer hat damals die Sendungen gehört? Wer hat dort gearbeitet? Wie war es, in der Nähe eines Studios zu leben? Diese großen Gebäude mit viel Technik und en hohen Sendemasten prägten das Stadtbild und könnten bleibende Eindrücke hinterlassen haben.
Wo war das Projekt noch aktiv?
Rüther: Neben Südafrika und Addis Abeba gab es Aktivitäten in Indien, Ceylon, Kamerun und Nigeria. In Indien arbeitete der Sender mit der orthodoxen Kirche zusammen.
Kirsten Rüther
Kirsten Rüther ist Professorin am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien. Ihre Forschung widmet sich Mission, Kolonialismus und religiösem Wandel im südlichen Afrika (19.–20. Jh.), der Infrastruktur und Wohnpolitik in Sambia zur Zeit des späten Kolonialismus, sowie Gesundheit, Heilpraktiken und Populärkultur in Südafrika. Rüther leitet die Arbeitsgruppe "Global Entanglements and their Narratives" an der Doctoral School der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Weitere Fragen von Kirsten Rüther
- Wer erinnert sich an die Hörspiele von Andries Blose aus Südafrika?
- Wer an die Stimmen der Swahili-Nachrichtensprecher Frederick Rugeiyamo und Ellison Malekia aus Tansania?
- Ist zum Beispiel jemand mit Ato Gebre Negus Tesfu zur Schule gegangen, der später den Nachrichtenraum in Addis Abeba organisierte?
- Und kennt jemand Debola Tutus, der eine ausgeprägte Liebe zu Tonbändern hatte, die er in der Bibliothek ordnete?
- Haben Ihre Eltern oder Großeltern je einen Antwortbrief auf eine Leserzuschrift bekommen, zum Beispiel von Lerasoa unterschrieben, aus Antsirabe, Magadaskar?