Es sollte nur ein Anfang sein: Als Thomas Gandel (Name geändert) im Anschluss an seine Ausbildung zum Industriemechaniker in der Zeitarbeit Jobs fand, griff er zu. Der Würzburger war sicher, bald eine feste Anstellung zu finden. Doch er täuschte sich. "Ich war schließlich bei vier verschiedenen Leiharbeitsfirmen und hatte fast zehn verschiedene Jobs", berichtet der 32-Jährige.

Umgang mit Leiharbeitern "inakzeptabel"

Wie mit Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern teilweise umgegangen wird, ist für Gandel inakzeptabel:

"Ich habe mich ausgebeutet gefühlt."

Leiharbeit steht in der Kritik, seit es sie gibt. Das ist seit genau 50 Jahren der Fall. Bis 1972 war Leiharbeit in Deutschland verboten. Am 21. Juni 1972 stimmte der Deutsche Bundestag dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) einstimmig zu.

"Drecksarbeit"

Über seinen Einsatz bei einem Wurstproduzenten vor vielen Jahren ist Thomas Gandel heute noch empört. Dort sei "Drecksarbeit" verlangt worden:

"Ich musste zum Beispiel den Fettabscheider reinigen."

Das sei ein stinkiger, schmieriger und unangenehmer Job gewesen. Für den sei er obendrein auch noch deutlich schlechter bezahlt worden als die fest angestellten Kollegen.

Gandel ist froh, dass er endlich der Zeitarbeit entkommen ist: "Ich erhielt vor drei Monaten eine Arbeitsgelegenheit im Würzburger Sozialkaufhaus ‚Brauchbar‘." Nun verdient er zwar immer noch nicht viel. Aber der junge Mann fühlt sich endlich an einem Arbeitsplatz wohl. Nun hofft er auf einen Berufsweg ohne Zeitarbeit.

Hartz-Reformen verhalfen Leiharbeit zum Siegeszug

Nach der Einführung durch den Gesetzgeber vor 50 Jahren spielte die Leiharbeit zunächst keine große Rolle in Deutschland, erst die Hartz-Reformen verhalfen ihr zu einem Siegeszug. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg sind aktuell von 100 Beschäftigten zwei in der Leiharbeit tätig. Im ersten Halbjahr Juni 2021 waren es im monatlichen Durchschnitt 784.000 Männer und Frauen. Mehr als jeder zweite Leiharbeiter übt eine Helfertätigkeit aus.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wurde in den vergangen fünf Jahrzehnten oft reformiert. Vor 40 Jahren kam es zum Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Bauhauptgewerbe. Vor 25 Jahren wurde die Überlassungshöchstdauer von neun auf zwölf Monate verlängert. Vor 20 Jahren wurde sie auf zwei Jahre ausgeweitet. Seit April 2017 muss Leiharbeitnehmern und Leiharbeiterinnen nach neun Monaten der gleiche Lohn wie dem Stammpersonal bezahlt werden. Die Überlassungshöchstdauer wurde auf eineinhalb Jahre reduziert.

Besser als Arbeitslosigkeit

Für viele Männer und Frauen sei Zeitarbeit die einzige Möglichkeit, in Arbeit zu kommen, sagt Matthias Schulze-Böing, Vorsitzender des in Offenbach angesiedelten Vereins "Beschäftigungspolitik: kommunal". Zeitarbeit sei auf jeden Fall besser als Arbeitslosigkeit. "Nur wenige wollen dauerhaft in der Zeitarbeit bleiben", sagt der Soziologe, der in den 1980er Jahren an der ersten größeren wissenschaftlichen Studie zur Zeitarbeit mitgewirkt hatte.

Nach Ansicht von Schulze-Böing ist es nicht nötig, nach der umfassenden Reform von 2017 in nächster Zeit einen weiteren Gesetzentwurf zur Novellierung des AÜG vorzulegen. Allerdings gebe es noch immer schwarze Schafe in der Wirtschaft. "Jobcenter und Arbeitsagenturen sollten deshalb immer genau hinschauen, mit wem sie zusammenarbeiten, und nicht einfach jedes Stellenangebot blind bedienen", appelliert der ehemalige Geschäftsführer des Jobcenters Offenbach.

Jochen Widmann vom "Würzburger Arbeitslosentreff" liegt es fern, Leiharbeit einfach abzutun. Doch es gebe durchaus Probleme. Schwierig werde es für die Betroffenen immer dann, wenn der Verdienst stark schwankt. Jedes Mal, wenn zum Beispiel Stunden reduziert werden, könne der Leiharbeiter gezwungen sein, zum Jobcenter zu gehen und einen Hartz-IV-Zuschlag zu beantragen.