Petra Pinzler steht auf dem Podium der evangelischen Akademie Tutzing und stellt eine Frage in den Raum: Warum redet eigentlich jeder vom Scheitern der Fridays-for Future-Bewegung? Die "Zeit"-Korrespondentin, die seit Jahren Umweltpolitik beobachtet, sprach auf der Tagung "Geschichte und Erfolge sozialer Bewegungen" am 24. Oktober 2025 über ein Narrativ, das sich festgesetzt hat: dass Fridays for Future keinen Erfolg gehabt habe.

Pinzler findet das bemerkenswert. Die wohl jüngste Umweltbewegung der Bundesrepublik wird an Maßstäben gemessen, die andere soziale Bewegungen nie erfüllen mussten. Als müsste sie binnen fünf Jahren erreichen, wofür Anti-AKW-Aktivist:innen oder Gleichstellungsbewegte Jahrzehnte benötigten.

"Krisen muss man komplexer denken", sagt sie. Die Klimakrise sei untrennbar mit der sozialen Frage verwoben. Wer eine Bewegung dauerhaft erfolgreich machen wolle, brauche vor allem eines: Zeit – gerade wegen der Komplexität der Probleme und der Vielschichtigkeit der Themen.

Was erfolgreiche soziale Bewegungen ausmacht

Das wirft die zentrale Frage auf: Was macht soziale Bewegungen überhaupt erfolgreich?

Pinzler bietet eine Definition an:

"Eine soziale Bewegung ist dauerhaft erfolgreich, wenn sie nachhaltige Veränderungen in Gesetzen, in Institutionen und gesellschaftlichen Werten bewirkt, ihre Errungenschaft schützt und ihre Anliegen fest im Alltag und im Denke der Gesellschaft verankert hat."

Daran knüpfen sich Kriterien: Mobilisierungsfähigkeit, die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erzeugen, und die Macht, rechtliche Veränderungen anzustoßen. Pinzler fügt einen normativen Aspekt hinzu: Die Bewegungen stehen für "ein gutes Leben", schützen Menschenrechte, Umwelt oder Demokratie – kurz: sie sind vom Fortschrittsdenken geprägt.

Die 3,5-Prozent-Regel: Wann Protest Wirkung zeigt

Und wie schneidet Fridays for Future ab?

Pinzler verweist auf die sogenannte 3,5-Prozent-Regel der US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth: Mobilisiert eine Bewegung mindestens 3,5 Prozent der Bevölkerung gewaltfrei zum Widerstand, gilt ihr Erfolg als wahrscheinlich. Bekannt wurde die Regel durch Chenoweths TED-Talk "Civil Resistance and the 3.5% Rule" von 2013. Doch, betont die Forscherin selbst, sie ist kein Naturgesetz – eher eine Faustregel, die Tendenzen sichtbar macht.

Im März 2019 lag Fridays for Future bei rund 2,25 Prozent – knapp unter der Schwelle, aber alles andere als enttäuschend, resümiert Pinzler. Fridays for Future überschritt damit symbolisch eine wichtige Hürde, auch wenn bundesweit kein dauerhafter Umbruch folgte.

Warum gewaltfreie Proteste nachhaltigen Wandel bewirken

Wie bemerkenswert diese Mobilisierung ist, zeigt ein Blick auf den Alltag des Protests: Eine interaktive Karte des "Tagesspiegel" verzeichnet in Berlin seit 2018 durchschnittlich 19 Demonstrationen pro Tag – jährlich rund 33.000. Eine gewaltige Zahl, doch mobilisierungsfähig sind nur wenige davon. Im Vergleich dazu schneidet Fridays for Future erstaunlich gut ab.

Das Problem, sagt Pinzler, liegt woanders: Kaum jemand spricht darüber. Die deutlich aggressivere Letzte Generation beherrscht die Schlagzeilen – weil Gewalt und Konfrontation mehr Aufmerksamkeit erzeugen als friedlicher Protest.

Erfolge sichtbar machen

Pinzlers These lautet deshalb: Wir sollten gewaltfreien Kampagnen mehr Beachtung schenken, selbst wenn ihr Erfolg sich nur langsam zeigt. Nach Angaben des Carnegie Endowment fanden im vergangenen Jahr weltweit 142 gewaltfreie Bewegungen statt, 24 davon in unfreien Ländern. Doch die meisten blieben unbeachtet – obwohl gerade sie langfristig wirken könnten.

Wer auf die Straße geht, bringe mehrheitlich einen hohen Leidensdruck oder ein tiefsitzendes Gefühl von Ungerechtigkeit mit, sagt Pinzler. Erfolgreiche Bewegungen fänden zudem den richtigen Zeitpunkt und eine Form des Protests, die vermittelt: Das bewirkt etwas.

Fridays for Future in historischer Perspektive

Doch die Maßstäbe großer historischer Erfolge – etwa der Anti-AKW- oder Gleichstellungsbewegung – ließen sich nicht einfach auf Fridays for Future übertragen. Ein Gespräch zwischen Pinzler, der Grünen-Bundestagsabgeordneten Ricarda Lang, Umweltökonomin Claudia Kemfert und der Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer machte das deutlich: Neubauer sagt, sie sei stolz auf ihre Arbeit:

"Wir haben bewiesen, dass man Veränderungen bewirken kann, wenn man sich zusammentut."

Bewegungen seien dazu da, etwas anzustoßen. Es sei niemals das Ziel der von Schülerinnen und Schülern getragenen Bewegung gewesen, sich zu institutionalisieren. Jetzt müssten andere die Arbeit fortführen.

Kemfert ergänzt: "Bewegungen verlaufen in Wellen, wie in der Ökonomie gibt es Zyklen. Es wird wieder Phasen wie 2019 geben – die Klimakrise verschwindet ja nicht."

Beispiele dafür gibt es bereits: der Klima-Entscheid in Hamburg vom 12. Oktober, der die Stadt verpflichtet, ihre Klimaziele vorzuziehen, oder die Berliner Initiative "Baumentscheid", die mehr Stadtbäume fordert.

Wandel leise, aber nachhaltig

"Die Frage nach dem Scheitern greift zu kurz", lautet Pinzlers Fazit. Vieles, was Fridays for Future und andere Klimaschutzbewegungen erreicht haben, bleibe unbemerkt, wirke aber fort.

Vielleicht ist es Zeit, Erfolg neu zu denken: Nicht jede Veränderung passiert spektakulär oder sofort. Ein erster Schritt wäre, Wandel auch dann wahrzunehmen, wenn er langsam und geräuschlos geschieht.