Zugegeben, seine Methode klinge etwas seltsam und speziell, räumt der amerikanische Judaist Peter W. Ochs ein:

"Vertreter von verschiedenen Religionen sitzen an einem Tisch und tauschen sich über ihre religiösen Texte aus."

Doch genau für das von ihm mitentwickelte "Scriptural Reasoning", dem Nachdenken über die Heiligen Schriften, ist er mit dem mit 50.000 Euro dotierten Dr. Leopold Lucas-Preis ausgezeichnet worden. Diesen erhielten bisher auch schon Größen wie Schalom Ben-Chorin, der Dalai Lama sowie die früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Joachim Gauck.

Christen, Juden und Muslime kommen über heilige Schriften ins Gespräch

Die Methode schaffe es, dass Christen, Juden und Muslime über ihre heiligen Schriften miteinander ins Gespräch kommen, würdigt die Dekanin der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, Birgit Weyel, den Preisträger.

Die Regeln für das interreligiöse Schriftstudium seien einfach, erläutert Ochs, emeritierter Professor der Universität von Virginia am Dienstag vor Journalisten: Eine kleine Gruppe von sechs bis acht Leuten sitzt um einen Tisch, auf dem ein paar wenige Verse aus dem Koran und dem Tenach, also dem Alten Testament. sowie dem Neuen Testament liegen. Nach einer kurzen Einführung zu den Texten tauschen sich die Gesprächspartner darüber aus und überlegen, was die Verse bedeuten - jede Meinung wird als ebenbürtig stehen gelassen.

Liebe zur eigenen Religion verbindet

Die Erfahrung von mehr als 10.000 Sitzungen zeige, dass meist beim dritten Treffen etwas Besonderes geschieht, sagt der Wissenschaftler: Die Beziehung der Menschen zueinander wärmt auf, weil sie etwas verbinde - die jeweilige Liebe zu ihrer heiligen Schrift.

Dabei werden Unterschiede zwischen den Texten nicht nivelliert, sondern stehen gelassen, betont Ochs. Aber die Fragen der Anderen zu dem Text der eigenen Tradition helfen, den eigenen Glauben besser zu ergründen - und auch das Verständnis für den Glauben der anderen werde durch den Austausch vertieft.

Gemeinsam mit Sarah lachen

Vor vielen Jahren sei Ochs in Kapstadt gewesen, erzählt er, wo es Spannungen zwischen religiösen Gruppen gab. Nachdem die Leiter der jeweiligen Glaubensgemeinschaften sich nach langem Zögern dann tatsächlich getroffen hatten, wählte Ochs für das Schriftstudium den Text aus dem Alten Testament aus, in dem geschildert wird, dass Sarah lachte, als ihr und ihrem hochbetagten Mann angekündigt wurde, dass sie schwanger werden soll und einen Sohn bekommen wird.

"Sarahs Humor verband alle", erinnert sich Ochs. Das Eis brach und die Gruppe traf sich über mehrere Jahre hinweg regelmäßig zum interreligiösen Schriftstudium.

Sehr religiöse Gläubige nicht gewalttätiger

Mit Blick auf gewalttätige religiöse Konflikte räumt der Wissenschaftler - der das "Children of Abraham Institute" mitgegründet hat und als Politikberater für das US-amerikanische Außenministerium zu dem Thema Religion und Gewalt aktiv war - mit dem Vorurteil auf, dass sehr religiöse Gläubige besonders gefährdet sind, gewalttätig zu werden. Gefährlich werde es erst dann, wenn Menschen ihre traditionelle Religion nicht mehr praktizierten, sagt der Wissenschaftler. Denn dies führe dazu, dass kaum noch Wert auf Schriftauslegung gelegt werde und die Mehrdeutigkeit von Begriffen, die sich je nach Kontext erschließe, auf eine Bedeutung verkürzt wird.

Wenn zum Beispiel der arabische Begriff "Dschihad", der Anstrengung oder Eifer bedeutet, nur noch als bewaffneter Kampf gelesen wird, und dann eine autoritäre Führungsperson aggressiv-ideologisch indoktriniere und politische Vorschriften verkündet, werde es problematisch.

Friedens-Ressource liegt tief in Tradition von Religionen

Ochs beobachtet, dass die religiösen Konflikte an Schärfe zugenommen haben. Sie können nicht gelöst werden, wenn man die Religion ausklammert, ist er überzeugt. Stattdessen liege die größte Ressource, Friede zu schaffen, tief in der Tradition der Religionen.

Der Dr. Leopold Lucas-Preis würdigt hervorragende Leistungen auf den Gebieten der Theologie, Geistesgeschichte, Geschichtsforschung und Philosophie. Die Auszeichnung wurde gestiftet vom Sohn des im Konzentrationslager Theresienstadt gestorbenen jüdischen Gelehrten und Rabbiners Leopold Lucas (1872-1943). Die Evangelisch-theologische Fakultät vergibt den von der Dr. Leopold Lucas-Stiftung finanzierten Preis alljährlich im Namen der Universität Tübingen.

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