"Ich fühle mich wohl mit dem, was ich tue", sagt Ella Bizarr. Die 42 Jahre alte Prostituierte aus Leipzig verdient ihr Geld mit Sadomasochismus.

"Ich habe über zehn Jahre als Pflegehelferin in einer Demenzstation Dauernachtwache gemacht. Ich habe drei Jahre bei der Deutschen Bahn als Schaffnerin gearbeitet. Ich habe so viele Jobs in meinem Leben gemacht. Jetzt habe ich einen Job, wo ich wirklich sage, ich entscheide, wann ich wohin fahre, in welchem Studio ich arbeiten möchte und welchen Kunden ich annehme", sagt Ella Bizarr.

Diese Entscheidung habe sie in einem normalen Job nicht.

Strafe für sexuelle Dienstleistungen

Geht es nach den Plänen des Europaparlaments, muss sich die Prostituierte bald etwas anderes suchen. Im September hat sich das EU-Parlament für die Einführung des sogenannten Nordischen Modells in den Mitgliedstaaten ausgesprochen.

Mit diesem Konzept wird der Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafe gestellt. So wollen die Abgeordneten Ausbeutung und Menschenhandel den Boden entziehen.

Die Unionsfraktion im Bundestag hat in dieser Woche beschlossen, sich für ein Sexkaufverbot in Deutschland einzusetzen. Danach sollen Freier für den Kauf von Sex bestraft werden. Bordelle müssten schließen. Prostituierte sollen keinen Sanktionen unterliegen.

Sexkaufverbot bald in Deutschland?

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) lehnte es indes ab, die Gesetzgebung zur Prostitution zu verschärfen. "Es gibt gegenwärtig keinen Grund dafür, das Gesetz anzufassen", sagte Paus am Mittwoch in Berlin im Bundestag.

Schweden hat 1999 das Nordische Modell als erstes Land eingeführt. Andere Länder sind nachgezogen, darunter Norwegen 2009, Frankreich 2016, Irland 2017 und Israel 2020. Kern des Konzepts ist die Bestrafung der Freier: Damit verstößt der Kauf sexueller Dienstleistungen gegen geltendes Recht, die Prostituierten sollen aber straffrei bleiben.

Das Nordische Modell

Ella Bizarr macht die Entscheidung des EU-Parlaments wütend. "Im Grunde wird mir dadurch meine Lebensgrundlage kaputt gemacht", sagt sie. Sie glaubt nicht, dass das Nordische Modell Prostituierte schützt: "Was ist das für ein Schutz, wenn alles in der Versenkung verschwindet?", fragt sie und meint die Illegalität.

Ella Bizarr ist Vorstandsmitglied beim Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, nach eigenen Angaben ein ausschließlich von Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen organisierter Zusammenschluss. Die Organisation vertrete derzeit rund 800 Mitglieder, sagt Ella.

Prostitution in Deutschland

Wie viele Prostituierte es in Deutschland gibt, lässt sich nicht seriös beziffern. Sicher ist, dass Ende 2022 rund 28.280 Prostituierte bei den Behörden gemeldet waren. Doch längst nicht alle, die Geld mit Prostitution verdienen, melden sich auch an.

Ob es ein Gesetz für alle Prostituierten überhaupt geben kann? "Das wird schwierig", meint die 42-Jährige. Denn zur Sexarbeit gehörten auch Tantra-Massagen, Escortdamen oder die Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung. Letztere bietet auch Ella an - und auch die wäre dann vorbei, sagt sie.

Experten-Meinungen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert das Sexkauf-Verbot: "Das Nordische Modell behauptet, Sexarbeitende zu schützen, tut es aber nicht", erklärt Katharina Masoud, bei Amnesty Expertin für Frauenrechte, die Haltung der Organisation. "Sexarbeitende müssen höhere Risiken eingehen, um ihre Kunden vor der Entdeckung durch die Polizei zu schützen", sagt sie.

Für Inge Kleine, die sich in der Münchner Frauenberatungsstelle Kofra engagiert, ist Prostitution Ausdruck gesellschaftlicher Ungleichheiten. "Und sie ist eine Form von Gewalt", sagt sie. Diese sei "besonders problematisch, weil es eine Form von sexueller Gewalt ist".

Einzelnen Frauen möchte Kleine nicht absprechen, freiwillig in der Prostitution zu sein. Ihr gehe es jedoch um die Haltung der Gesellschaft. "In dem Fall, wo das eben nicht freiwillig ist, weil die Frau Geld braucht, ist es ein ganz intimer Zugang, der gekauft wird." Sie stellt sich gegen eine "Art Infrastruktur für Männer zur sexuellen Benutzung von Frauen gegen eine Gebühr".

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