"Diese Regierung wird auf eine unberechenbare Politik setzen"

Der nächste Präsident der USA heißt Donald Trump. Was bedeutet dieses Ergebnis für Deutschland und Europa? Welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Anja Opitz: Die Auswirkungen einer erneuten Trump-Administration werden in verschiedenen Bereichen spürbar sein. Auf der gesellschaftspolitischen Ebene werden die europäischen Regierungen vor einer schwierigen Aufgabe stehen, eine verlässliche Strategie im Umgang mit der Trump-Administration zu entwickeln. Es ist zu erwarten, dass diese Regierung auf eine unberechenbare Politik setzen wird, Entscheidungen situativ trifft und so die multilaterale Zusammenarbeit weiter belastet.

Inwiefern ist die Wirtschaft betroffen?

Wirtschaftlich könnten wir mit einer protektionistischen Politik rechnen, die potenziell Zölle auf europäische Produkte, insbesondere auf Autos, mit sich bringt. Dies würde die deutsche Wirtschaft – vorwiegend die Automobilbranche – erheblich treffen. Zudem könnte die Trump-Administration Europa stärker unter Druck setzen, sich klar gegenüber China zu positionieren. Europäische Unternehmen wären dadurch gefordert, Strategien zur Reduzierung ihrer Abhängigkeit von globalen Lieferketten und spezifischen Märkten wie China zu entwickeln.

Halten Sie die EU und Deutschland für ausreichend auf eine mögliche erneute Trump-Administration vorbereitet?

Eine Einigung darüber, was für eine stärkere europäische Sicherheitspolitik notwendig wäre, besteht, und das unabhängig vom Wahlausgang in den USA. Die USA haben sich in den letzten Jahren zunehmend auf ihre strategischen Interessen in Asien und die Rivalität mit China konzentriert. Europa hingegen hat sich nur zögerlich auf eine größere Eigenverantwortung eingestellt, was teilweise der engen Verflechtung zwischen EU und NATO geschuldet ist: Die meisten EU-Mitgliedsstaaten sind auch NATO-Mitglieder und profitieren vom Verteidigungsschirm der USA.

"Die Frage ist, ob Europa sich auf eine Sicherheitsstrategie vorbereiten kann, die nicht zwingend auf die NATO angewiesen ist"

Wie hat sich das ausgewirkt?

Dieser Schutzschirm hat dazu geführt, dass europäische Staaten sicherheitspolitische Ausgaben oft als weniger dringlich empfunden haben. Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob Europa sich auf eine Sicherheitsstrategie vorbereiten kann, die nicht zwingend auf die NATO angewiesen ist. Das bedeutet, dass die Europäische Union in der Lage sein müsste, das gesamte Spektrum an Verteidigungsfähigkeiten, einschließlich der nuklearen Abschreckung, zu gewährleisten.

In der sicherheitspolitischen Diskussion müssen wir, so glaube ich, wegkommen von der Annahme, dass Europa immer nur im Kontext der USA denkt und handelt. Diese Sichtweise hat sich aus den realpolitischen Gegebenheiten der Vergangenheit entwickelt. Aber ich bin überzeugt, dass wir politisch nicht weiterkommen werden, wenn wir nicht auch beginnen, die Diskussion um Sicherheit und Verteidigung unabhängig von der US-amerikanischen Einflussnahme zu führen – oder zumindest mit weniger Einfluss der USA.

Viele fragen sich, was eine erneute Trump-Präsidentschaft für den Krieg in der Ukraine bedeuten könnte. Sie haben angedeutet, dass Trumps Entscheidungen schwer vorherzusagen sind, da sie häufig aus aktueller Stimmung heraus getroffen werden. Haben Sie dennoch eine Einschätzung, wie er hier handeln könnte?

Trump hat mehrfach angekündigt, den Krieg in der Ukraine "ab Tag eins" seiner Präsidentschaft beenden zu wollen. Es ist durchaus denkbar, dass er versucht, aus strategischem Kalkül eine schnelle Einigung mit Putin zu erreichen, die auch auf Putins Zustimmung stößt. Dies würde Putin die Möglichkeit geben, sich als konstruktiven Gesprächspartner darzustellen und die eigene Position in der internationalen Öffentlichkeit zu stärken.

Die Frage ist jedoch, wie eine solche Lösung konkret aussehen könnte. Die Ukraine ist ein souveräner Staat, der sein Territorium verteidigt und die von Russland annektierten Gebiete nicht einfach aufgeben wird. Selbst wenn Präsident Selenskyj mit Trump im September Gespräche geführt und ihm nun schnell zu seinem Wahlsieg gratuliert hat, ist kaum vorstellbar, dass die Ukraine bereit ist, territoriale Zugeständnisse zu machen. Ein Friedensplan, der auf eine Abtretung ukrainischer Gebiete an Russland abzielt, wird vermutlich weder politisch noch gesellschaftlich in der Ukraine akzeptiert werden.

Eine Frau im gelben Oberteil
Anja Opitz leitet den Arbeitsbereich Internationale Politik und Sicherheitspolitik an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

Sie halten es also für unrealistisch, dass ein Deal zustande kommt?

Ein solches Abkommen könnte tatsächlich zustande kommen, jedoch bleiben die Kosten und langfristigen Folgen für die Ukraine und Europa schwer abzuschätzen. Ein möglicher Deal könnte darauf hinauslaufen, dass Selenskyj Teile des ukrainischen Territoriums aufgibt, im Gegenzug aber Sicherheitsgarantien der USA für den verbleibenden Teil der Ukraine erhält. Dies könnte Putin zufriedenstellen, doch eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wäre in diesem Szenario wohl ausgeschlossen.

Was wären die Folgen für Europa?

Aus europäischer Sicht und im Sinne demokratischer Grundprinzipien wäre ein solcher Deal mit Russland problematisch, um nicht zu sagen höchst bedenklich. Ein aggressiver Staat würde hier für das Überschreiten internationaler Grenzen belohnt – eine fatale Signalwirkung, die das Prinzip der territorialen Unverletzlichkeit untergräbt und den Frieden in Europa keineswegs nachhaltig sichert.

Es bleibt ebenfalls fraglich, ob ein solcher Pakt Putin wirklich davon abhalten würde, die NATO und deren Verteidigungsbereitschaft in anderen Bereichen auf die Probe zu stellen, wie etwa im hohen Norden rund um Spitzbergen. Sollte jedoch Trump tatsächlich eine Einigung erzielen, die Putins Interessen wahrt, wäre es durchaus denkbar, dass Putin vorerst auf Provokationen verzichtet, um seine Position nicht zu gefährden. Doch der Spielraum für Eskalationen bliebe bestehen und könnte jederzeit genutzt werden, sollten die geopolitischen Bedingungen erneut kippen.

Insgesamt könnte dies ein hochriskantes Gleichgewicht schaffen – für Europa wäre es eine Situation von maximaler Spannung, die einem politischen Thriller gleicht, aber für die Stabilität und demokratische Werte eine enorme Herausforderung darstellen würde.

"Sollte der Iran in den nächsten Monaten vor Trumps Amtsantritt Tatsachen schaffen wollen, wäre eine Eskalation im Nahen Osten nicht auszuschließen"

Welche Strategien könnte Trump im Nahen Osten verfolgen, insbesondere im Umgang mit dem Iran?

Trumps bisherige Politik im Nahen Osten war inkonsistent, dennoch ist anzunehmen, dass er eine harte Haltung gegenüber dem Iran einnehmen wird. Bereits während seiner ersten Amtszeit verfolgte er eine konfrontative Linie, wie der Ausstieg aus dem Iran-Atomabkommen zeigt. Es ist denkbar, dass er auch diesmal versucht, das iranische Regime unter Druck zu setzen, was sich zugunsten Israels auswirken könnte, das den Iran als größte regionale Bedrohung betrachtet.

Allerdings bleibt offen, ob diese Strategie tatsächlich zu mehr Stabilität führt oder eher das Risiko einer Eskalation erhöht. Angesichts der instabilen Lage und der Rolle, die der Iran durch seine Verbindungen zu Russland und anderen regionalen Akteuren spielt, könnte eine verstärkte Konfrontation rasch ungewollte Konflikte auslösen. Sollte der Iran in den nächsten Monaten vor Trumps Amtsantritt Tatsachen schaffen wollen, wäre eine Eskalation im Nahen Osten nicht auszuschließen.

Insgesamt erscheint es jedoch fraglich, ob Trump die komplexen Verflechtungen und geopolitischen Zusammenhänge im Nahen Osten wirklich umfassend einschätzt.

Trotz dieser insgesamt besorgniserregenden Analysen – wie könnte ein positiver Ausblick aussehen? Welche Schritte können Europa, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und andere, jetzt angesichts dieser Herausforderungen ergreifen?

Anfang des Jahres habe ich nach der Sicherheitskonferenz Überlegungen angestellt und dabei festgehalten, dass Europa zunehmend Meister in der Analyse von Defiziten geworden ist. Wir sehen scharf, was in der Migrations-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Klimapolitik nicht funktioniert. Doch dieser Fokus auf Probleme hat dazu geführt, dass wir als Gesellschaft in eine Art kollektiven Pessimismus verfallen sind. Wenn wir uns in Defiziten verfangen, schwächen wir uns selbst – wie auch im alltäglichen Leben: Wenn man ausschließlich Probleme sieht, wird die eigene Handlungsfähigkeit blockiert.

"Es geht nicht darum, die Probleme zu übersehen oder naiv zu sein, sondern neue Möglichkeiten zu sehen und zu ergreifen"

Was bräuchte es stattdessen aus Ihrer Sicht?

Mein Wunsch wäre, dass wir es schaffen, als Gesellschaft neue Perspektiven einzunehmen. Wir erleben einen umfassenden Transformationsprozess, der nicht nur geopolitische Veränderungen betrifft, sondern auch unsere gesellschaftlichen Strukturen. Technologie, Klimawandel und Globalisierung treiben einen Wandel voran, der tief in unser tägliches Leben eingreift. Gerade die Globalisierung, die das Wachstum Chinas ermöglicht hat, zeigt, dass wir mitten in einem globalen Umbruch stehen. Es ist verständlich, dass dieser Wandel viele Menschen überfordert.

Deshalb sollte Europa sich nicht nur auf Defizitanalysen beschränken, sondern auch die positiven Entwicklungen anerkennen – und diese auch medial stärker betonen. In der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in der Klimapolitik und auch bei der Reduktion von Abhängigkeiten in den Lieferketten sehen wir Fortschritte, auch wenn sie klein erscheinen. Unsere Aufgabe muss sein, Raum für sachliche Diskussionen zu schaffen, in denen wir Lösungsmöglichkeiten konstruktiv und ohne Polarisierung diskutieren können.

Letztlich muss die Gesellschaft lernen, mit diesen komplexen, sich überlagernden Herausforderungen umzugehen. Es ist kein Zurück mehr möglich – die sozialen Medien, der technologische Wandel und die globale Vernetzung sind Realitäten, die wir nicht abschalten können. Stattdessen braucht es Mut zu einem gewissen Optimismus. Es geht nicht darum, die Probleme zu übersehen oder naiv zu sein, sondern darum, neue Möglichkeiten zu sehen und zu ergreifen.

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