Noch nie war die After-Life-Industrie technisch so weit wie heute: Mittels Chatbot oder Avatar tut man so, als könne man mit Toten reden. Was sagen Sie dazu?
Reiner Anselm: Dass Menschen mit Toten gesprochen haben, gehört zu unserer Erinnerungskultur. Diese konnten nur nie etwas erwidern, es waren stumme Gespräche. Jetzt kommen neue technische Möglichkeiten und man möchte so tun, als ob jemand noch präsent ist. Das halte ich für problematisch, weil es Kunstfiguren sind, die da entstehen.
Und es erstaunt mich auch, weil jeder weiß, dass der Verstorbene gestorben und nicht mehr da ist. Das deutlich zu machen, ist ja eine ganz wesentliche Funktion jeder Beerdigungsfeier. Ohne Psychologe zu sein, kann ich mir vorstellen, dass Trauerprozesse klar verzögert und erschwert werden, wenn ich mir nicht hinreichend klar machen kann, dass die verstorbene Person tatsächlich nicht mehr da ist.
Warum sucht der Mensch nach solchen technischen Möglichkeiten?
Anselm: Der Mensch hat immer nach Möglichkeiten gesucht, die Endlichkeit zu verarbeiten. Natürlich ist jede Religion auch der Versuch, mit der Endlichkeit und mit den Verstorbenen einen Umgang zu finden. Die Sehnsucht, mit Verstorbenen in irgendeiner Weise Kontakt aufzunehmen, ist immer schon Bestandteil der Bestattungskultur gewesen, einem der ältesten Kulturelemente der Menschheit überhaupt.
Das Interessante aber an diesen neuen Versuchen heute ist, dass die Technik hier suggeriert, dass es eine Verlängerung der Erfahrungen ist, die wir auch mit Lebenden machen – nichts anderes, nichts Besonderes. Das unterscheidet diese technischen Versuche von der Art, wie Religionen versuchen, mit Endlichkeit und Tod umzugehen. Möglicherweise ist es ein Phänomen, das darauf zurückzuführen ist, dass die Religionen zurückgehen und aus dem Bewusstsein geraten.
Hinter diesen neuen Techniken steht der Gedanke, man könne eine Art Erinnerungsspeicher schaffen, der auf uns als Subjekt reagiert. Worin besteht Ihre Kritik an solchen Heilsversprechungen?
Anselm: Diese Bots und Avatare, die programmiert werden, sind Nachahmungsmaschinen, die versuchen, das Lebende und Erlebte nachzuahmen und so tun, als ob die Situation weitergeführt werden könnte. Wir kennen so etwas mit den Versuchen, digitale Zeitzeugen zu schaffen für den Zeitpunkt, wo keine Zeitzeugen des Holocaust mehr da sind.
Meine Kritik besteht darin, dass Menschen damit auf Information reduziert werden. Denn was wir da rausbekommen können, ist nur die Information dessen, was wir über kommunikative Äußerungen kennen. Deren Reaktionsmöglichkeit, deren Leiblichkeit, Empfindungen, Gefühle, auch deren sichtbare Verletzungen können wir nicht weiterführen und auch nicht wahrnehmen, ebensowenig ihren Geruch, die spezifische Art, wie sie sich anfühlen. Natürlich können deren Maschinen auch nicht wirklich mit dem Gesprächspartner interagieren, das wird nur simuliert. Genauso ist es bei den Chatbots, wenn ich Chat-GPT und seine Kumpane benutze, die nur Kommunikation simulieren, aber nicht wirklich kommunizieren.
Und wie bewerten Sie den Gedanken, man könne den Brain, die Seele oder den Geist auf eine Maschine uploaden?
Anselm: Dahinter versteckt sich das alte religiöse Motiv der Seelenwanderungslehre, dass meine Seele in einem anderen Körper, in einer anderen materialen Gestalt weiterlebt: Seele im Sinne der reduzierten Information. Diese Brain-upload-Vorstellung imaginiert nur ein Weiterleben dieses Brains, sodass der sich sogar weiterentwickeln und möglicherweise ganz anders entfalten würde, als ich ihn bislang kenne.
Das ist die technische Fantasie einer religiösen Vorstellung, die für sich genommen schon problematisch ist – gerade aus einer theologischen Perspektive heraus. Da wird eine Göttlichkeit der menschlichen Seele angenommen, die es so aus christlicher Sicht nicht gibt.
Was ist genau der Unterschied zur christlichen Auferstehungshoffnung?
Anselm: All diese Vorstellungen wie Brain-Upload oder Erinnerungs-Bots leben davon, dass sie das Erlebte prolongieren, also eine Weiterführung des Bekannten darstellen. Die christliche Auferstehungshoffnung ist aber eine ganz andere, so wie die christlich-biblische Zukunftshoffnung eine andere ist. Diese Zukunft, die die Bibel vor Augen hat, ist nicht die Verlängerung der Gegenwart, sondern eine Zukunft, die uns entgegenkommt: Es ist Gottes Zukunft, die auf uns zukommt. Entsprechend ist dann auch die Auferstehung nicht einfach die Verlängerung unserer Erfahrung, sondern etwas vollkommen Neues, das sich ganz anders darstellen wird.
Nach der Auferstehung wird es keine Zeit mehr geben, sodass die Vergangenheit und die Ausdehnung des Vergangenen ins Unendliche gar nicht da sind. Aber wir können es nicht denken, aufgrund der Erfahrungen, die wir haben. Deswegen ist der Mensch eine neue Kreatur, eine neue Schöpfung, von der wir nicht wissen, dass es sie gibt.
Das ist ein vollkommener Unterschied in der Darstellung – und allein das ist schon tröstlich. Denn wer würde wirklich wollen, dass sein Leben, so wie es ist, sich ins Unendliche verlängert. Man nehme irgendeine Situation im Leben und setze sie unendlich fort: Das wäre fürchterlich. Das wäre der Systemabsturz des Individuums. Ganz anders die Hoffnung auf die Auferstehung: Es ist die Hoffnung auf ein neues, anderes Sein.
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