Die Worte, die rund um die politische Aufarbeitung des Attentats vom 20. Dezember in Magdeburg fallen, klingen leider so bekannt wie leer. Man sei ratlos angesichts eines Täters, der "in kein Raster passe". Man sucht nach dem Schuldigen, als der wohl irgendwann ein armes, kleines Licht aus den Reihen der Behörden präsentiert wird, das vor Ort den entscheidenden Fehler begangen hat, der dem Todesfahrer freie Bahn ließ. Die Innenministerin kündigt "genaues Hinsehen an", Kanzler und Bundespräsident appellieren an die Bevölkerung, sich "nicht spalten zu lassen". 

Dabei ist die erschreckend einfache Antwort auf die Frage, wie es erneut zu einem solchen Anschlag kommen konnte, klar: Eingewanderter, durch ein radikal-religiöses Umfeld geprägter Fanatismus trifft auf gravierende Versäumnisse des Staates. Der ägyptisch-deutsche Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad, mit dem der Attentäter in Kontakt stand, beschreibt in einem Gastbeitrag für "Focus" dessen Aufwachsen als Schiite in einem radikalen sunnitisch-islamischen Land – eine Vorgeschichte, die die Tat in ihrer Grausamkeit schwer einordbar macht.

Doch nicht alles braucht ein vorgefertigtes "Raster". Frei nach 1. Johannes 2, 1-6 gilt: "An ihren Taten sollt ihr sie messen." Der aus Saudi-Arabien stammende Mann, der sich selbst als "aggressivsten Kritiker des Islams in der Geschichte" bezeichnete, suchte sich sein Ziel nicht zufällig: Nicht eine Moschee, nicht eine Demonstration, sondern gezielt einen Weihnachtsmarkt, der auf christlicher Tradition gründet, wählte er als Schauplatz seiner mörderischen Fahrt.

Drohungen im Netz blieben trotz Warnung ohne Konsequenzen

Auch bei den Attentätern vom Breitscheidplatz 2016 oder denen von Mannheim, Solingen und kürzlich New Orleans gründen die ideologischen Ursprünge und die Rechtfertigung der Taten in der religiös-kulturellen Sozialisation der Täter.

Und noch ein Déjà-vu: Auch der Todesfahrer von Magdeburg war wegen Drohungen im Netz mehrmals in das Visier der Behörden, sogar Auslandsgeheimdienste geraten. Ohne Konsequenzen. 

Die Vorgeschichte des Attentats in Magdeburg ist gespickt von behördlichen Fehlentscheidungen, Wegschauen, Verantwortung weiterschieben. Die "Aufarbeitung" scheint diese Tradition fortzuführen. Die Warnungen vor einem "Instrumentalisieren" des Attentats für eigene politische Ziele lenken von Selbstreflexion und Verantwortungsnahme ab. Stattdessen soll man sich vor dem eigenen "Hass" hüten. 

Die Beschwichtigungs- und Warnrhetorik zieht nicht mehr

Doch diese Beschwichtigungs- und Warnrhetorik zieht nicht mehr. Die Deutschen sind überwiegend nicht von "Hass" auf Andersgläubige getrieben. Sie wollen sich aber weder an Großveranstaltungen gewöhnen, deren Besuch dem eines Hochsicherheitstrakts im Gefängnis gleicht, noch an Tote und Verletzte als "Kollateralschäden" einer verpatzten Einwanderungspolitik. 

Derselbe Staat, der schnell mit Hausdurchsuchung, Anklage oder gar Verurteilung handelt, wenn politisches Spitzenpersonal beleidigt wird, ist es seinen Bürgerinnen und Bürgern schlicht schuldig, sie vor jeglichen Fanatisten zu schützen, die ihr "Heil" im Terrorisieren und Morden suchen. Taten sind gefragt, an denen man verantwortungsvolle und damit wählbare Politiker messen sollte.

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