Am vergangenen Freitag, den 20. Dezember 2024, raste ein Attentäter mit einem Auto in den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Er tötete fünf Menschen – vier Frauen und ein neunjähriges Kind – und verletzte 200 weitere. 

Wie in solchen Fällen leider üblich, richtete sich das Medieninteresse sofort auf den Täter. Für Mitgefühl oder gar Trauer um die Toten und Verletzten nehmen sich nur wenige Kommentatoren Zeit. Stattdessen versuchen viele sofort, die Gewalttat in ihre jeweilige politische Agenda einzuordnen. 

Der Anschlag von Magdeburg schien zunächst in das Schwarz-Weiß-Schema rechter und rechtsextremer Vorstellungen zu passen: Ein arabischer Mann, als Flüchtling nach Deutschland gekommen, alles klar - das muss ein Islamist gewesen sein. Auch der Ort des Anschlags schien in dieses Schema zu passen.

Attentat auf Magdeburger Weihnachtsmarkt: Der erste Eindruck täuschte

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass in der Parteizentrale einer bestimmten Partei wohl schon die sprichwörtlichen Sektkorken geknallt haben: Ein islamistischer Anschlag kurz vor Weihnachten, keine zwei Monate vor der vorgezogenen Bundestagswahl - was für ein Wahlkampfgeschenk. Aber auch jenseits der genannten Partei konnte man beobachten, wie die rhetorischen Messer gewetzt wurden, um die schreckliche Tat in Munition für das eigene Feindbild zu verwandeln.

Doch schnell wurde klar, dass der erste Eindruck täuschte. Zwar war der Täter 2006 aus Saudi-Arabien nach Deutschland geflohen. Aber er war kein Islamist. Vielmehr wurde schnell klar, dass er sich als Islamkritiker verstand - und sich in den sozialen Medien in den üblichen rechtsextremen Verschwörungstheorien über die angebliche Islamisierung und Unterwerfung Europas erging. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel galt sein Hass, die einzige politische Hoffnung sah er in der AfD, dem niederländischen Islamhasser Geert Wilders und dem sich munter weiter radikalisierenden Multimilliardär Elon Musk. 

Warum ein offensichtlich rechtsextremer Islamhasser ausgerechnet einen Weihnachtsmarkt auswählte, um seine mörderische Ideologie in die Tat umzusetzen, ist noch nicht befriedigend geklärt. Die beiden Kirchen, die die Tat als "sinnlose Gewalt" bezeichneten, die "fassungslos" mache, haben natürlich Recht. Verstehen im Sinne von Begreifen kann man solche Anschläge letztlich nicht. 

Terroristen sind Araber sind Islamisten – oder?

Was man aber sehr wohl verstehen, im Sinne von analysieren kann, ist die Ideologie dahinter. Und da ist es leider bezeichnend für das Niveau des Diskurses in Deutschland, dass ausgerechnet ein renommierter Terrorismusforscher im "Deutschlandfunk" sagte, eine solche Tat eines arabischstämmigen Mannes, der Muslime hasse und die AfD gut finde, habe er "nicht auf dem Zettel" gehabt. 

Diese in den sozialen Medien verbreitete Aussage zeigt, wie viele blinde Flecken es in Deutschland gibt. Terroristen sind Araber sind Islamisten, lautet die Formel, die weite Teile der Öffentlichkeit offenbar tief verinnerlicht haben. Dass der rechtsradikale Attentäter vom Münchner OEZ vor acht Jahren, der sich Anders Breivik zum Vorbild nahm, iranischer Abstammung war, scheint längst vergessen.

Aus dem schrecklichen Attentat von Magdeburg lassen sich daher mehrere Lehren ziehen, die in der deutschen Öffentlichkeit bisher viel zu wenig Beachtung gefunden haben. Zum einen, dass es nach wie vor sehr ratsam ist, sich bei Terroranschlägen zunächst auf das Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen zu beschränken, anstatt nach Herkunft und Vornamen der Täter zu fragen. 

Zweitens, dass rechtsextreme Ideologien wie der Islamhass nicht an die Herkunft eines Täters gebunden sind und dass die Herkunft eines Täters in keinem kausalen Zusammenhang mit möglichen Straftaten steht. Insgesamt helfen dichotome Narrative von guten Deutschen und bösen Ausländern hier nicht weiter.

Islamhass kann tödlich sein

Und schließlich, vielleicht am wichtigsten, muss die Gefährlichkeit und Tödlichkeit islamfeindlicher Ideologie endlich anerkannt werden. Anschläge wie der bereits erwähnte in München 2016, die in Halle 2019 und Hanau 2020 und nun eben der in Magdeburg wurden allesamt von Tätern begangen, zu deren Feindbild ganz entscheidend Muslim*innen zählten.

Wir können es uns als Gesellschaft nicht länger leisten, jede*n, der*die abfällig über den Islam und Muslim*innen spricht, als "Islamkritiker*in" zu verharmlosen. Die zum Teil tief verwurzelte Feindseligkeit gegenüber muslimischen Menschen, die oft auf jahrhundertealten orientalistischen Klischees und Fehlinformationen beruht, muss endlich klar benannt und bekämpft werden. Und alle Ideologien, die in mörderische Terrorakte münden, müssen mit dem gleichen kritischen Blick analysiert werden: Islamophobie gehört ebenso dazu wie Antisemitismus und Rassismus. 

Kommentare

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MaxEhrlich am So, 05.01.2025 - 12:19 Link

Ist das wirklich Ihr Ernst, Herr Maquart? Menschen wie Ahmad Mansour, Seyran Ates oder Hamed Abdel-Samad, die in Deutschland nur noch unter Polizeischutz leben können, weil sie den ach so sankrosanten Islam kritisieren. Diesen Menschen und allen die unter den gewaltsamen Auswüchsen dieser Religion leiden, denen fallen Sie in den Rücken. Als ob in Deutschland nicht Synagogen, sondern Moscheen von Polizisten geschützt werden müssen. Wie verschoben muss die Wahrnehmung der Wirklichkeit sein?
Frei nach Marx könnte man sagen: Die Kritik der Verhältnisse beginnt mit der Kritik der Religion und dazu gehört auch der anscheinend unantastbare Islam.

Ingrid Müller am So, 29.12.2024 - 09:44 Link

Aber warum muessen jetzt Weihnachtsmaerkte geschützt werden?
Das war doch nicht immer so.
Woher kommt die Bedrohung?

Florian Meier am Mo, 23.12.2024 - 18:13 Link

Ein trauriger Kommentar, der genau das tut, was er als verwerflich anzusehen deklariert: Die Untat politisch im eigenen Sinn auszuschlachten und woanders als in den vermeintlich eigenen Reihen einzusortieren. Dabei ist es für eine abschließende Bewertung viel zu früh. Ob es vermeidbare Sicherheitslücken gab, ob das Weltbild des Täters geschlossen oder eher wirr war, ist noch lange nicht restlos geklärt. Die Linke verwehrt sich zurecht dagegen unter RAF und Stalin subsumiert zu werden. Deshalb ist auch in die andere Richtung Zurückhaltung angebracht. Leider können es Journalisten nicht lassen mit Vereinfachungen sich selbst zu bestätigen, während sie zugleich die Komplexität der Moderne beschwören. Sieht man nicht, dass ein Gutteil gegenwärtiger Polarisierung nicht nur bei antiliberalen Bösmenschen sondern im eigenen Kopf sitzt? Die Bibel warnt mit Splittern, krähenden Hähnen und Steinewerfer n vor allem vor einem: Der Selbstgerechtigkeit.