Es ist eine Klage, die viele Angestellte im Pflegebereich kennen: "Ich würde mich gern intensiver um die Menschen kümmern, wenn ich nur mehr Zeit hätte."

Anne Rademacher hört das besonders oft von Pflegekräften, die nach einer Weiterbildung in Palliative Care, also der Pflege von Schwerkranken am Lebensende, mit viel Elan in ihre Einrichtungen zurückkehren.

"Dann stellen sie fest, dass ihnen im Arbeitsalltag einfach die Zeit fehlt, das Erlernte umzusetzen", beschreibt die Geschäftsführerin der Münchner Paula Kubitscheck-Vogel Stiftung das Dilemma.

Zeitintensive Betreuung im Pflegeheim

Deshalb treibt die Münchner Stiftung seit 2018 das Projekt "Zeitintensive Betreuung im Pflegeheim", kurz ZiB, mit rund 200.000 Euro pro Jahr voran. Sie sattelte dabei auf ein Experiment des Anna Hospizvereins in Mühldorf auf: Dort hatten die Verantwortlichen ein Jahr lang zusätzliche Palliative-Care-Fachkräfte in der Klinik, in ambulanten Pflegediensten und in stationären Pflegeheimen angestellt. Das Ziel: Mehr Würde in die Pflege bringen.

"Wenn jemand am Lebensende ist, verlangsamt sich alles", sagt Sabine Brantner vom Anna Hospizverein.

Ob Essen oder Körperhygiene - es gehe darum, den Menschen Zeit zu lassen, um das zu tun, was sie noch können. Am Ende des Projektjahrs stellten die Initiatoren fest, dass das ZiB-Konzept im Klinikalltag und in Pflegediensten nicht funktionierte.

"Die Zeit ist im Alltag schlichtweg versackt", bilanziert Brantner. In den Pflegeheimen jedoch sei es den Fachkräften im Anschluss an ihre Schichten möglich gewesen, sich im bezahlten Rahmen von ZiB eine Stunde palliativ um Bewohner zu kümmern.

Lebensqualität verbessern, Kosten sparen

Der Vorteil: "Pflegerinnen und Pfleger kennen ihre Bewohner und können gut einschätzen, wenn es zu einer Verschlechterung kommt", sagt Brantner. Unnötige Klinikaufenthalte konnten verhindert, Lebensqualität verbessert, Kosten gespart werden. Zugleich seien ZiB-Kräfte auch Bindeglieder zu Angehörigen und Ärzten.

Im zweiten Projektjahr ab Herbst 2021 weitete die Paula Kubitschek-Vogel Stiftung das Modell auf ganz Bayern aus. Mit Hilfe von Fördermitteln des bayerischen Gesundheitsministeriums, der Stiftung Zukunft Mensch und der Otto-Diegel-Stiftung konnten - in Kooperation mit acht Hospizvereinen - 50 zusätzliche Fachkräfte in 22 Pflegeheimen beschäftigt werden, von Landsberg am Lech bis Zwiesel, von Freising bis Rothenburg ob der Tauber.

Rund 60 Stunden für zeitintensive Betreuung seien so pro Pflegeheim entstanden. Eine wissenschaftliche Begleitstudie, die am Mittwoch im Rahmen eines Fachtags in München vorgestellt wurde, überprüfte Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des ZiB-Projekts.

Gewinn für Angehörige und Pflegeteam

"Wir haben rundum gute Erfahrungen mit dem ZiB-Projekt gemacht", sagt Ursula Memhardt, Einsatzleiterin vom Hospizverein Rothenburg ob der Tauber. Zum Wohle der schwerkranken Bewohner habe der Hospizdienst die Zusammenarbeit mit den Pflegeheimen intensivieren können. Letztlich sei das auch ein Gewinn für die Angehörigen und das Pflegeteam.

In Rothenburg geht das Projekt deshalb seit 1. März in die nächste Runde - allerdings um die Hälfte abgespeckt, mit nur einer Palliative-Care-Pflegekraft pro Einrichtung. Das Gehalt werde von Spendengeldern getragen.

Doch nicht überall konnte sich das Projekt durchsetzen - dann ist der krasse Personalmangel die Ursache. In Augsburg übernahmen teilweise Vollzeitkräfte zusätzliche ZiB-Stunden.

"Das war keine gute Idee, da es zur Überforderung geführt hat", sagt Stephanie Ludwig, Geschäftsführerin des St. Vinzenz-Hospiz Augsburg.

Das Problem dürfte sich in Zukunft noch verschärfen: Schätzungen zufolge fehlen bereits heute 200.000 Kräfte, in zwölf Jahren könnten es über 300.000 sein.

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