Jairo Yanakuna hat Angst um die Kinder. "Kürzlich haben wir ein 14-jähriges Waisenmädchen aus den Fängen der Paramilitärs befreit", erzählt der Indigenen-Anführer in Popayán, der Hauptstadt des kolumbianischen Departements Cauca. "Die Zwangsrekrutierung von Kindern durch bewaffnete Gruppen bleibt unser größtes Problem." Yanakuna ist der politische Anführer der Selbstverteidigungsorganisation des Regionalrats indigener Völker in West-Kolumbien (Cric) und alleinerziehender Vater zweier Töchter.

Chaos der Pandemie wurde zur Rekrutierung genutzt

Kolumbien ist laut Unicef eines von etwa 20 Ländern weltweit, in denen Kinder von bewaffneten Gruppen benutzt werden. Auch die Armee hat auf diese Weise gegen internationales Recht verstoßen. Nach Angaben der kolumbianischen Sonderjustiz zur Aufarbeitung des Bürgerkrieges (JEP) zwang das Militär von den 1960er-Jahren bis 2016 mindestens 94 Kinder in ihre Dienste. Die 2016 aufgelöste Farc-Guerilla setzte mehr als 18.600 Mädchen und Jungen ein.

Zwar haben die Regierung und die Farc 2016 ein Friedensabkommen abgeschlossen. Andere Guerillas, paramilitärische Milizen und Drogenkartelle verbreiten weiter Gewalt und verschleppen Minderjährige. Allein für 2021 dokumentierte die Indigenen-Organisation Acin 272 Fälle zwangsrekrutierter Kinder von Urvölkern in Westkolumbien, ein Anstieg um über 250 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Bewaffneten hätten das Chaos des Pandemiejahres genutzt. Die Täter blieben weitgehend straflos. 80 Prozent der Verschleppten waren Mädchen.

Deeskalation steht im Vordergrund 

Aber auch für die Erwachsenen ist die Präsenz bewaffneter Gruppen eine Gefahr. Sie gerieten oft ins Kreuzfeuer zwischen der ELN-Guerilla und abtrünnigen Farc-Rebellen, die um die Vorherrschaft in der Region kämpften, erläutert Yanakuna. Er entwirft Karten, auf denen die jeweiligen bewaffneten Gruppen verzeichnet sind, um die Bewohner zu warnen. Aufgabe der indigenen Selbstverteidigung ist es, zu deeskalieren. "Unsere Arbeit ist sehr gefährlich, es gab schon mehrere Tote", sagt der 63-Jährige. Die unbewaffneten Wachen könnten sich und die Menschen nur dadurch schützen, dass sie in der Überzahl seien.

"So schüchtern wir die Gegner oft ein."

Cauca ist eine von Gewalt gebeutelte Region: Allein 2022 wurden 14 Massaker an Zivilistinnen und Zivilisten registriert. Die Gegend ist mit einem guten Klima und reichlich Wasser gesegnet: Es werden Kartoffeln, Zuckerrohr und Kaffee angebaut. Zum Nachteil der dort lebenden Indigenen hat dieser Naturreichtum Drogenanbau und Großgrundbesitz angelockt, die beide Gewalt mit sich bringen. Viele Familien nehmen aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch unter Zwang an diesem Geschäft teil. Die Jugendlichen glaubten, sich damit ihre Träume erfüllen zu können, sagt Yanakuna.

Neuer kolumbianischer Präsident ist Hoffnungsträger

In West-Kolumbien werden großflächig Koka und Marihuana angebaut. Allein für Koka wurden 2021 nach UN-Angaben 204.000 Hektar genutzt, ein "historischer Rekord". Dabei wurde Cauca erst in den vergangenen Jahren für den Drogenanbau erschlossen. Schon jetzt bringt er Gemeinden teilweise deutlich mehr Geld ein als alle anderen Wirtschaftszweige.

Der Indigenenrat will dem etwas entgegensetzen, mit einer Plattform zum Vertrieb von eigenen Produkten etwa. Und im Frühjahr wurde der erste indigene Flughafen des Landes eröffnet, um den Tourismus zu fördern.

Große Hoffnungen setzen die Menschen der gebeutelten Region in den neuen kolumbianischen Präsidenten, den Linken Gustavo Petro. Beinahe 80 Prozent der dort lebenden Bevölkerung stimmte im vergangenen August für den Ex-Guerillero.

"Die Situation hat sich seither schon verbessert, insbesondere was die militärische Präsenz in unseren Territorien angeht",

stellt Yanakuna fest. "Viele sind dennoch von Petros bisherigem Handeln enttäuscht." Die Menschen verstünden nicht, dass eine über 200 Jahre verursachte Misere nicht in wenigen Monaten verschwinden. Yanakuna aber ist zuversichtlich. Sollte Petro seinen Plan vom "allumfassenden Frieden" mit den verbleibenden illegalen Gruppen verwirklichen, stünden sie als Friedensgaranten bereit. "Wir Indigene des Cauca unterstützen diesen Wandel."

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