Als Finanzexperten haben Sie viel Erfahrung mit Geld, seiner Erhaltung und Vermehrung. Zählen dazu auch Lotto und Glücksspiel?
Barzen: Mit 18 Jahren habe ich 56 D-Mark im Casino verloren. Die Erfahrung war ausreichend für mich.
Pietzcker: Ich habe mich ein einziges Mal im Glückspiel versucht und bei einem Hütchenspieler in New York zehn Dollar verloren.
Wie schätzen Sie also auch ohne diese Geldquellen die finanzielle Situation der Landeskirche ein?
Pietzcker: Diese Frage muss man perspektivisch beantworten und vor allem drei große Trends berücksichtigen. Wir haben - immer noch - höhere Kirchensteuer-Einnahmen, einfach weil durch die gute Konjunktur die Steuer-Einnahmen generell steigen. Diesem positiven Trend stehen aber zunehmend zwei problematische Entwicklungen entgegen: Die Bindung der Menschen an ihre Kirche geht zurück, was zu einer Austrittquote von rund einem Prozent pro Jahr führt. Vor allem macht uns aber eine problematische Demografie-Kurve zu schaffen, dass nämlich in den nächsten Jahren eine große Zahl an Kirchenmitgliedern in den Ruhestand gehen werden, was durch die nachwachsende Generation nicht ausgeglichen wird. Dadurch gehen dann zwangsläufig die Kirchensteuern zurück.
Wie wollen Sie auf diese Entwicklungen reagieren?
Pietzcker: Vor allem mit dem von der Synode beschlossenen Instrument der Vorsteuerung. Dadurch entkoppeln wir die Ausgaben von den Einnahmen. Zusätzliche Mehreinnahmen werden nicht mehr für neue Ausgaben verteilt, sondern sollen der Abfederung für die Zukunft dienen, wenn die Kirchensteuer-Einnahmen durch den bereits beschriebenen demografischen Wandel zurückgehen. Wenn wir verantwortlich handeln wollen, können wir die zu erwartenden finanziellen Engpässe und die nötigen Umstrukturierungen nicht einfach den kommenden Generationen überlassen. Sondern wir müssen jetzt klug, vorausschauend und langfristig planen.
Barzen: Die Vorsteuerung, also die Vorgabe eines maximalen landeskirchlichen Gesamtbudgets vor der Detailplanung, verhindert, dass wir Strukturkosten aufbauen, die wir später nicht mehr finanzieren können. Die Vorsteuerung begrenzt den "Aufwuchs", also das Anwachsen der Ausgaben, und sorgt so für einen finanziellen Puffer für die Zeiten zurückgehender Finanzen. Das führt dazu, dass Ausgaben alternativ gesehen werden. Wenn man also ein Projekt neu auf die Schiene setzen will, muss man dafür meist ein Bisheriges aufgegeben.
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Bestimmen dann also die Finanzplaner den Kurs und die Schwerpunkte der Landeskirche?
Barzen: Eben gerade nicht! Die Vorsteuerung wird in ihrer Höhe von der Synode als dem Haushaltssouverän beschlossen. Im Haushaltsjahr 2017 werden die Ausgaben gegenüber 2016 um 1,8 Prozent ansteigen, mehr nicht. Die Fachabteilungen schlagen vor, wie sie ihr Budget einsetzen wollen. Ihr Entwurf hat in aller Regel ein sehr starkes Gewicht. Neuen Herausforderungen zu begegnen oder Akzente zu setzen bedeutet bei einem Wachstum von 1,8 Prozent allerdings, dass dies nur durch die Verlagerung von Budgets möglich ist.
Pietzcker: Wir wollten mit der Vorsteuerung von dem alten System wegkommen, dass die inhaltlichen Abteilungen erstmal eine ganze Menge Vorschläge machen, woraufhin dann die Finanzer diese Wünsche beschneiden. Jetzt können sie selbst in einem vorgegebene Rahmen weitgehend festlegen, was realisiert werden soll. Dieses Verfahren spart nicht nur viel Arbeit, sondern entspricht auch meinem Selbstverständnis, dass der Finanzer eben nicht derjenige ist, der die Letztentscheidung über Inhalte hat.
Wo sind durch die Vorsteuerung neue Spielräume entstanden?
Barzen: Weil die Vorsteuerung eingehalten worden ist, konnten beispielsweise 2015/2016 20 Millionen Euro zusätzlich der Hilfe für Flüchtlinge zugute kommen.
Pietzcker: Aber auch ganz grundsätzlich haben möglichst große finanzielle Handlungsmöglichkeiten eine enorme Bedeutung, damit die Kirche auch in Zukunft für ihre Mitglieder attraktiv sein und die biblische Botschaft kraftvoll in die Welt bringen kann. Dafür braucht die Kirche Reserven für Investitionen und strategische Projekte. Niemand hat für strategische Projekte einen Dukaten-Esel im Keller stehen, immer muss hierfür ein Teil der Einnahmen reserviert werden. Insoweit darf auch die Kirche ihre Zukunft nicht aus dem Blick verlieren und muss auch in neue Formate investieren, beispielsweise die Jugendkirchen voranbringen. Da wäre ein "Slow-Go-Modus?" geradezu fahrlässig.
Ist der kirchliche Haushalt aber nicht durch die nötigen Versorgungsleistungen für die Kirchenbeamten von vornherein zu einem großen Teil festgelegt?
Barzen: In der Tat machen die nötigen Versorgungsleistungen insgesamt 200 Millionen Euro im Jahr aus. Das ist eine Hausnummer. Die Verpflichtungen, die aus den bislang erbrachten Dienstzeiten resultieren, summieren sich auf 3,4 Mrd. Euro, wenn man die medizinische Versorgung im Ruhestand einschließt. Für den größeren Teil dieses Betrages haben wir entsprechendes Vermögen reserviert. Damit stehen wir besser da als viele staatliche Institutionen.
Das Thema rückt nun stärker ins Blickfeld: Die Gewichtung der Altersversorgung im Verhältnis zu den anderen kirchlichen Aufgaben. Die Kirche ist nun mal eine personalintensive Organisation. Und das muss sie auch so sein, um weiterhin kraftvoll und stark ihren Auftrag erfüllen zu können.
Generationengerechtigkeit bedeutet jedoch, dass wir so wirtschaften, dass wir in der Versorgungsthematik nicht nur an die mittlere und ältere Generation denken dürfen, sondern auch an die Jungen, wie etwa die Theologiestudierenden und die Vikarinnen und Vikare. Unter anderem deshalb überlegen wir derzeit in einem umfassenden Beteiligungsprozess, mit langem Atem, ohne Zeitdruck, wie unsere Altersversorgung zukunftsfähig und möglichst gerecht sein kann. Dabei spielen Gerechtigkeitsfragen eine wichtige Rolle.
Die in letzter Zeit veröffentlichten Zahlen, wie etwa das Milliardenvermögen des katholischen Bistums München oder die wiederum gestiegenen Kirchensteuereinnahmen, vermitteln das Bild einer reichen Kirche. Sehen Sie das auch so?
Barzen: Die Bilanz des Erzbistums München und Freising weist ein fundamental anderes Bild aus, als unsere Bilanz. Während die ELKB bei einer Bilanzsumme von 3,7 Milliarden Euro ein negatives Reinvermögen von circa 370 Millionen. Euro hat, hat die Erzdiözese bei einer Bilanzsumme von 3,3 Milliarden Euro ein positives Reinvermögen von 2,7 Milliarden Euro. Hinzu kommen der bischöfliche Stuhl und die Stiftungen. Die Pensionsverpflichtungen belaufen sich auf "nur" 340 Millionen Euro.
Pietzcker: In der Öffentlichkeit werden häufig die Aktiva mit dem Vermögen gleichgesetzt. Das Vermögen setzt sich aber zusammen aus den Vermögenswerten einerseits und den Verpflichtungen, die man eingegangen ist und für die man einstehen muss, andererseits. Bei Vermögenswerten von 3,3 Milliarden Euro hat die ELKB Verpflichtungen, für die sie in der Zukunft - also außerhalb des Haushaltes 2016 - aufkommen muss in Höhe von 3,7 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass die angesammelten Vermögenswerte nicht ausreichen, um die eingegangenen Verpflichtungen in der Zukunft abzudecken. Deshalb spricht man von einem negativen Eigenkapital. Zum Ausgleich werden wir also auch künftige Erträge einsetzen müssen. Ist die bayerische Landeskirche so gesehen reich oder arm?
Für den aktuellen Haushalt bleibt die Kirchensteuer trotzdem die wesentliche Einnahme-Quelle. Was halten Sie deshalb von Stimmen - auch aus der Kirche - die diese Steuer durch ein System freiwilliger Abgaben ersetzen wollen?
Pietzcker: Diese Diskussion halte ich für nicht zielführend oder sachgerecht. Denn die Kirche leistet nach meiner festen Überzeugung einen unverzichtbaren Dienst für die gesamte Gesellschaft, alleine schon, weil sie für eine Werte-Orientierung steht, die für alle Menschen wichtig ist und so einen wesentlichen Beitrag für ein humanes Zusammenleben leistet.
Barzen: Außerdem ist das jetzige System das gerechteste, das ich mir vorstellen kann: Jeder und jede wird fair nach seinem Leistungsvermögen, nach seinen finanziellen Möglichkeiten besteuert, die Steuer wird anonym erhoben. Der Gemeindepfarrer weiß also nicht, wer wieviel an Kirchensteuern zahlt. Eine besondere Rücksichtnahme auf den zahlungskräftigen Teil der Gemeinde gibt es nicht.
Welche konkreten Gründe würden Sie persönlich darüber hinaus für die Kirchensteuer anführen?
Barzen: Die Kirche ist - nahezu als einzige Organisation - in der gesamten Fläche präsent und trägt allein schon dadurch zum Zusammenhalt einer Gesellschaft bei, die sich immer stärker auseinander driftet. Die Kirche hat nach dem Subsidiaritätsprinzip unverzichtbare soziale Aufgaben, die der Staat nicht leisten könnte. Sie setzt sich für Menschen in Notlagen, für sozial Schwache oder aktuell für Flüchtlinge ein. Zentral ist und bleibt jedoch ihre Verkündigungsarbeit und die damit verbundene Wertprägung.
Aus Gemeinden werden Forderungen laut, das jetzige System der Zuweisungen umzustellen mit dem Ziel, dass diese Ebene stärker darüber bestimmen kann, wie sie die Finanz-Mittel einsetzen will.
Pietzcker: Das ist schlichtweg ein falscher Ansatz. Denn dadurch würde ganz wesentlich der Verwaltungsaufwand in unseren gut 1.500 Gemeinden vergrößert. Das wäre genau das Gegenteil zu den Forderungen von Pfarrern und Gemeinden, die Bürokratie und Verwaltung in ihrem Bereich zu verschlanken, damit mehr Kraft und Zeit für die Kernaufgaben, für Seelsorge und Verkündigung, bleibt. Außerdem muss eine flächendeckende Versorgung in ganz Bayern mit Pfarrern und kirchlichen Dienstleistungen gewährleistet sein. Finanzschwache Gemeinden brauchen genauso einen fähigen und qualifizierten Pfarrer wie Gemeinden mit einem hohen Steuer-Aufkommen.
Wagen Sie eine Prognose, wo die jetzt eingeleiteten Prozesse und Entwicklungen in zwei Jahren angekommen sein werden?
Barzen: Da bin ich optimistisch und glaube, dass wir erste, vorsichtige Veränderungen erreicht haben.
Pietzcker: Das sehe ich genauso. Denn durch die Vorsteuerung haben wir im Gegensatz zu vergangenen Prozessen und Konzepten einen Handlungsdruck aufgebaut. Es wird kein Haushalt mehr abgeschlossen, der über dem festgelegten Rahmen liegt. Dieser Akt der Selbstbeschränkung wird dazu beitragen, die Kirche zukunftssicher und finanziell handlungsfähig zu machen.