Sie haben es selbst in die Hand genommen: einen neuen Fußbodenbelag verlegt, die Wände gestrichen, die Fenster mit kirchlichen Motiven geschmückt und ein großes Holzkreuz angebracht. Am Freitag (10. August) wollen die Holy Bulls, der christliche Fanclub des Bundesligisten Rasenballsport Leipzig, nun die Stadionkapelle "Gloria" an der Red Bull Arena offiziell einsegnen lassen.

RB Leipzig wurde 2009 gegründet, auf Initiative des Energy-Drink-Herstellers Red Bull. Kein Wunder, dass der Club in der restlichen Fußballrepublik verhasst ist wie kein zweiter. Kein Wunder auch, dass die Leipziger Fanszene noch recht jung ist. Die Holy Bulls haben sich 2012 zusammengefunden, zwei Jahre später ist daraus ein offizieller Fanclub geworden.

Olaf Olschewski ist eines der sieben Gründungsmitglieder. Dass der jungen RB-Anhängerschaft von anderen gern das "wahre Fan-Sein" abgesprochen wird, kommentiert er rhetorisch: "Kommt das ›wahre Fan-Sein‹ mit der jahrelangen Tradition eines Vereins, oder ist es die Passion, mit der man jedes Spiel verfolgt, sich mitfreut oder mitleidet?"

Kommerz und christliche Werte?

Die Begeisterung für den Verein wächst. Auch das Interesse am christlichen Fanclub. "Mittlerweile sind wir 240. Etwa die Hälfte sind Christen – evangelisch, katholisch und freikirchlich –, die andere Hälfte Nichtchristen", erzählt der 52-Jährige. "Das ist ungewöhnlich. Aber wir sind hier im Osten, der einige Brüche erlebt hat", erklärt er. "Hier gibt es viele Leute, die in Familien aufgewachsen sind, die irgendwann der Kirche den Rücken zugekehrt haben. Aber viele von ihnen teilen unsere Werte Respekt, Annehmen und Vergebung – und darauf kommt es uns an."

Das Zeichen der Holy Bulls ist das sogenannte Tatzenkreuz. Als rotes Kreuz auf weißem Grund entspricht es dem Wappen des Templerordens. Der Fanclub verwendet es mit Bezug auf die RB-Vereinsfarben Rot und Weiß. "So, wie die Templer Pilger und Pilgerwege schützten, so achten, ehren und verteidigen wir den familiären, friedlichen und bunten Charakter der RB-Fangemeinde", schreiben die Holy Bulls auf ihrer Website. Sie werden regelmäßig aktiv, wenn Choreografie im Fanblock, Fanmärsche oder Benefiz-Aktionen zu organisieren sind.

Nicht missionarisch unterwegs

"Wir versuchen, innerhalb der Fanszene eine Scharnierfunktion wahrzunehmen", sagt Olschewski. Fanclub-Sprecherin Ulrike Schmidt konkretisiert: "Selbstverständlich wollen wir Vorbild sein, in der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Aber wir sind zuallererst Fußballfans – und nicht missionarisch unterwegs." Das bedeute aber nicht, "dass wir uns nicht lautstark melden würden, wenn es zum Beispiel rassistische Pöbeleien geben sollte". Bisher aber sei das noch kein Thema bei RB gewesen.

Doch wie vertragen sich die christlichen Werte mit dem modernen Profifußball, bei dem es oft nur noch um Millionengeschäfte zu gehen scheint? Olschewski winkt ab: "Wir sehen natürlich auch, wie Profifußball heutzutage funktioniert, sind dabei aber nicht unkritisch. Entscheidend für uns ist, dass im Verein ehrlich gearbeitet wird, Entscheidungen transparent sind und sauber mit der Hoffnung der Fans umgegangen wird."

Eröffnet wurde die Kapelle vor dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund im März, nun (10. August) wird sie eingesegnet. Vier Geistliche werden die Gebete sprechen. Den ersten "gesegneten Einsatz" wird die "Gloria" am 2. September haben, wenn es gegen Fortuna Düsseldorf geht.

Der Capo kommt regelmäßig

Vorerst sollen in der Kapelle noch keine richtigen Gottesdienste gefeiert werden, erklärt Vorstandsmitglied Olschewski, "sondern Fantreffen, Lesungen und natürlich Andachten, bei denen es darum geht, zur Besinnung zu kommen und zur Ruhe". Dann werde auch schon mal um ein friedliches, verletzungsfreies Spiel gebetet, erzählt er und fügt lachend hinzu. "Um drei Punkte bitten wir nicht – das ist nicht unser Ansatz." Geöffnet ist die Kapelle, in der etwa 40 Personen Platz finden, zunächst immer zu den Heimspielen. Dann sind neben Clubmitgliedern sowie christlichen Gäste-Fans auch andere Besucher willkommen. Und auch ein – unter RB-Fans – prominentes Nicht-Mitglied schaut regelmäßig vorbei. Olschewski: "Der Capo kommt vor fast jedem Heimspiel noch mal hier her, um sich zu sammeln." Der Capo, das ist Vorsänger Sebastian, der bei den Spielen die Fangesänge anstimmt.

"Das soll nur der Anfang sein", hofft Sprecherin Ulrike Schmidt: "Ich könnte mir gut vorstellen, dass demnächst auch der eine oder andere Spieler vor dem Anpfiff die Kapelle besucht. Nicht nur von RB."

CHRISTLICHE FANCLUBS IM FUSSBALL

In Deutschland gibt es zahlreiche christliche Fußballfanclubs und -initiativen, die sich gegen Hass und Gewalt im Sport aussprechen. Viele haben sich unter dem Dach der "Totalen Offensive" zusammengeschlossen. Die meisten ihrer Mitglieder, die allesamt den christlichen Fisch als Erkennungszeichen auf ihren Schals tragen, drücken Mannschaften der 1. und 2. Bundesliga die Daumen. Sie engagieren sich auch sozial-diakonisch, gegen Gewalt und Intoleranz und für ein suchtfreies Leben.

Neben den Clubs der "Totalen Offensive" gibt es zum Beispiel die "TORa ET LABORA" (frei übersetzt "Schieße Tore und arbeite"), die nach eigenen Angaben "frömmsten Fans" aus Köln. Auf Schalke nennen sie sich "Mit Gott auf Schalke", in Hannover heißt der Fanclub "These 96" und in Leipzig "Holy Bulls".

Mit ihren Werten wie Fairness, Respekt und Solidarität seien die christlichen Fußballanhänger ein wichtiger Bestandteil der Fanszene, urteilt Fanforscher und Sportwissenschaftler Harald Lange. Untereinander pflegen die christlichen Fangruppierungen nach eigenen Angaben regelmäßigen und freundschaftlichen Kontakt.

Der HSV, Hertha BSC, Arminia Bielefeld, der VfL Bochum, Werder Bremen, Borussia Dortmund, der 1. FC Köln, Dynamo Dresden, die TSG Hoffenheim, Kickers Offenbach, der VfL Wolfsburg, der Chemnitzer FC, Fortuna Düsseldorf – Anhänger all dieser Fußballvereine haben im christlichen Fan-Netzwerk "Totale Offensive" bereits eigene Unter-Fanclubs gegründet.

Seit 2010 gibt es auch beim "Club" aus Nürnberg einen offiziellen Fanclub, der zur "Totalen Offensive" gehört. Die Franken sind damit der einzige bayerische Club im Netzwerk.

Auf dem Fanclub-Foto halten fünf erwachsene Clubberer und zwei sympathische Zwerglein vor dem Stadion eine Fischfahne mit 1.-FCN-Logo hoch. Mit dem Motto "Unser Ziel ist es, ein Zeichen zu setzen für ein begeisterndes Leben ohne Gewalt und Süchte – gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit innerhalb und außerhalb des Stadiums" laden sie zum Hauskreis ein. Leider ist die verlinkte Website www.totaleoffensive-fcn.de nicht erreichbar.

Und wie sieht es im Süden von Fußball-Bayern aus?

Immerhin schon seit Mai 2006 hat Deutschlands Fußball-Branchenprimus, der FC Bayern München, einen schwul-lesbischen Fanclub: An Aktivität in der harten Fanszene lässt es "Queerpass Bayern" nicht fehlen. Seine Mitglieder stehen in der Südkurve in den Blocks 112 und 113, also dort, wo die Ultras stehen, Dutzende schwuler und lesbischer Fans marschierten mit FC-Bayern-Fahnen Mitte Juli auf dem jüngsten Christopher-Street-Day in München mit.

Christen dürften zwar vermutlich in den – Stand 1. August 2018 – weltweit 4409 Bayern-Fanclubs mit ihren 349 156 Mitgliedern durchaus zu finden sein, aber keiner der Bayern-Fanclubs hat ein ausdrücklich christliches Profil. Am nächsten kommt der Sache vermutlich der FC-Bayern-Fanclub "The Holy Bloods". Die Fans des heiligen Bluts kommen aber lediglich aus einem katholischen Bayerwald-Wallfahrtsort, welcher Neukirchen beim Heiligen Blut heißt.

Papst Franziskus ist Ehrenmitglied bei den Münchner Löwen, aber dagegen konnte er sich nicht wehren: Der damalige Verwaltungsrats-Präsident Siegfried Schneider drückte dem Heiligen Vater die Urkunde bei einer Generalaudienz 2015 auf dem Petersplatz in die Hand. Geholfen hat es (ein) wenig: Der TSV blieb nach einer erfolgreichen Relegation damals in der 2. Bundesliga. 2017 kamen dann aber die Pleite und der Absturz in die 4. Liga. (epd/ms)

Gloria, Fidelitas, Gratia – also Ruhm, Treue, Gnade: "Holy Bulls" am Kicker vor ihrem Fanclub-Wappen.