Ende Oktober und Anfang November treffen zwei Feste aufeinander, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten – und doch manche Rituale gemeinsam haben: Halloween und der Martinstag.
Beide Feste bringen Kinder mit Taschen oder Laternen auf die Straßen, beide drehen sich um Licht in der Dunkelheit. Aber während das eine Fest gruselig, laut und global vermarktet ist, bleibt das andere eher heiter, besinnlich und eindeutig christlich.
Wir leben in einer Zeit, wo dem Lauten meist der Vorrang vor dem Leisen eingeräumt wird. Verdrängt Halloween also den Martinstag?
Zwei Feste mit ähnlichem Ablauf, aber unterschiedlicher Botschaft
Kinder ziehen singend oder rufend durch die Straßen, klingeln an Türen, bitten um Süßigkeiten – diese Szenen ähneln sich erstaunlich stark, ob am 31. Oktober oder am 11. November. (Anm. d. Verf.: Am Martinstag ist dies nicht überall in Deutschland üblich, der Brauch ist oder war aber regional sehr verbreitet)
Es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten: Halloween ist im weiteren Sinne ebenfalls ein Totengedenktag. Doch während St. Martin an die Freigiebigkeit des 397 gestorbenen Bischofs Martin von Tours erinnert, macht Halloween ein ernstes Thema, den Tod, zum spaßigen Gruselanlass.
Auch die äußere Form unterscheidet sich: Bei Halloween sind es Kürbisse, Spinnweben und das Motto "Süßes oder Saures", beim Martinstag Laternen, Lieder und das Gedenken an den Bischof, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte.
Zugespitzt könnte man sagen, der eine Brauch feiert das Teilen und das Licht, der andere spielt mit Angst und Dunkelheit.
Wandelnde Bräuche – und schrumpfende Laternenumzüge
Trotz aller Unterschiede scheint die Entwicklung eindeutig: Halloween boomt, St. Martin verliert an Bedeutung. Schon 2003 schrieb die "Welt", dass "immer weniger Kinder an den traditionellen Umzügen teilnehmen".
Mancherorts, so etwa in Bonn, sei der Martinsumzug im Kindergarten sogar ganz abgeschafft worden – zugunsten von Halloween. "St. Martin ist doch eine Tradition, die ich meinem Kind erklären kann, Halloween ist ein amerikanisches und aus Konsumgründen eingeschlepptes Fest", zitierte die Zeitung damals eine verärgerte Mutter.
Der Bonner Volkskundler Gunther Hirschfelder beobachtete bereits 2003 eine gesellschaftliche Verschiebung: "St. Martin ist ein Brauch, kulturell gelernt und verändert sich nicht mehr. Halloween ist ein Event – es muss jedes Jahr noch gesteigert werden." Dafür sorgten, so Hirschfelder, Industrie und Medien gleichermaßen.
Es gibt aber auch andere Stimmen: "Vor allem beim Süßigkeitensammeln der Kleinen ist da mit Sankt Martin schon eine Konkurrenz zu Halloween da", sagte Brauchtumsexperte Manfred Becker-Huberti 2018 gegenüber der "Welt". Vor allem im Rheinland, wo das sogenannte Heischeln – das Bitten um kleine Gaben – tief verwurzelt sei, werde sich Halloween deswegen wohl nicht durchsetzen, prognostizierte Huberti.
Leises Licht gegen lauten Grusel
Halloween ist in Deutschland kein über Jahrhunderte gewachsener Brauch, sondern ein konsumorientiertes Event. St. Martin hingegen ist vielerorts regional verwurzelt, religiös und noch dazu von ehrenamtlichem Engagement getragen.
Ob Halloween den Martinstag verdrängt, hängt letztlich weniger von der Kalendernähe als von der gesellschaftlichen Dynamik ab. In einer Zeit, in der Traditionen massiv an Bindungskraft verlieren, fällt es dem eher unscheinbaren Martin womöglich schwer, gegen die schrillen Kostüme des 31. Oktober zu bestehen.
Vielleicht müssen Halloween und Martinstag gar nicht konkurrieren, sondern können sich ergänzen. Die Einfachheit des Martinstags – das Teilen, das Licht in der Dunkelheit, die Lieder der Kinder – könnte ein notwendiges Gegengewicht zum überdrehten, kommerzialisierten Halloween sein.