Es ist noch Weihnachten und in manchen Wohnungen stehen sie noch, die Lichterbäume. In der Sprache der Kirche ist das die "Epiphaniaszeit". Die meisten orthodoxen Christen haben ihr Weihnachtsfest erst am 6. Januar gefeiert, an dem Tag, an dem wir in Bayern das Fest der Dreikönige zelebrieren - vielbeneidet in der Republik übrigens um diesen Feiertag mit den kleinen Sternsingern, die von Haustür zu Haustür ziehen und den Segen bringen. Wir sind also am 21. Januar immer noch in der Weihnachtszeit, die sich nach der Zeitrechnung der Christen bis Mitte Februar dehnt und dann jäh in die Passionszeit übergeht.

Dieses gedehnte Weihnachten stellt nicht mehr so sehr das Kind in der Krippe in den Vordergrund, sondern die Erscheinung des Herrn, die Anwesenheit Gottes in der Welt und damit die Symbolik von Weihnachten, die mit dieser Geburt verbunden ist: das Licht kam in die Finsternis und die Finsternis hat`s nicht ergriffen. Gott erscheint als Licht in der Finsternis der Menschen. Es ist die Vorstellung, dass die Menschen, die im tiefen Dunkeln wohnen den Morgenstern sehen, diesen Vorboten des anbrechenden Tages. Am Meer, in den Bergen, auf einem Hochhaus...jeder kennt dieses Gefühl in den Horizont zu blicken und zu sehen: dahinten verblasst der Morgenstern, die Venus – und dann lässt die Sonne den Erdkreis erglühen.

Licht in der Finsternis! Die Venus ist der hellleuchtende Trabant der Sonne. Und schon die alten Philosophen und Naturbeobachter ahnten, dass der leuchtende Stern der erscheint, wenn die Sonne untergeht, der gleiche ist wie der leuchtende Stern der immer noch da ist, wenn die Sonne aufgeht. Der Abendstern ist auch der Morgenstern. An besten drückt das der zärtliche Choral aus, der das Kommen Gottes mit dem hellen Leuchten des Morgensterns vergleicht.

Epiphanias-Zeit und Hiobsbotschaften

Das Licht in seiner ganzen Kraft kann ich nur wirklich sehen, wenn ich tiefes Dunkel in mir habe und um mich herum. Der Mann sitzt mit seiner Frau im Sprechzimmer eines Arztes. Er heißt Frank. Frank Lange. Der Arzt spricht konzentriert und sachlich: Sie haben einen Tumor im Gehirn. Er sitzt an einer Stelle, die inoperabel ist. Es tut mir leid. Dem Mann bleibt die Stimme weg: Wie lange habe ich zu leben? Fragt er. Drei Monate, wenn sie Glück haben, aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass das schmerzlos geht, in jedem Fall werden Sie sich verändern, wenn der Tumor wächst. Es wird sich alles verändern. Der Mann ist wenig über 40. Er hat eine Arbeit bei der Bahn, die ihm Freude macht und eine Familie, die er liebt: Simone, seine Frau und Lilly und Mika, seine Kinder.

Der Film, der die Geschichte des zufriedenen Arbeiters und Reihenhausbesitzers Frank nachzeichnet ist von Andreas Dresen inszeniert und heißt "Halt auf freier Strecke". Er war 2011 einige Wochen in den Kinos. Der Film ist harter Tobak. Kaum zu ertragen. Es wird erzählt wie Frank minutiös seine fortschreitende Krankheit dokumentiert, bis der bösartige Tumor in seinen ausbrechenden Wahnvorstellungen zu einer eigenen Figur wird. Erst raubt der Tumor Frank das Gedächtnis, dann die Orientierungsfähigkeit und schließlich die Kontrolle über wichtige Körperfunktionen. Du wirst sterben und es gibt keine Hilfe und keine Hoffnung. Du wirst elendiglich sterben.

Was eine Hiobsbotschaft bedeutet

Bis heute hat sich in unserer Sprache der Begriff der "Hiobsbotschaft" gehalten. Frank hat eine solche Hiobsbotschaft erhalten. Der Einbruch der totalen Finsternis. "Hiobsbotschaft", das ist eine Nachricht, die so überwältigend schlecht ist, dass man sich hinsetzen muss, weil das Blut schlagartig vom Kopf in die Beine sackt. Kollektiv haben wir das in den westlichen Gesellschaften am 11. September 2001 erlebt. Ungläubigkeit. Abwehr. Begreifen. Schock. Das Wort Hiobsbotschaft erinnert an den Mann Hiob, eine der provozierendsten Gestalten der Bibel und dessen Klage über sein elendes Schicksal und den gleichgültigen Gott. Die Klage über die tiefe Dunkelheit in der Welt und die Sinnlosigkeit menschlichen Tuns und Treibens. Hören Sie selbst:

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe,
geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.
Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!
Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:
so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus.
Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub erstirbt,
so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze.
Stirbt aber ein Mann, so ist er dahin; kommt ein Mensch um – wo ist er?
Wie Wasser ausläuft aus dem See, und wie ein Strom versiegt und vertrocknet,
so ist ein Mensch, wenn er sich niederlegt, er wird nicht wieder aufstehen; er wird nicht aufwachen, solange der Himmel bleibt, noch von seinem Schlaf erweckt werden. ....
Meinst du, einer stirbt und kann wieder leben? Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt.
Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände.
Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde.
Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen. (Hiob 14.1-17)

Hiob kämpft mit Gott

Hiob sagt im Schmerz ultimative Dinge zu seinem Schöpfer. So zum Beispiel bittet er Gott: so blicke doch weg von den Menschen, damit sie Ruhe haben, bis ihr Tag kommt, auf den sie sich wie Tagelöhner freuen. "Ihr Tag", das ist hier die Erlösung vom Leben, der Tag des Sterbens.
Er bittet Gott nicht ihn anzusehen. Schau doch weg. Ich, menschliches Geschöpf bin in Gottes Augen weniger Wert als die Pflanze, die es im Herbst hinwegrafft. Die hat immer noch die Chance, einen grünen Trieb hervorzubringen. Ich bin ein Mensch, wenn ich tot bin, sagt Hiob, dann bin ich tot vergessen auf ewig zerstoben.

Schau doch weg, Gott, ich bin die Mühe doch gar nicht wert. Schau doch bitte weg Gott, denn wenn Du meiner gewahr wirst, wenn Du mich ansiehst, kommt es zur Katastrophe. Du, Gott, hast den bösen Blick. Das klingt ganz anders, wie wir das im Segen am Ende eines Gottesdienstes oder dieser Sendung empfangen. Der Herr segne dich und behüte dich! Der Herr lasse leuchten sein Angesicht auf dich und sei dir gnädig! Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden! In diesem Segenswunsch leuchtet Gottes Angesicht, wie das Licht im Dunkeln – wie ein Morgenstern.

Das leuchtende Angesicht

Hiob kann das nicht so sehen: Hiob sagt: Schau doch bitte weg, denn was mir passiert ist, kann unter den Augen eines barmherzigen Gottes nicht passieren. Sie alle kennen diese weltberühmte Geschichte. Ein Mann, ein Gerechter, wie das Hiobbuch betont, einer der Gutes tut, erfolgreich ist, der auf die anderen achtet, faire Löhne zahlt, im Frieden mit seinen Nachbarn lebt, der seine Familie über alles liebt und fleißig ist und es zu so viel Wohlstand gebracht hat, dass er anderen abgeben kann.

Der ist – so sieht es Hiob neuerdings – Gott auf den Radar gekommen. Gott hat ihn angesehen und dann ist alles passiert: Die Ernte ist vernichtet, alle Kinder sind bei einem Unwetter ums Leben gekommen. Die Vorräte sind im Feuer aufgegangen und Hiob sitzt auf den Trümmern seiner Existenz, halbnackt mit schrundigem Leib und stellt Gott und das ganz System von Leben und Sinn und Glauben und Hoffen, und Licht und Dunkel radikal in Frage. Er stellt sein bisheriges Denksystem in Frage und das hieß: Gottes Angesicht leuchtet, er schenkt mir Glück und segnet mich, Gott der Schöpfer und Herr des Lebens, dann, wenn ich gerecht lebe. Wenn ich mich an die Gottes Ordnungen halte, dann hält Gott andererseits seine Hand über mich und wendet alles Unheil von mir ab. So ist die Gedankenfigur. Und sie ist uralt und unausrottbar in uns drin. Wenn ich moralisch gut lebe, dann geht es mir auch gut. Dieser Text im Buch Hiob, das ist ein Text der Dunkelheit. Das Gegenteil von: Wie schön leuchtet der Morgenstern.

Hiobsgeschichte: Bibeltext verstehen

Ich frage mich bis heute, was die Weisen und Gelehrten, die unsere Bibel zusammengestellt haben, sich eigentlich gedacht haben, als sie dieses Buch Hiob in ganzer Länge und voller Textgestalt als Teil der zentralen Texte des Judentums und des Christentums festgehalten haben: Diese schwarzen Texte, darunter unser heutiger, die Gottes Güte infrage stellen, die die Vergeblichkeit menschlichen Hoffens auf Glück und Zufriedenheit ad Absurdum führen, die Gott in seiner Schöpfergüte und aufbauenden Kraft als Adresse und tröstender Gedanke erledigen.
Jede Pflanze hat es besser, sie ist im Kreislauf von Werden und Vergehen aufgehoben und muss nicht nachdenken. Der Mensch dagegen wird von Gott gefoppt und es bleibt nichts von ihm übrig und er kann sich selbst dabei zuschauen. Er ist sich seiner radikalen Vergeblichkeit bewusst.

Es war eine mutige und eine grandiose Entscheidung, diese Texte mit den abgründigen der dunkelsten Menschen- und Gotteserfahrungen zu den heiligen Schriften zu fügen. Ohne dieses Hiob-Reden mit ihrer unerbittlichen Genauigkeit, mit der sie die Absurdität menschlicher Tragödien schildern, hätten die Juden und Christen, ja alle religiösen Menschen, die Anfragen aus dem modernen Atheismus und Agnostizismus kaum aufnehmen und zutiefst verstehen können. Hiob stellt die modernen Fragen, die an die Existenz gehen: was gibt mir Sinn, wenn Gott sich abwendet, wenn er mit mir spielt, oder es ihn gar nicht gibt. Wenn er bloß ein Hirngespinst ist. Denn die Frage nach der Anwesenheit des allmächtigen Gottes inmitten des Leids der Menschen stellt das Hiob-Buch unerbittlich. Wie kommt es, dass mich kleinen Menschen, der sich doch nur bemüht, das Leid und der Schmerz wie ein Feuerball aus dem All treffen kann.

Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen dem Arbeiter Frank Lange aus dem Film "Halt auf freier Strecke" und Hiob, dem bankrotten und kranken und verwaisten Großgrundbesitzer: Frank Lange spricht mit seinem Tumor. Hiob aber hört nicht auf mit Gott zu sprechen. Diese Menschheitsfrage: was soll das für ein Gott sein, der diese Welt in all seiner Schönheit geschaffen hat? Warum hat er den Menschen so flüchtig, so ungeheuer verletzlich geschaffen, so unerbittlich endlich? Warum werden Massengräber im Irak und Syrien ausgehoben, warum erkranken Kinder an Krebs? Warum muss Frank sterben? Warum tun wir Menschen uns so viel gegenseitig an? Warum herrscht die Dunkelheit?

Was wäre, wenn Gott uns liebte? Es könnte doch so schön und so anders sein, wenn die Gnade und Liebe Gottes einen Menschen umfassen könnte und den Tod zum Leben machen könnte. Das sagt Hiob - beim Luftholen sozusagen zwischen seinen Tiraden gegen Gott. Da wird er mit einem Mal sehnsuchtsvoll: Meinst du, einer stirbt und kann wieder leben? Fragezeichen, großes Fragezeichen. Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt... ich würde alles dafür tun, meint er. Sein Leben würde er aufwenden. Es könnte alles ganz anders sein.

Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. – Also Gott, Du würdest Sehnsucht nach mir haben, weil ich doch Dein Geschöpf bin?! Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Der Poet Berthold Brecht sagt das Gleiche mit anderen Worten: "der, den ich liebe, hat mir gesagt, dass er mich braucht.....deshalb achte ich auf jeden Regentropfen, dass er mich nicht erschlage" (Brecht Gedichte). Wie ein Liebender würde Gott auf mich achten, wie seine Geliebte würde ich auf mich achten. ...Du würdest meine Schritte zählen, meine Schritte hier und meine Schritte hin zu dir und nicht meine Fehltritte. Du würdest Licht und Wahrheit und Wärme in meine Leben bringen und Gnade und Vergebung: Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln: alles, was ich falsch gemacht habe, würdest Du einpacken und verschnüren und Stempel drauf und mit unbekanntem Ziel ins Universum verschickt, das würdest Du machen, wenn Du mich liebtest. Wie ein Malermeister, ja ein Meistermaler würdest Du meine Schuld übertünchen.

Da blitzt sie auf die unstillbare Sehnsucht: Was wäre, wenn Gott den Menschen gnädig ansehen würde, wenn er die Menschen lieben würde? Wenn er auf sie achten würde, dass sie kein Regentropfen erschlüge, was wenn er den Tod überwinden würde? Was, wenn er Licht ins Dunkel brächte? Was, wenn im tiefsten Dunkel des Krieges und des Sterbens und der Folter und der Ungerechtigkeit, was wenn wir inmitten des tiefen Dunkels des Verrats und des Neids und der Unterdrückung das Licht sehen könnten? Den hellen Morgenstern, der wie eine goldene Landebahn Gottes dort am Himmel steht? Wir kommen von Weihnachten her. Licht im Dunkel.

Antwort auf Hiob?

Da hören wir ihn den Ruf nach dem Licht: diese Ode an das aufbrechende Morgenlicht. Weihnachten als anbrechender Morgen für die Menschheit, Weihnachten als Morgenstern und Zeichen des unaufhaltsam aufziehenden neuen Tages für mich und für die Welt und für die Menschheit: Der Morgenstern als ein Bild der dauernden Anwesenheit Gottes, die manchmal verhüllt ist aber immer da und bisweilen himmelweitleuchtend und funkelt. Er "(...)wird letztlich Frieden bringen." "Antwort auf Hiob", das ist der Titel des Spätwerks des Psychoanalytikers  C.G Jung, in dem er sich mit der religiösen Gestalt und Gewalt unserer inneren Bilder auseinandersetzt. "Antwort auf Hiob", so könnte man auch die Geschichte von Jesus aus Nazareth nennen, diesen Gerechten, der allen wohlgetan hat, der als Kind in der Krippe geboren wurde und am römischen Kreuz verendete.

Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. (Jes. 53,4.5.)

...heißt es schon bei Propheten Jesaja.

Wir aber hielten ihn für den, der von Gott geschlagen ist. Wie man sich doch täuschen kann. Der Mensch kann sich so nur täuschen, wenn er Gott eigennützig liebt, das meint das Neue Testament als Antwort auf Hiob. Nur wenn er Liebe mit Wohlverhalten verwechselt: Ich verhalte mich wohl und werde dafür von Gott und den Menschen geliebt. Dieser Irrtum, man feiert Gottesdienst und verhält sich moralisch angepasst und erwartet dafür Dankbarkeit von Gott in Gestalt eines guten Lebens. Gottesliebe ist in einem tiefen mystischen Sinne etwas anderes. Dankbarkeit des Menschen gegenüber meinem Leben, egal, wie es aussieht. Und in einem tiefen unautoritären Sinne: Ehrfurcht vor dem Leben. Vertrauen in das Leben. Vertrauen in Gott.

Vielleicht hat sich Frank mit dem Tumor getäuscht, als er ihn innerlich so groß werden ließ, dass er mit ihm sprechen musste. Vielleicht hätte sein Geist einen anderen Weg versuchen können. Wie man sich doch täuschen kann. Die Tiefe der Hiobsfrage: Was wäre, wenn Gott den Menschen gnädig ansehen würde, wenn er die Menschen lieben würde. Wenn er auf sie achten würde, wenn er den Tod überwinden würde: was, wäre wenn er das Licht in der Dunkelheit wäre?

Die Tiefe dieser Hiobsfrage findet keine Antwort, "Antwort auf Hiob" gibt es nicht – aber sie findet ihren Frieden, dann, wenn wir den Bogen weiterspannen bis zum Ende der Passionszeit. Die Antwort auf Hiob findet ihren Frieden in der Stille des Karsamstags. Da am Vorabend des Ostermorgens nimmt dieser Gedanke Gestalt an: was, wäre wenn? Was wäre, wenn Gott ein anderer wäre, was wäre, wenn Gott selbst zum Hiob würde – aus Liebe, was wäre, wenn wir den wahren Gott in seinem wahren Licht erst erkennen, wenn wir den Mann am Kreuz sehen und Leichnam im Grab. Was wäre, wenn in dieses Bild des Leides ein unwiderstehlicher Hauch von Hoffnung fahren würde.

Was wäre, wenn wir den Anbruch des Tages schon spüren, aber noch nicht sehen? Was wäre, wenn wir erst den Vorboten sehen diesen kleinen, aber leuchtenden Morgenstern, der aufzieht, wenn es Abend wird – da wird er "Abendstern" genannt und der als kleines Licht am Himmel stehen bleibt und Orientierung gibt, auf den kommenden Tag hinweist und der dann langsam als Morgenstern mit der aufziehenden Morgenröte verlischt, nur um die nächste Nacht verlässlich wieder zu erhellen.

Das Hiobsdunkel wird in Frage gestellt durch dieses Licht. Hiob hat sich getäuscht: was wäre, wenn er und alle die sein Schicksal teilen den Morgenstern suchen würden? Was wäre, wenn sie dem Gedanken, dass es Licht in der Dunkelheit gibt, eine Chance lassen würden. Was wäre, wenn sie ihre Lasten und Schmerzen, ihre Sorgen und Leiden zu diesem armseligen Gott tragen würden?

Der Dichter Jochen Klepper hat Hiob und Weihnachten in seinem todernsten Adventslied unnachahmlich zusammengedacht: da heißt es. Der Morgenstern bescheinet auch Deine Angst und Pein. Und weiter:

Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.