Ihr neues Buch heißt "Trauer sucht Trost". Warum greifen Sie gerade jetzt so ein bedrückendes Thema auf?

Andi Weiss: Wir haben gemerkt: "Trauer sucht Trost" war das Krisenthema letztes Jahr. Da ist einiges auf der Strecke geblieben. "Vergiss nicht deine Flügel" hieß unser Projekt während der Corona-Zeit: Das sollte in der Krise stärken. Nun haben wir uns das Thema Trauer vorgenommen, weil wir sagen:

Es muss noch was nachgeholt werden, was nicht stattgefunden hat. Dem gilt es nachzutrauern, um dann wieder neue Lebensgestaltung zu finden.

Wie ist das denn zu schaffen, sein Leben zu gestalten, wenn Krisen und Kriege alles lahmzulegen drohen, ohne dass wir etwas dagegen tun können?

Martina Weiss: Einer meiner Dozenten sprach vom "Vertrauen ins Ungewisse". Natürlich kann ich schauen, was ich im Umfeld oder politisch tun kann. Oft muss man aber trennen zwischen Dingen, die in der eigenen Kontrolle liegen, und denen, die es nicht tun. Was wir tatsächlich beeinflussen können, ist eher die Innenwelt. Das finde ich beruhigend.

Andi Weiss: "Vertrauen ins Ungewisse" – diese Formulierung find’ ich Hammer. Denn wenn ein Mensch das spürt und begreift, verliert er auch die Angst vor Bedrohung und Kontrollverlust. In unserem letzten Impulsbuch ist ein Text von Dietrich Bonhoeffer, der davon handelt, dass Gott aus allem Schlechten auch etwas Gutes entstehen lassen kann. Da heißt es: "Aber er gibt die Kraft nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen." Diesen Satz habe ich lange rausgelassen, weil ich dachte, ich will den Leuten die Eigenverantwortung nicht nehmen. Ich finde es nämlich immer schwierig, wenn die Leute sagen: "Ich hab doch gebetet, und ich hab das doch Gott abgegeben, aber mein Problem ist immer noch da." Dann legte uns die Corona-Pandemie flach, und wir alle haben plötzlich gemerkt: Man hat tatsächlich nicht immer alles selbst im Griff. "Vertrauen ins Ungewisse" macht Corona und viele andere Situationen erträglich.

Kann dieses Vertrauen auch angesichts von Trauer und Tod helfen?

Andi Weiss: Es gibt eine Übung, mit der man dieses Vertrauen erproben kann. Man stellt sich vor, dass man sich im Kino seinen eigenen Lebensfilm anschaut und sich ein Happy End vorstellt. Vielleicht sieht das richtige Happy End anders aus als das, das man sich vorgestellt hat. Ins Leben übertragen: Vielleicht heißt das Happy End nicht, dass du wieder mit deinem Partner zusammenkommen wirst. Happy End heißt vielleicht nicht, dass dein Kind, das gestorben ist, wieder lebendig wird. Aber Happy End heißt vielleicht, dass es dir trotzdem gelingen wird, damit umzugehen. Ich glaube, das ist das, was den Menschen sich auf das Wesentliche besinnen lässt und uns davor bewahrt, kirre zu werden in schweren Zeiten.

Es geht also darum, auch in schweren Zeiten den Blick für Positives nicht zu verlieren?

Martina Weiss: Ja, ich glaube, dass unsere Seele auch unter großer Anspannung immer zur Freude und zum Guten hinwill. Das merken wir auch gerade in der Trauerarbeit. Wir können parallel trauern und leben.

Und wir können und dürfen parallel leiden und uns freuen.

Andi Weiss: Als unser Sohn noch keine vier Jahre alt war, saßen wir mal am Küchentisch, und auf einmal sagte er: "Papa, ich will mal vor dir sterben." "Nein", hab ich gesagt, "das machen wir nicht so, das ist andersrum geplant, ich bin ja viel länger schon hier auf der Welt." Und dann haben wir uns umarmt und gesagt: "Keiner weiß, was passiert, aber wir beide bemühen uns, dass wir so lange wie möglich Zeit zusammen haben und sie auskosten."
Ich glaube, es ist ganz wichtig, nicht immer nur auf das Schlimmstmögliche zu schauen, sondern vor allem auf das, was schön ist. Dann entsteht Vertrauen ins Ungewisse.

Andi & Martina Weiss
 Andi und Martina Weiss: "Vertrauen ins Ungewisse bewahrt uns davor, kirre zu werden in schweren Zeiten."

Das Schöne zu sehen kann aber inmitten all der Krisen ganz schön schwer sein, oder?

Martina Weiss: Das stimmt. Ich spreche mehrmals in der Woche mit Jugendlichen, die suizidal sind. Bei ihnen ist der Blick im Moment so eingeengt, dass sie freiwillig nicht mehr leben wollen.

Andi Weiss: Ja, es gib solche Zeiten. Davon erzählt schon die Bibel. Wir haben in unserem Buch auch die Geschichte des Propheten Elia drin. Nach einem Machtkampf musste er vor seinen Verfolgern fliehen. Schließlich liegt er unter einem Busch und trauert. Er darf sogar sagen: "Ich hab keinen Bock mehr – Gott, lass mich sterben!" Auch in der therapeutischen Beratung gibt es diesen Moment, da sagen wir: "Jetzt halten wir diesen Schmerz mal aus, und du darfst hier klagen und sagen, was schiefläuft, und dir begegnet Empathie."
Elia ist schließlich so fertig vom Klagen, dass er einschläft. Und was macht Gott? Er schickt ihm einen Engel, der ihm nicht etwa Ratschläge gibt, sondern ihm zu essen und zu trinken bringt. Das weist auf den Aspekt der Selbstfürsorge hin. Und dann schläft Elia wieder ein, und wieder kommt ein Engel und stärkt ihn mit einer neuen Lebensperspektive. Wenn ich meine Krise auf diese Weise annehmen kann, dann kann ich sie auch als Aufgabe deuten und mein Leben trotzdem gestalten. In der Verantwortung für morgen nehme ich das mit, was ich kann, meine Begabung und Fähigkeit, aber auch meine Scherben.

Selbstfürsorge ist also wichtig, damit man sein Leben wieder in die Hand nehmen kann?

Andi Weiss: Ja, Selbstfürsorge ist wichtig. Aber das sollte nicht dazu führen, dass man sagt: "Du hast ne Krise, zieh dich zurück in dein Schneckenhaus, versorg dich dort gut, und alles wird gut." Es geht auch um Eigenverantwortung und darum, wach zu bleiben. Es geht schon auch darum, sich zum Beispiel in Bezug auf den Krieg jetzt aktuell zu halten, verantwortlich zu denken und sich zu fragen, was man selbst verändern kann.

In dieser großen Ohnmacht gibt es ja trotzdem immer wieder kleine Momente, die ich gestalten kann.

Aber dazu muss ich wach bleiben und nicht auf einmal sagen: "Ist ja eh alles wurscht, morgen sind wir alle tot."

Martina Weiss: Sich immer nur um sich selbst zu drehen macht ja auch nicht glücklich. Du musst für dich schon einen Sinn in deinem Leben finden. Dabei geht’s auch darum, mal jemand anderem was Gutes zu tun, jemand anderem zuzuhören und zu gucken, wie sich das anfühlt. Viele Menschen holt das aus einem Tief raus, ist meine Erfahrung.

Wer anderen hilft, hilft also auch sich selbst?

Andi Weiss: In jedem Fall hilft eine gesunde Selbstvergessenheit bei der Gesundung. Ich habe während der Corona-Zeit eine Frau begleitet, die im Rollstuhl sitzt. Sie hat eine furchtbare Vergangenheit. Diese Frau hat mich trotz ihrer großen Probleme jedes Mal voller Lebenswucht begrüßt, wenn ich sie angerufen habe bei den Beratungsgesprächen. Da habe ich mal gefragt: "Hey, wie machst du das eigentlich, dass du, trotz all der Dinge, die dich grad zurückwerfen, immer so eine Lebensfreude an den Tag bringst?" Da sagte sie: "Wenn ich morgens aufwache, und es geht mir schlecht und die Angst will sich breitmachen, oder wenn wieder Schreckensmeldungen kommen – weißt du, was ich als Erstes mache: Ich schlage mein Adressbuch auf und ich schau, wem es gerade schlechter geht als mir und wen ich anrufen oder wem ich eine Mail schreiben könnte; einfach nur einen Ermutigungssatz oder so: ›Hey, ich denk an dich.‹"

Martina Weiss: Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, der ja selbst im KZ war, sagt ja: "Jeder hat sein Auschwitz." Also mit dem Satz bin ich sehr sparsam, aber ich denke, jeder hat einfach Dinge, mit denen er kämpfen muss. Natürlich gibt es Unterschiede, aber es bringt ja nichts, Leid gegeneinander aufzuwiegen, sondern jeder, der in seinem Leid gesehen und gehört wird, kann auch eher wieder jemand anderem helfen, weil er dann dazu wieder fähig wird.

Leid und Trauer ernst nehmen, aber im Lecken der eigenen Wunden nicht stecken bleiben – ist das die Botschaft, Ihres Buches?

Martina Weiss: Die Hauptbotschaft für mich ist:

Wir sitzen alle in einem Boot, wir haben alle schon Krisen erlebt, und die Grenzen zwischen Krise oder Krankheit und normalem Leben sind fließend. Wir können uns also gegenseitig Rat geben, wie wir den Fokus trotzdem aufs Gesunde und Schöne legen können.

Krisen können auch wichtig sein. Ich habe mich immer nur weiterentwickelt durch Krisen, weil die mich gezwungen haben, Dinge von einer anderen Seite zu betrachten und Dinge, die ich nicht ändern kann, anzunehmen. Das entspricht der modernen Verhaltenstherapie, die empfiehlt: aushalten, annehmen und dann abebben lassen und spüren: Du wirst nicht an diesem Gefühl sterben, sondern es wird weggehen, und du darfst Hoffnung haben. Im Endeffekt ist das ja auch die christliche Botschaft.

Ihr Buch wirkt wie ein schön gestalteter Zettelkasten. Warum?

Andi Weiss: Wir haben bewusst einen Stil gewählt, wie die Leute es zum Beispiel durch Instagram gewohnt sind. Ich glaube, die Leute wollen heute nicht mehr so viel lesen. Sie lassen sich lieber von kurzen Impulsen berühren, um vielleicht mit einem guten Gedanken in den Tag zu gehen.

Martina Weiss: Dadurch geben wir dem Leser oder Betrachter auch mehr Raum für eigene Gedanken. Die darf er dann mischen mit unseren Impulsen, macht aber etwas Eigenes draus, was zu seinem Leben passt. Es sind aber auch ein paar längere Geschichten drin, mit denen man sich beschäftigen kann. Es ist für jeden was dabei. Man kann das Buch einfach aufschlagen und sich von einem der Impulse ansprechen lassen. Natürlich sind auch Impulse dabei, über die man länger nachdenken kann. So ganz ohne Tiefgang geht es bei uns eben nicht.

BUCHTIPP

Trauer sucht Trost. Impulse, die das Leben schöner machen

Andi und Martina Weiss: "Trauer sucht Trost. Impulse, die das Leben schöner machen".
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