Polizeiabsperrung. Hunderte von Menschen in dunkler Kleidung. Eine reich verzierter Sarg, von Männern mit ernsten Gesichtern getragen. Eine Promi-Beerdigung? Nein: die Karfreitagsprozession der griechisch-orthodoxen Gemeinde in München-Schwabing.

Orthodoxe nach Katholiken zweitgrößte christliche Gemeinschaft

Das Bild des symbolischen Begräbniszugs fühlt sich für protestantische Gläubige ungewohnt an. Weltweit gehört es für geschätzt 300 Millionen Menschen aber fest zum Karfreitag dazu: Nach den Katholiken bilden die Orthodoxen die zweitgrößte christliche Gemeinschaft der Welt. In Deutschland gehören knapp zwei Millionen zu einer der zahlreichen orthodoxen Gemeinden.

Dabei gibt es die eine orthodoxe Kirche nicht. Allein hierzulande finden sich über zehn verschiedene orthodoxe Kirchenorganisationen, meist benannt nach dem ursprünglichen Herkunftsland der Kirche – von griechisch, russisch, rumänisch, bulgarisch bis ukrainisch-orthodox. Jede feiert ihre Gottesdienste in ihrer Herkunftssprache. Einigkeit zeigt sich aber im Ritus des Gottesdiensts oder in der Ikonenverehrung. Der Ritus bestimmt die liturgische Gestaltung des Gottesdiensts. Die meisten orthodoxen Kirchen in Deutschland feiern nach dem "byzantinisch" oder auch "griechisch" genannten Ritus.

Viele Orthodoxe in Deutschland haben Migrationsgeschichte

Die deutschen orthodoxen Gemeinden sind in Deutschland "Außenstellen" ihrer jeweiligen Kirchen. Viele ihrer Mitglieder haben Migrationshintergrund. Für sie ist die Kirchengemeinde nicht nur geistliche Heimat, sondern auch ein Ort, an dem die Bräuche und Traditionen der Länder ihrer Familien gelebt und gefeiert werden – Kirche als Heimat im doppelten Sinn.

Während Protestanten und Katholiken an diesem Sonntag die Auferstehung Christi feiern, starten die Orthodoxen gerade erst mit dem Palmsonntag in die Karwoche. Den Grund erklärt Georgios Siomos, Priestermönch der griechisch-orthodoxen Gemeinde in München: Das Datum des orthodoxen Osterfests wird bei einem Teil der Kirche noch nach dem julianischen Kalender berechnet, nicht nach dem in Europa seit dem 16. Jahrhundert geltenden gregorianischen. Dieses Jahr ist das orthodoxe Osterfest einen Sonntag später dran.

Auch in den orthodoxen Kirchen gelten die 40 Tage vor Ostern als Fastenzeit. Dafür gibt es allerlei Regeln. In Siomos’ Gemeinde zum Beispiel steigt der Anteil der Veganer sprunghaft an: "Viele verzichten bei uns in der Fastenzeit auf Alkohol und tierische Produkte", sagt der Mönch. In seinen Augen geht es in der Fastenzeit aber vor allem darum, "Tempo aus dem Leben herauszunehmen". Dadurch könne man besser feststellen, was man zum Leben wirklich brauche.

 

Orthodoxe Kirchen: Von Schisma, Ikonen und Flucht

Im Jahr 1054 nach Christus kam es zur Spaltung zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen. Diese Trennung in Ost- und Westkirchen wird auch "Morgenländisches Schisma" genannt. Dem Schnitt ging ein längerer Entfremdungsprozess zwischen Rom und Konstantinopel vorweg. Uneinigkeit bestand vor allem im Verständnis des Papstamts, der Sakramente und des Abendmahls. Bis heute gibt es keine Abendmahlsgemeinschaft der orthodoxen Kirchen mit der evangelischen oder katholischen Kirche. Die orthodoxen Kirchen sind aber Teil vieler ökumenischer Bewegungen, wie dem Ökumenischen Rat der Kirchen oder der Konferenz Europäischer Kirchen.

Orthodoxe Kirchen sind meistens nach Osten ausgerichtet. Der Altarraum ist vom Gemeinderaum durch eine "Ikonostase", eine mit Bildern bedeckte Trennwand, abgetrennt. Da in der orthodoxen Liturgie nur die menschliche Stimme als zulässiges Instrument für den Lobpreis Gottes betrachtet wird, gibt es weder Orgel noch andere Instrumente. Sitzmöglichkeiten fehlen weitgehend, da der Großteil der Gemeinde während der Liturgie steht.

Die Kultus- und Heiligenbilder der orthodoxen Kirchen heißen "Ikonen". Sie bestehen häufig aus Holz und zeigen Abbilder von Jesus Christus, Maria, Aposteln oder Heiligen. Künstler, die Ikonen herstellen, heißen "Ikonenschreiber". Ihre Arbeit gilt nicht als Handwerk, sondern als Gebet. Jede Ikone ist für orthodoxe Christen eine sichtbare Darstellung des Unsichtbaren: Sie ist eine Art Fenster, durch das die Heiligen in die Welt blicken. Für die Herstellung von Ikonen gibt es feste Regeln: So haben beispielsweise die unterschiedlichen Farben eine feste Bedeutung, ebenso die Handhaltung der abgebildeten Personen. Die Verehrung der Ikonen gilt immer dem dargestellten "Urbild", also der Person, der die Ikone gewidmet ist.

Rund zwei Drittel der ukrainischen Bevölkerung gehört zu einer orthodoxen Kirche - dementsprechend bringen viele Kriegsflüchtlinge diesen religiösen Hintergrund mit in ihre Gastländer. Die ukrainischen Kirchengemeinden in Bayern engagieren sich stark in der Hilfe für die Geflüchteten.

Religionszugehörigkeit wird in der Ukraine von Staatswegen nicht erfasst. Folgende Daten ergeben sich aber aus einer landesweiten Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie aus dem Mai 2019: Demnach gehörten 48,8 Prozent der Menschen der ukrainisch-orthodoxen Kirche nach Kiewer Patriarchat an, die eigenständig und von Moskau unabhängig ist. 14,2 Prozent zählten zur ukrainisch-orthodoxen Kirche nach Moskauer Patriarchat. 16,3 Prozent waren orthodoxe Christen ohne Kirchenzugehörigkeit. 8,8 Prozent der Bevölkerung rechnete sich zur ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. 4,3 Prozent waren bekennende Atheisten. Weitere 4,9 Prozent zählten zu anderen Religionen wie der römisch-katholischen oder der protestantischen Kirche, dem Islam und - zu einem sehr kleinen Teil - dem Judentum.

Die eine orthodoxe Kirche gibt es nicht. Allein in Deutschland finden sich über zehn verschiedene orthodoxe Kirchenorganisationen, meist benannt nach dem ursprünglichen Herkunftsland der Kirche - von griechisch, russisch, rumänisch, bulgarisch bis ukrainisch-orthodox. Jede feiert ihre Gottesdienste in ihrer Herkunftssprache. Einigkeit zeigt sich aber im Ritus des Gottesdiensts oder in der Ikonenverehrung. Der Ritus bestimmt die liturgische Gestaltung des Gottesdiensts. Die meisten orthodoxen Kirchen in Deutschland feiern nach dem "byzantinisch" oder auch "griechisch" genannten Ritus.

(bk)

Karwoche beginnt am Palmsonntag

Den Beginn der Karwoche, auch "Heilige und Große Woche" genannt, bildet der Palmsonntag. Traditionell werden am Palmsonntag kleine geflochtene Kreuze aus Palmenblättern an die Gottesdienstbesucher verteilt. Die Karwoche selbst gilt als strenge Fastenwoche. Auch wer zuvor noch nicht gefastet hat, hält sich jetzt an die Speiseregeln. Jeden Tag finden Abendgottesdienste statt. Von Palmsonntag bis zum Dienstagabend sind sie der "Ordnung des Bräutigams" gewidmet, am Mittwoch besteht die Möglichkeit der Krankensalbung.

Gottesdienste in der orthodoxen Kirche dauern durch ihre ausführliche Liturgie mit viel Gesang locker zwei bis drei Stunden. Dabei geht es manchmal zu wie im Taubenschlag: Manche kommen später, andere gehen früher. "Es ist bei uns durchaus üblich, dass Menschen nicht dem ganzen Gottesdienst beiwohnen", sagt Siomos.

Ostereier sind meistens rot – wie Blut

An Gründonnerstag färben die Gläubigen die Ostereier – meistens rot, zur Erinnerung an das Blut Christi. Den höchsten Feiertag im Osterzyklus der orthodoxen Kirche bildet – wie in der evangelischen Kirche – der Karfreitag. Während der Feier nimmt der Zelebrant feierlich die Ikone des Gekreuzigten vom Kreuz herunter, wickelt sie in ein Tuch und legt sie in den Altarraum. Dort bleibt sie bis zu Christi Himmelfahrt im Mai in Verwahrung.

In die Mitte der Allerheiligenkirche stellen die Gläubigen nun eine Art Holzsarg. Darin befindet sich das "Epitaph", ein goldbesticktes Tuch, auf dem der Leichnam Jesu abgebildet ist. Der Sarg wird vor allem von den Frauen der Gemeinde reich verziert. In einem Prozessionsgottesdienst tragen ihn die Gläubigen normalerweise um die Kirche oder sogar durch das ganze Dorf. "Das ist in einer Stadt wie München etwas schwierig", sagt Georgios Siomos. Deswegen beantragt die griechisch-orthodoxe Gemeinde an diesem Tag eine Teilsperrung der belebten Ungererstraße, die mitten in die Stadt führt. Statt mehrspurigem Großstadtrauschen tönen dann die griechischen, liturgischen Gesänge und Gebete durch die Straße.

Auferstehung bereits am Karsamstag

Doch lange währt die Karfreitagstrauer nicht: Schon am Morgen des Karsamstags feiert die griechisch-orthodoxe Gemeinde die sogenannte erste Auferstehungsfeier. Viele, vor allem die Kinder, freuen sich schon darauf, bei diesem Gottesdienst mit lautem Geklapper der Stühle die Auferstehung Jesu kundzutun.

Am späten Samstagabend, meist erst gegen 23 Uhr, trifft man sich dann für die Osternacht. Im Laufe des Mitternachtsgottesdiensts werden alle Lichter in der Kirche ausgelöscht – nur die Osterkerze brennt noch. An ihr entzünden die Gläubigen das Osterlicht und reichen es weiter. Danach verlässt die ganze Gemeinde die Kirche und geht auf den Vorplatz: Im Dunkel der Nacht feiern sie in der Kälte einen kurzen Gottesdienst. In großen Körben warten dann rot gefärbte Eier auf ihren Einsatz: Was in Bayern als "pecken", "hiartn" oder "titschen" bekannt ist, kennen auch die Orthodoxen: Sie schlagen ihre Eier aneinander – wer das härtere Ei hat, gewinnt. Nebeneffekt des Brauchs ist ein mit roten Eierschalen gesprenkelter Kirchplatz, den der Mesner bis zum Morgen wieder reinigen muss.

Üblicherweise gehen die Menschen nach diesem nächtlichen Freiluftgottesdienst gegen 1 oder 2 Uhr noch einmal nach Hause, um sich auszuruhen. Denn schon am Sonntagmorgen kommen sie wieder zu einem Vormittagsgottesdienst, der sogenannten Vesper der Liebe, zusammen. Eine Gartenfeier in großer Runde beschließt – wenn nicht gerade Corona herrscht – den Ostersonntag.

Nach dem Ostersonntag geht's erst richtig los

Doch der Gottesdienst-Marathon ist damit noch nicht zu Ende: An Ostern schließt sich eine große Feierwoche mit täglichen Gottesdiensten an: "Fasten ist in dieser Woche nicht erlaubt", sagt Priestermönch Siomos mit einem Lächeln.

Georgios Siomos freut sich dieses Jahr besonders auf Ostern. Wie die anderen Glaubensgemeinschaften konnten auch die griechisch-orthodoxen Christen in den letzten zwei Jahren das Fest der Auferstehung nicht feiern wie gewohnt. Die Gemeinde behalf sich 2020 mit einem Stream-Gottesdienst, der in der Karwoche rund 600 000 Mal angeklickt wurde. Doch zum Präsenzgottesdienst durften keine Gemeindemitglieder kommen. "Sie zum Teil an der Tür abzuweisen ist keinem leichtgefallen", sagt Siomos.

2021 wiederum glich Ostern für den Mönch einem Dauerlauf. Über mehrere Stunden hinweg feierten er und seine Kollegen Gottesdienst in kleinen Gruppen, um die Abstände zu wahren. Beide Jahre durften keine Eucharistiefeiern für die gesamte Gemeinde stattfinden. Für Orthodoxe ist das ein ungleich härterer Einschnitt, denn erst in der Eucharistie gründet sich für sie die Gemeinde. Siomos freut sich deshalb, dass die Kirche dieses Jahr wieder voll sein kann und alle gemeinsam feiern dürfen. Denn mit keinem anderen Fest könne man den Neuanfang besser feiern als mit Ostern, findet er.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden