Mehrere Experten haben bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bayerischen Landtags einheitliche staatliche Standards für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch sowie für die Unabhängigkeit von Aufarbeitungskommissionen gefordert.
Der Kölner Staatsrechts-Professor Stephan Rixen sagte dazu am Donnerstag, Aufarbeitung dürfe "nicht nur zufällig geschehen und vom guten Willen einzelner abhängen". Er regte die Einrichtung einer bayerischen Aufarbeitungskommission "für gemeinsame Qualitätsstandards" an.
Aufarbeitung immer von Betroffenen angestoßen
Der Münchner Sozialpsychologie-Professor Heiner Keupp, der wie auch Rixen Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) ist, sagte, Aufarbeitung sei weit mehr als Aufklärung, wie man sie zuletzt durch etliche Gutachten im kirchlichen Kontext erlebt habe.
Zur Aufarbeitung gehören vor allem auch die Betroffenen. Bislang seien Aufklärung und Aufarbeitung immer von Betroffenen angestoßen worden, man dürfe dies aber nicht dauerhaft allein den Betroffenen zumuten, betonte Keupp.
Keupp sagte: "Das Kirchenversagen, wenn man es so bezeichnen will, ist immer auch ein Staatsversagen".
Behörden und Politik müssten sich schon auch fragen, weshalb man so lange zugeschaut habe, anstatt zu handeln. Es brauche einen wirklich unabhängigen Missbrauchsbeauftragten mit einem gut ausgestatteten Arbeitsstab, eine unabhängige Aufarbeitungskommission sowie "vom Staat formulierte Standards und Rechte", die in einem Aufarbeitungsprozess gesichert sein müssen: "Solche Standards fehlen bisher."
Obverkirchenrat Blum für Aufarbeitungsgesetz
Ganz ähnlich äußerte sich Oberkirchenrat Nikolaus Blum, Leiter des Landeskirchenamts der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB), der ebenfalls als Experte in den Landtagsausschuss geladen war. Seine nicht erstmals geäußerte "Bitte an Staat und Politik" sei, "die Elemente und Bestandteile zu bestimmen, die für eine Aufarbeitung notwendig und unverzichtbar sind". Blum begrüßte daher den Vorstoß der UBSKM für ein Aufarbeitungsgesetz, das dann eben solche Standards vorgeben könnte.
Der Passauer Strafrechts-Professor Holm Putzke sagte in seiner Experten-Einlassung, es könne beim Thema Missbrauch durchaus der Eindruck "einer Sonderbehandlung der Kirchen" durch die Strafverfolgungsbehörden entstanden sein. Der Münchner Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle und auch der Leitende Oberstaatsanwalt Michael Schrotberger von der Nürnberger Generalstaatsanwaltschaft wiesen dies zurück. Es sei "weltfremd" zu behaupten, die Behörden würden zwischen verschiedenen Missbrauchs-Tatorten Unterschiede machen.
Fatale Entwicklung staatlicher Zurückhaltung überwinden
Mehrere Landtagsabgeordnete im Rechtsausschuss sagten, es gehe ihnen nicht darum, das Handeln der Kirche in der Vergangenheit zu beurteilen - man erhoffe sich vielmehr aus der Expertenanhörung "Hinweise, wie der Staat und die Staatsregierung ihre Verantwortung besser wahrnehmen können", sagte beispielsweise die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel.
Sozialpsychologe Keupp sagte, solche Debatten wie diese nun im Rechtsausschuss seien eine Chance, die "fatale Entwicklung" der staatlichen Zurückhaltung zu überwinden.
Ausschussvorsitzende Petra Guttenberger (CSU) äußerte Bedenken, auf welcher Rechtsgrundlage in Bayern eine landesweite unabhängige Aufarbeitungskommission ins Leben gerufen und dann anschließend handeln könnte.
Jurist Rixen räumte ein, dass es eine solche Rechtsgrundlage derzeit nicht gebe, aber auch problemlos geschaffen werden könnte. Auch gehe es in so einer Kommission nicht vorrangig um juristische Ermittlungen und Konsequenzen, sondern sie "schaffen einen Rahmen, der den Betroffenen bei der Aufarbeitung hilft".
Unterdessen forderte der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dazu auf, "eine Schutzlücke im Strafrecht zu schließen". Bisher sei es bei Straftaten im Missbrauchsbereich nur schwer möglich, Fürsorge- und Aufsichtspersonen von Tätern in Mithaftung zu nehmen. Dazu müsse man ihnen Vorsatz nachweisen können. Bei Körperverletzungs-Delikten sei hingegen "einfache Fahrlässigkeit" für eine Mithaftung ausreichend. Hier müsse der Bund handeln, sagte Eisenreich.
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