Ende des vergangenen Jahres gab es in und um Köln 3,3 Prozent weniger Protestantinnen und Protestanten als noch im Jahr davor. So lauten die aktuellen Zahlen des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region. Zwar sind in diese Zahlen Sterbefälle und Wegzüge einbezogen. Doch Austritte tragen einen großen Teil bei - und der Schwund ist hier deutlich höher als im Bundesschnitt.
Immerhin hat sich die Austrittsdynamik etwas verlangsamt", sagt Sammy Wintersohl, Leiter des Amts für Presse und Kommunikation des Kirchenverbands. Im Jahr 2021 hatte die Zahl bei 3,7 Prozent gelegen.
Skandale vor allem in Katholischer Kirche
In der Vergangenheit musste im Kölner Raum besonders die katholische Kirche eine Menge schlechter Schlagzeilen hinnehmen. Sie hatten vor allem mit Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki zu tun. Er soll die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen verschleppt haben. Seit Ende November ermittelt zudem die Staatsanwaltschaft Köln gegen ihn wegen Verdachts einer Falschaussage unter Eid.
Auswirkung auf Evangelische Kirche
Manche vermuten da einen Zusammenhang zwischen dem Druck, unter dem die katholische Kirche steht, und den hohen Austrittszahlen auf evangelischer Seite. "Da wird die evangelische Kirche in Mithaftung genommen", hatte Mitte Dezember der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, der Düsseldorfer "Rheinischen Post" gesagt.
Auch der Württemberger Bischof Ernst-Wilhelm Gohl hatte Ende Dezember in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von "Mithaftung" gesprochen und gesagt: "Das hat eindeutig mit den Zuständen im dortigen Erzbistum zu tun."
Die Soziologin Petra-Angela Ahrens vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover ist bei solchen Schlussfolgerungen vorsichtig. Fehlverhalten in der katholischen Kirche sei für Protestantinnen und Protestanten in aller Regel nicht der Grund, um auszutreten. Sondern nur der Anlass.
"Viele haben sich schon seit längerem für einen Austritt entschieden", erläutert Ahrens.
"Sie warten im Prinzip nur noch auf eine passende Gelegenheit. Die Soziologin nennt das "Mitnahmeeffekte".
Die Entscheidung zum Austritt reife oft langsam heran, sie brauche Zeit. Skandale seien dann lediglich die Rechtfertigung für etwas, dessen Ursache ganz woanders liege.
Gründe für die Kirchenaustritte
Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche oder das Gefühl, die Kirche sei irrelevant, seien die eigentlichen Gründe, sagt Ahrens: "Und das ist aus Sicht der Kirchen das Schlimmste überhaupt."
Selbst mit einem eingefleischten Atheisten hätte man wenigstens noch eine Diskussionsgrundlage. Aber nicht mit Menschen, denen die Kirche komplett egal sei.
Kirchenmitglieder in der Minderheit
Die Austrittsbewegung könnte sich Ahrens zufolge noch beschleunigen - ganz unabhängig von schlechten Schlagzeilen. Das habe damit zu tun, dass die Mehrheit in Deutschland mittlerweile konfessionslos ist.
Minderheiten haben es in der Gesellschaft alleine deshalb schwerer, weil sie Minderheiten sind. Denn Menschen sind grundsätzlich lieber Teil einer Mehrheit. Dieser sogenannte Majoritätseinfluss ist in der Sozialpsychologie schon lange bekannt und gut erforscht.
Seit Frühjahr 2022 machen konfessionelle Christinnen und Christen aber nur noch weniger als 50 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Alleine dieser Umstand könne eine Sogwirkung entfalten, sagt Ahrens. Ob es bereits ein Kipppunkt sei, wie es beispielsweise der Münsteraner Soziologe Detlef Pollack bezeichnete, wisse sie nicht.
Klar sei aber:
"Mittlerweile muss man einen Austritt nicht mehr in seinem sozialen Umfeld begründen. Im Gegenteil, wenn man in der Kirche bleibt und das auch sagt, erntet man mitunter hochgezogene Augenbrauen."
Mitgliederzahlen gehen schneller zurück als prognostiziert
Die sogenannte Freiburger Studie war vor vier Jahren noch zu dem Schluss gekommen, dass sowohl evangelische als auch katholische Kirchen bis 2060 jeweils die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnten. Im Licht der aktuellen Austrittszahlen scheint das mittlerweile reichlich optimistisch.
"Um das zu schaffen, müssten wir dauerhaft unter eine Quote von einem Prozent Mitgliederverlust pro Jahr kommen", rechnet Ahrens vor. Im Jahr 2021 nahm allerdings die Zahl der Protestantinnen und Protestanten um 2,5 Prozent ab. "Die Freiburger Studie ist überholt", sagt Ahrens.
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Es rächt sich, dass die…
Es rächt sich, dass die Kirchen nicht mehr "dem Volk aufs Maul schauen". Die ökumenische Stimmung weiter Teile der Bevölkerung (z.B. sichtbar in der Gründung de CDU/CSU) wurde so lange ignoriert bis es zu spät für eine unierte evangelisch-katholische deutsche Kirche wurde. Jetzt ist eine immer noch konfessionell zerstrittene Kirche weitgehend irrelevant, weil Botschaft und Organisation nicht zusammen passen.