Demokratie braucht dem bayerischen evangelischen Landesbischof Christian Kopp zufolge keine Religion. "Aber ohne sie kann sie auch nicht, davon bin ich überzeugt", sagte er laut Manuskript bei der Diskussionsrunde "Wie viel Religion braucht Demokratie?" am Dienstag in der Hanns-Seidel-Stiftung München.

Viele demokratische Ideale speisten sich aus religiösen Impulsen. Vor allem aber brauche eine Demokratie das Volk, das die Demokratie schütze und erhalte. "Um diese Erhaltung steht es im Moment nicht zum Allerbesten", bedauerte der Bischof.

Religion und Demokratie seien in der Geschichte keine natürlichen Partnerinnen gewesen, sagte Kopp. Gerade der Protestantismus habe sich oft schwer mit Veränderungen und mit der Entstehung der Demokratie getan. Heute hingegen sei man glücklich, in einem Staat zu leben, in dem Religionsfreiheit garantiert werde. Religion brauche daher die Demokratie. Feindlichkeit und Hass gegenüber Religionen und Menschen seien deshalb nie hinzunehmen, betonte Kopp.

"Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus werden wir immer widersprechen, und zwar laut."

Ziel der christlichen Religion sei die Gestaltung gerechter Lebensverhältnisse. Alle Menschen seien in ihrer Würde gleich. Darum sei es aus heutiger Sicht unverzichtbar, sich als Religionsgemeinschaften in die Erhaltung der Demokratie einzubringen - und auch, weil sich die Welt in einem "unvorstellbaren Individualisierungsschub" befinde. In solchen Zeiten werde es schwerer, gemeinsame Positionen zu formulieren. Populisten hätten es einfacher: "Sie sagen einfach das, was die Leute hören wollen." Demokratie hingegen lebe vom Kompromiss, der zu guten Lösungen führe.

Der Augsburger Bischof Bertram Meier betonte, dass Demokratie "unbedingt" auch Religion brauche. Religion fordere nicht einfach nur ihre Rechte ein, sondern leiste einen Beitrag zum demokratischen Gemeinwesen. Als Beispiel nannte Meier die "große Bedeutung" von sozialen Diensten wie Caritas oder Diakonie. "Hier wird deutlich: Die Kirche steht nicht abseits, wenn es um den Aufbau einer gerechten Gesellschaft geht", sagte der Bischof. Der Dienst an Mensch und Gesellschaft sei zugleich ein Dienst an der Demokratie.

Imam über Muslimfeindlichkeit: Andere Religionen werden bevorzugt

Die Islamfeindlichkeit in Deutschland hat laut dem Penzberger Imam Benjamin Idriz in den vergangenen Jahren "dramatisch zugenommen". Dennoch höre man nur selten den klaren Satz: "Muslimisches Leben in Deutschland muss geschützt werden", sagte Idriz laut Manuskript bei der Diskussionsrunde.

Er sei seit fast 30 Jahren als Imam in Deutschland tätig, sagte Idriz:

"Ich habe nie zuvor so ein starkes Gefühl von Unsicherheit und gesellschaftlicher Spaltung verspürt, wie es derzeit der Fall ist."

Laut Studien hätten rund sieben von zehn Personen eine negative bis feindliche Meinung über Muslime. Er ermutige Gläubige in jeder Freitagspredigt, "positiv zu denken" und sich "für dieses Land einzusetzen", erläuterte er. Es sei entscheidend, "dass wir nicht resignieren, sondern uns aktiv für den Erhalt von Demokratie und Vielfalt engagieren".

Es werde aber auch darauf ankommen, wie die Politik, die jüdischen Gemeinden, die Kirchen und die Medien den Muslimen gegenüberstehen, also ob sie diese als gleichberechtigte Partner akzeptieren "oder sie an den Rand drängen", sagte Idriz. Auch aus der Politik kämen Stimmen, die den ersten Artikel des Grundgesetzes infrage stellten. "Diese Rhetorik, die die Würde des Menschen missachtet, kommt nicht nur aus den Reihen der AfD." Noch viel bedenklicher sei, dass selbst Behörden diskriminierende Publikationen herausgäben.

"Leider mangelt es oft am nötigen Willen der höchsten politischen Repräsentanten, konstruktive muslimische Kräfte zu unterstützen", bedauerte Idriz. Die Bevorzugung einer Religion auf Kosten anderer berge die Gefahr, die Gesellschaft weiter zu polarisieren.

"Muslime spüren diese Form der Diskriminierung besonders stark."

Das Gefühl der Ausgrenzung führe dazu, "dass Muslime sich weiter zurückziehen und in Parallelwelten abdriften". Die sei nicht nur für Muslime problematisch, sondern belaste auch die Politik und die Demokratie.

Gleichzeitig müssten aber auch die Religionen ihre Rolle als ethische und moralische Instanz unter Beweis stellen, forderte Idriz. Eine Religion dürfe ihre Grundwerte wie Frieden und Gerechtigkeit nicht zugunsten ideologischer und politischer Interessen opfern. Terror, Krieg und Rache müssten konsequent abgelehnt werden. Zugleich rief er dazu auf, nicht alle Muslime über einen Kamm zu scheren: Extremisten, die den Islam missbrauchen, stünden keineswegs für den Islam oder die Muslime.

Mit Blick auf Verbrechen sagte er, es sei auffällig und besorgniserregend, wie unterschiedlich die Reaktionen ausfallen, je nachdem, wer der Täter sei. Wenn ein Nicht-Muslim die Tat begehe, bleibe der Aufschrei viel leiser. Es werde mit zweierlei Maß gemessen. "Wir müssen sicherstellen, dass alle Verbrechen gleich behandelt werden, unabhängig von der Herkunft oder dem Glauben des Täters." Die Religionsgemeinschaften müssten es besser machen und stets auf der Seite der Leidenden stehen: "Unabhängig davon, ob diese in Israel, Gaza oder der Ukraine leben."

Ex-Bischöfin Breit-Keßler: Religion trägt in sich die Versuchung des Totalitären

Religionen sind laut der früheren Münchner evangelischen Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler nicht automatisch kompatibel mit Demokratie. "Religion trägt in sich die Versuchung des Totalitären", sagte sie laut Manuskript bei der Diskussionsrunde "Wie viel Religion braucht Demokratie?" am Dienstag. Auch Institutionen, die Religionen vertreten, trügen stets die Versuchung in sich, "ihr Gedankengut, ihre Überzeugungen absolut zu setzen".

Judentum, Christentum und Islam seien keine monolithischen Einheiten, führte Breit-Keßler aus. Man denke etwa an evangelikale Anhänger des früheren US-Präsidenten Donald Trump, an islamistische Terroristen, die ihre Verbrechen missbräuchlich im Namen Allahs verübten, oder an fundamentalistische jüdische Siedler im Westjordanland, die das Existenzrecht der palästinensischen Mitbevölkerung malträtierten. Nicht wenige Kirchenmitglieder in Deutschland machten keinen Hehl aus ihrer Abscheu gegenüber dem Rechtsstaat und ihrer Sympathie für "Quer-Nichtdenker, Reichsbürger und rechtsextremistische Gruppierungen".

Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts hätten sich die christlichen Kirchen dazu durchgerungen, Menschenrechte, insbesondere auch Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit, anzuerkennen.

"Wer seitens der Kirchen mit dem Finger auf andere Religionen zeigt und deren Demokratiefähigkeit anmahnt, sollte sich erinnern: Die Prinzipien, auf denen Aufklärung und Demokratie beruhen, mussten häufig gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen durchgesetzt werden,"

Selbst heute seien nicht alle Menschenrechte in den Kirchen fraglos akzeptiert, etwa, was die sexuelle Orientierung oder die Rolle der Frau betreffe.

Religion müsse daher demokratie- und diskursfähig sein und die Zuständigkeiten des Rechtsstaates respektieren. "Sie darf sich nicht als Staat im Staate oder gar als eine Art Über-Staat verhalten", sagte Breit-Keßler. Pflicht des demokratischen Rechtsstaates sei es außerdem, die Religionsfreiheit zu verteidigen. Daher dürften Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, "erst recht Attacken und Bedrohungen gegenüber Juden oder Muslimen", niemals geduldet werden. Auch die Verhöhnung christlicher Glaubensinhalte, der Angriff auf christliche Gläubige seien nicht tolerabel.

Innenminister Herrmann warnt vor Generalverdacht

Nach einer Reihe von islamistisch motivierten Angriffen in den vergangenen Wochen warnt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor einer Vorverurteilung von Muslimen. Die überragende Mehrheit der Muslime in Deutschland lebe ihren Glauben friedlich und bereichere das Land durch ihre religiöse und kulturelle Tradition, sagte er bei der Diskussionsrunde "Wie viel Religion braucht Demokratie?" am Dienstag in der Hanns-Seidel-Stiftung in München.

"Es ist oft fehlendes Wissen über einen anderen Glauben, der empfänglich für Intoleranz macht", sagte Herrmann. Als Integrationsminister sei es ihm daher ein "sehr wichtiges Anliegen, den Dialog mit den Religionsgemeinschaften zu führen".

Den Weg des Miteinanders gelte es weiterhin zu gehen, damit Religion die Gesellschaft nicht spalte, sondern zum respektvollen Zusammenleben beitrage. Die großen Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam stünden für Frieden, Nächstenliebe und Achtung vor der Würde jedes Einzelnen.

"Wenn wir den interreligiösen Dialog auf Augenhöhe suchen, können wir mehr Verständnis füreinander schaffen und zu einem friedlichen Zusammenleben beitragen", sagte Herrmann weiter. Ohne das gelingende Miteinander in religiösen Fragen werde es für die Demokratie schwer. "Wir haben in Bayern und Deutschland keinen laizistischen Staat, unsere Bayerische Verfassung und Grundgesetz haben einen eindeutigen Bezug zur Religion."

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