Lange Jahre war Oliver Schürrle im Dienst als Pfarrer, immer in Stellenteilung mit seiner Frau Karola - dazu mittlerweile fünf Jahren ein Teil des Teams der "Segen.Servicestelle für Taufe, Trauung, Bestattung & mehr" im Nürnberger Haus der Kirche "eckstein" im engen Kontakt mit Menschen, die ihren Weg wieder hin zur Kirche suchen, aber im eigenen Pfarramt anscheinend nicht finden können oder andere Wege gehen wollen. Es scheint also, dass Oliver Schürrle immer nah am Menschen, aber dennoch nicht glücklich mit seinem Wirken und seinen Möglichkeiten war. Zum 1. November 2025 übernimmt der 61-Jährige nun die Leitung der Geschäftsstelle des Vereins Agus – Angehörige um Suizid e. V. in Bayreuth. Die bundesweit tätige Organisation unterstützt Menschen, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben. 

"Ich will noch einmal etwas wirklich Sinnvolles tun", sagt er.

"Nicht noch mehr Verwaltung, nicht noch mehr Strukturreform – sondern wieder da sein, wo es um Menschen geht. Ich habe das Gefühl, dass mich Gott genau dazu beauftragt."

Seelsorge außerhalb der Kirche

Schürrle lässt sich für seine neue Aufgabe vom Dienst als Pfarrer beurlauben, bleibt aber weiterhin ordiniert. "Ich behalte alle Rechte aus der Ordination – ich darf also weiter Gottesdienste halten, Taufen oder Bestattungen durchführen", erklärt er. "Aber meine Haupttätigkeit liegt künftig bei Agus. Es ist kein kirchliches Amt, sondern eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, die aber inhaltlich sehr viel mit Seelsorge zu tun hat."

Dass er dafür finanzielle Einbußen in Kauf nimmt, nimmt Schürrle mit Gelassenheit: "Wir fallen jetzt nicht in die totale Armut, aber natürlich ist der Verdienst geringer. Mir ist klar: Es geht anderen Menschen auf dieser Welt viel schlechter. Ich bin dankbar, dass ich die Freiheit habe, diesen Weg zu gehen."

Kritik an Strukturen: "Wofür stehen wir eigentlich?"

Der Wechsel ist kein spontaner Entschluss. Schürrle hat lange überlegt – auch, weil er sich in den letzten Jahren zunehmend mit der Entwicklung der Kirche schwertat, auch wenn er als Teil des Dekane-Kollegiums von Erlangen ebenso Teil der mittleren Verwaltungsebene war. "Ich hatte gehofft, dass sich mit dem innerkirchlichen Prozess ,Profil und Konzentration´ in der Landeskirche auch inhaltlich etwas bewegt", sagt er. "Aber heute reden wir fast nur noch über Zahlen: weniger Finanzen, weniger Mitglieder, zu viele Gebäude. Alles richtig – aber die entscheidende Frage bleibt: Wofür stehen wir eigentlich?"

Er zieht einen Vergleich: "Die Kirche ist wie ein großer Tanker mit Lecks, die wir mit Tesafilm flicken. Wir fusionieren Dekanate, geben Gebäude auf – aber das allein reicht nicht. Wir müssen den Menschen wieder sagen können, wofür wir da sind."

Abschied aus dem Dekanenteam Erlangen

Seit dem 1. Mai 2023 war Oliver Schürrle Teil des Dekanenteams Erlangen, das im Zuge einer landeskirchlichen Strukturreform eingeführt wurde. Das Team bestand bisher aus drei gleichberechtigten Dekaninnen und Dekanen: Bernhard Petry (Region Mitte, zugleich Vorsitzender des Kollegiums), Gerhild Rüger (Region Ost) sowie Karola und Oliver Schürrle, die sich im Modell der Stellenteilung die Verantwortung für die Region West teilten.

Zu ihren Aufgaben gehörten unter anderem die Aufsicht über die Klinikseelsorge, die kirchenmusikalische Arbeit, Stiftungsfragen und die Kindertagesstätten im Dekanat.

Engagement in Herzogenaurach: Projekte, Begegnungen, Kirchenkonzerte

Gemeinsam mit seiner Frau hatte der Theologe seit 2011 die Pfarrstelle in Herzogenaurach inne. Beide brachten neue Ideen und Formate in die Gemeindearbeit ein – von Kirchenkonzerten mit Kantor Gerald Fink über diakonische Projekte bis zu offenen Begegnungsorten wie dem "Rad’tsch Mobil", dem Fahrrad-Café am Friedhof. Außerdem arbeiteten sie in der Segen.Servicestelle in Nürnberg mit, die individuelle Segensfeiern für Menschen anbietet, die klassische Formen von Taufe, Trauung oder Bestattung erweitern möchten.

Doch trotz all dieser Initiativen blieb bei Schürrle das Gefühl, dass sich in der kirchlichen Arbeit zu viel um Strukturen und zu wenig um Inhalte dreht. "Ich will Struktur nicht gegen Inhalt ausspielen", sagt er, "aber beides muss zusammenkommen. Wenn wir uns nur noch mit uns selbst beschäftigen, verlieren wir das, wofür Kirche eigentlich da ist."

Dass dieser Entschluss auch Auswirkungen auf seine Frau hat, war ihm bewusst. "Meine Frau hat mit meinem Antrag auf Beurlaubung sofort ihre Stellenanteile verloren, weil wir alle Stellen geteilt haben. Dass das Dekanat bei dieser Gelegenheit sofort neu aufgestellt wird, war klare Linie der Landeskirche", erklärt Schürrle. Karola Schürrle bleibt jedoch weiter aktiv: Sie arbeitet nun mit 50 Prozent auf der Stelle "Dienstleistung/Besondere Einsätze im Dekanatsbezirk Erlangen" und zu weiteren 50 Prozent weiterhin in der Segen.Servicestelle.

Dekanatsbüro Erlangen bedankt sich bei Pfarrer Oliver Schürrle

Das Dekanatsbüro Erlangen reagierte auf den Weggang mit Dank und Respekt: "Mit großem Bedauern, aber auch mit großer Dankbarkeit verabschieden wir uns von einem Seelsorger mit Herz, einem Prediger mit klaren Worten – stets gewürzt mit einer Prise Humor – und einer Führungspersönlichkeit, der die Arbeit auf Augenhöhe ein zentrales Anliegen war", so das offizielle Statement. Dekanats­sprecher Carsten Kurtz informiert, man befinde sich jetzt in enger Klärung mit den zuständigen Entscheidungsgremien, wie die Verantwortung im Dekanat Erlangen zukünftig getragen wird. Man hoffe, in beiden Fällen zeitnah unbürokratische und tragfähige Lösungen präsentieren zu können."

Nürnberger Regionalbischöfin bedauert Schritt

"Ich war von Oliver Schürrles Entschluss, sein Amt als Dekan aufzugeben und sich im eigenen Interesse vom kirchlichen Dienst beurlauben zu lassen, sehr überrascht", erklärt die Nürnberger Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern auf Anfrage des Sonntagsblattes. Mit großem Bedauern habe sie die Entscheidung zur Kenntnis genommen. Oliver Schürrle habe als Pfarrer der Kirchengemeinde Herzogenaurach, auf der Segen-Service-Stelle, sowie bei seinen Leitungsaufgaben als Dekan "stets hervorragende Arbeit" geleistet. "Ich habe den größten Respekt vor seinem Wunsch und dem Mut, sich für seine letzten Berufsjahre noch einmal umzuorientieren und etwas Neues zu wagen", sagt die Regionalbischöfin. 

Sein Entschluss, sich zum 1. November 2025 vom kirchlichen Dienst beurlauben zu lassen, habe Folgen für das gesamte Leitungskonstrukt des Dekanatsbezirks Erlangen. Da sich Oliver Schürrle die Dekansstelle mit seiner Frau Karola teilte, bedeutet dies nach dem kirchlichen Dienstrecht, dass damit auch der Dienstauftrag des anderen Stelleninhabers endet. "Mit Karola Schürrle werden derzeit daher mögliche berufliche Perspektiven sondiert. Dabei ist mir und allen Beteiligten an einer guten Lösung für Frau Schürrle gelegen", meint Hann von Weyhern.

Mit dem Weggang von Oliver Schürrle besteht die Notwendigkeit aber auch die Gelegenheit, für den Dekanatsbezirk Erlangen die Leitungsanteile grundlegend neu zu bestimmen. Der Landeskirchenrat habe sich in dieser Situation dafür ausgesprochen, die landeskirchenweit angestrebte Entwicklung des Dekansamtes auch im Dekanatsbezirk Erlangen umzusetzen. Erlangen soll auf hauptamtlicher Seite künftig von zwei Dekanspersonen mit mindestens 75 Prozent Leitungsanteil geleitet werden. Mit höheren Leitungsanteilen für die beiden Dekanspersonen soll eine professionelle und qualitativ hochwertige und arbeitsteilige Leitung des Dekanats gewährleistet sein.

Die regionalen Verantwortlichkeiten der Dekanspersonen und die weiteren dekanatlichen Arbeitsbereiche werden durch eine Geschäftsverteilung geregelt, welche vom Dekanatsausschuss beschlossen und vom Landeskirchenrat genehmigt werden muss. Die Dekanatssynode muss ferner die Bildung von zwei Regionen für den Dekanatsbezirk beantragen. Diese müssen ebenfalls vom Landeskirchenrat genehmigt werden."

Oliver Schürrle betont, dass sein Schritt freiwillig erfolgt: "Niemand hat mich gedrängt. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Kolleginnen und Kollegen, und viele verstehen meinen Entschluss." Wichtig sei ihm, dass die Menschen wissen: Ich gehe im Guten – und mit der Überzeugung, dass Kirche nur Zukunft hat, wenn sie wieder näher an den Menschen ist."

Letzter Gottesdienst in Herzogenaurach am Reformationstag

Ein letztes Mal als Pfarrer von Herzogenaurach im Gottesdienst erleben kann man Oliver Schürrle am Reformationstag (31. Oktober) in Herzogenaurach. Der Gottesdienst beginnt um 19 Uhr. Schürrle wird dabei die liturgischen Rahmenteile übernehmen, während Professor Florian Höhne von der Universität Erlangen den Festvortrag hält. Im Anschluss an den Gottesdienst wird es die Möglichkeit geben, sich persönlich von ihm zu verabschieden – still, herzlich und ohne großes Zeremoniell.

Erlanger Dekane-Kollegium bis zum 31. Oktober 2025
Das Erlanger Dekane-Kollegium bis zum 31. Oktober 2025 (von links): Oliver Schürrle, Bernhard Petry, Gerhild Rüger und Karola Schürrle.