Frau Tiggemann, die Evangelische Jugend in Bayern hat zum Schutz vor Missbrauch bereits sehr früh praktische Maßnahmen ergriffen.

Paula Tiggemann: In etwa zwei Drittel aller Dekanate und Mitgliedsverbände sind haupt- oder ehrenamtliche Ansprechpartner eingesetzt, die deutlich über 20 Jahre alt sind. Sie werden geschult, tragen ihr Wissen über Präventionsarbeit weiter in die Jugendgruppen und Konvente. Bei Fragen zu Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt wissen sie, welche Schritte möglich und nötig sind.

In vielen Dekanaten darf man erst als Jugendleiter tätig sein, wenn man die "Juleica"-Ausbildung gemacht hat, bei der man einen bundesweit gültigen Ausweis für ehrenamtliche Arbeit erhält. Wie werden die Jugendleiter dabei für den Umgang mit sexueller Selbstbestimmung sensibilisiert?

Ein wichtiger Punkt ist, worauf sie beim Spielen achten können. Bei Tobespielen kommt es natürlich vor, dass sich Kinder und Jugendliche berühren, aber der Leiter muss einen Raum dafür schaffen, wenn es plötzlich zu weit geht oder sich jemand dabei unwohl fühlt. Es gibt auch Spiele, die in manchen Situationen in Ordnung sind und in anderen nicht. Wenn sich eine Gruppe gerade erst kennenlernt, ist noch kein Vertrauen gewachsen.

Das hat dann gar nichts mit Sexualität zu tun, sondern dass jeder Herr darüber sein soll, wie viel Distanz er braucht und wie viel Nähe er zulassen möchte. Unsere Jugendleiter sollen die jungen Leute befähigen, das einschätzen zu können. Es geht aber auch darum, wie sie in einem konkreten Fall von Grenzüberschreitung unter Kindern oder zwischen anderen Jugendleitern und Kindern handeln können.

Bei der Wahl der Jugendarbeiter gibt es aber noch weitere Präventionsmaßnahmen.

Ein polizeiliches Führungszeugnis ist gesetzlich vorgeschrieben. Etwa alle fünf Jahre muss man ein frisches vorlegen. Manche sehen das kritisch, als Überwachung und Eingriff in die Privatsphäre, aber wir tragen Verantwortung für junge Menschen, mit denen wir auch auf Freizeiten fahren. Von daher hat das schon seine Berechtigung.

Was unterscheidet die Kirche von anderen Bereichen, in denen Übergriffe geschehen?

Im kirchlichen Bereich ist die Verantwortung besonders groß, weil hier Seelsorge passiert. Die Evangelische Jugend begleitet junge Menschen in einer wichtigen Lebensphase, in der sie verschiedene Ängste, Wünsche und Hoffnungen haben. Eine gewisse Nähe ist also notwendig. Darum müssen sich Jugendleiter dieser Verantwortung bewusst sein, sich selbst und diese Nähe gut reflektieren können.

Was erwartet die Evangelische Jugend in Bayern von der Landeskirche im Umgang mit sexualisierter Gewalt?

Wir freuen uns, dass die Landessynode das Thema aufgegriffen hat und die schon seit 2002 angewandten Schutzkonzepte der Evangelischen Jugend wahrnimmt. Die Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt im Landeskirchenamt und unsere Referentin im Amt für Jugendarbeit, Martina Frohmader, stehen in engem Kontakt. Als Gesamtkirche müssen wir nun aufarbeiten, was in der Vergangenheit schiefgegangen ist und wie in Zukunft Risikofaktoren für Übergriffe verringert werden können.