Die evangelische Kirche hat eine umfassendere Aufarbeitung von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in ihren Einrichtungen angekündigt. Nach der katholischen Kirche will auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Wissenschaftler beauftragen, um das Ausmaß von Missbrauch aufzuzeigen und spezielle Risikofaktoren aufzudecken. Das kündigte EKD-Synodenpräses Irmgard Schwaetzer zu Beginn der Beratungen des Kirchenparlaments in Würzburg an. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm bat die Opfer um Vergebung und forderte eine "Null-Toleranz gegenüber Tätern und Mitwissern". Dafür stehe die Kirche in der Pflicht.
In einem Grußwort vor der Synode forderte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) die evangelische Kirche dazu auf, in Fällen sexuellen Missbrauchs disziplinarrechtliche Konsequenzen zu ziehen und eine Strafverfolgung zu unterstützen. "Menschen, die Kinder missbrauchen und sie damit für ihr Leben schädigen, haben in keinem Amt der Kirche mehr etwas zu suchen", verlangte die SPD-Politikerin.
Synodenpräses Schwaetzer betonte, die evangelische Kirche lege bei der Aufarbeitung großen Wert auf die Zusammenarbeit mit der von der Bundesregierung eingerichteten Unabhängigen Aufarbeitungskommission. Diese hat von der evangelischen Kirche eine übergreifende Studie nach dem Vorbild der katholischen Deutschen Bischofskonferenz gefordert. Die Ergebnisse dieser Untersuchung waren Ende September vorgestellt worden und hatten Rufe nach einer spezifischen Aufarbeitung auch in der evangelischen Kirche lauter werden lassen.
Kirche gibt zwei Studien zum Thema Missbrauch in Auftrag
Schwaetzer erklärte, es würden zwei Studien in Auftrag gegeben. Eine solle dabei helfen, mehr Klarheit darüber zu gewinnen, wie groß das Dunkelfeld ist - also die Zahl der Opfer, die nicht bekannt sind, weil sie sich nicht hilfesuchend an jemanden gewandt haben. Eine zweite Studie soll mehr Aufklärung über Risikofaktoren in der evangelischen Kirche bringen. Der Anspruch sei, möglichst vollständige Aufklärung zu leisten. Die Beauftragung der Studien wurde Schwaetzer zufolge am Samstag von der Kirchenkonferenz beschlossen, dem Zusammenschluss der evangelischen Landeskirchen.
Der Stand der Aufarbeitung dort ist sehr unterschiedlich. Anlässlich der Synode wurde eine Abfrage in allen 20 Landeskirchen zur Zahl der Fälle veranlasst. Nach Angaben der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sind
aktuell rund 480 Betroffene bekannt. Fehrs wird der Synode am Dienstag einen Bericht zum Thema vorlegen. Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm sagt am Sonntag: "Wir müssen weitere Konsequenzen ziehen, noch intensiver an Präventionskonzepten und zielgenauer Aufarbeitung arbeiten."
EKD-Synode widmet sich jungen Menschen
Schwerpunktthema der Synode ist der Glaube junger Menschen, die die Kirche immer weniger erreicht. Alle Altersgruppen gemeinsam müssten Kirche gestalten, sagte Bedford-Strohm im Eröffnungsgottesdienst. In seiner Predigt warb er für eine Öffnung der Kirche für junge Menschen und deren Ideen. Weder die "normative Kraft der Grauhaarigen" noch ein "bemühter Jugendkult" dürften in der Kirche vorherrschen. Neue Ideen vor allem junger Menschen bräuchten dabei Platz und Vertrauen. Die 120 Synodalen wollen sich auch mit dem digitalen Wandel und dessen Konsequenzen für die Kirche beschäftigen.
In seinem Bericht vor der Synode äußerte Bedford-Strohm als oberster Repräsentant der 21,5 Millionen deutschen Protestanten Sorge vor zunehmendem Populismus. "Insbesondere rechtspopulistische Kräfte in ganz Europa, aber auch weit darüber hinaus, verstärken Angstgefühle und versuchen politisch davon zu profitieren", sagte er. Das Ergebnis sei eine Spaltung, "die zuweilen bis hin zur Sprachlosigkeit zwischen verschiedenen Teilen der Gesellschaft führt".
Mit scharfen Worten wandte er sich gegen relativierende Äußerungen von AfD-Politikern zur deutschen Geschichte. Man lasse nicht zu, dass etwa die Verbrechen des Nationalsozialismus als "Vogelschiss der Geschichte" bezeichnet werden, sagte Bedford-Strohm unter großem Beifall.
Der Synode der EKD gehören gewählte und berufene Mitglieder aus Kirche, Politik und Gesellschaft an. Sie beschließt Kirchengesetze und den Haushalt der EKD.